Apostolikumsstreit

Klick auf den Kompass öffnet den IndexAls Apostolikumsstreit (A.) wird in der Regel die Auseinandersetzung um die kirchliche Gültigkeit des >Apostolikums Ende des 19. / Anfang des 20. Jhd.s bezeichnet. Doch es gab bereits im Zeitalter der altlutherischen Orthodoxie im 17. Jhd. eine Auseinandersetzung um das Apostolikum, wobei diese nicht A. genannt wird. G. Calixt (1586-1656), der einem melanchthonisch geprägten Luthertum zuneigte, meinte, wie bereits Ph. Melanchthon (1497-1560), neben den altkirchlichen Dogmen zu Trinität und Christologie auch das Apostolikum für Unionsbestrebungen zwischen den Konfessionen verwenden zu können. Das rief den Widerspruch angesehener Theologen der lutherischen Orthodoxie hervor (A. Calov 1612-1696, J. A. Quenstedt 1617-1688). Diese führten an, das Apostolikum sei nicht apostolischen Ursprungs, was die Reformatoren noch offen gelassen hatten, und enthalte wesentliche Lehraussagen nicht, die für die lutherische Konfession unabdingbar seien: die Rechtfertigung allein aus Glauben; es enthalte nichts zu Erbsünde und nichts zu Buße und Heiligung. Aufgrund dieser fehlenden Lehraussagen scheide es als Unionsbekenntnis aus. Formal hatten die Theologen der lutherischen Orthodoxie recht, wenn sie auf den fehlenden Artikel von der Rechtfertigung allein aus Glauben verwiesen. Explizit ist er nicht enthalten, implizit jedoch, da sich nach Paulus im äußeren Bekenntnis (Mund), dem der innere Glaube entspricht (Herz), die Rechtfertigung vollzieht (Röm 10, 9 f.).

In der Aufklärungszeit herrschte teilweise die Ansicht (z. B. bei G. E. Lessing, 1729-1781), die Kirche sei nicht auf die Heilige Schrift, sondern auf das Apostolikum gebaut. Vor allem der liberale Protestantismus bestritt die apostolische Bedeutung des Apostolikums.

Der A. verdankt sich der Kirchenunionen des 19. Jhd.s. Damit wurde es üblich, im Gottesdienst das Apostolikum zu sprechen. Widerspruch kam jetzt von theologisch liberaler Seite (Liberale Theologie). Der Widerspruch richtete sich gegen das Verlesen des Apostolikums im Sonntagsgottesdienst generell, gegen das "überholte Weltbild" des Apostolikums, wie auch gegen Einzelaussagen (z. B. Jungfrauengeburt, Himmel- und Höllenfahrt Christi, Auferstehung des Fleisches). Manche Pfarrer weigerten sich, das Apostolikum im Gottesdienst zu verlesen, was in einigen Fällen zu Amtsenthebungen durch die zuständigen Kirchenleitungen führte, u. a. bei den Pfarrern J. Rupp (Königsberg 1845), E. G. Lisso und A. Sydow (Berlin 1871 / 72), Chr. Schrempf (Württemberg 1982). C. Jatho (Köln 1911), G. Traub (Dortmund 1911), F. Knote (Bayern 1924). Die Amtsenthebungen brachten jeweils eine literarische Auseinandersetzung hervor, wobei die um Chr. Schrempf die bekannteste wurde. In diese griff A. v. Harnack (1851-1930) ein durch seine Veröffentlichung: "Das Apostolische Glaubensbekenntnis" (1892, in einem Jahr 26 Auflagen). Nach Harnacks eigenen Aussagen waren seine Aussagen "wohl erwogen und maßvoll" (Harnack würdigte das Bekenntnis zu Gott dem Vater und Jesus Christus dem Herrn, vermisste jedoch den Hinweis auf das irdische Leben Jesu und nahm Anstoß an der Jungfrauengeburt). Universitätstheologen aller Richtungen griffen ein. Verärgert auf Harnacks Äußerungen reagierte sowohl der theologisch linke Protestantismus (Protestantenvereine) als auch der theologisch rechte Protestantismus (kirchliche Orthodoxie, vor allem H. Cremer 1834-1903 und Theodor Zahn 1838-1933). Der A. bewirkte mit, dass die einzelnen Landeskirchen Lehrzuchtordnungen zu Beginn des 20. Jhd.s entwickelten, die jedoch recht selten Anwendung fanden. Nach 1918 trat der Streit um das Apostolikum in den Hintergrund, weil der Streit um die richtige Auslegung der Heiligen Schrift mehr an Bedeutung gewann. Zwar schien die Dialektische Theologie anfangs das Apostolikum wieder aufzuwerten, aber indem zumindest ein Teil von ihr die Objektivierung des Glaubens bestritt und "Entmythologisierung" betrieb, wertete sie es in Wirklichkeit ungebührend ab. Seit dem Kirchenkampf während des Dritten Reiches ist die liturgische Verwendung des Apostolikums in evangelischen Kirchen unbestritten. Seit 1960 finden aber auch neue Glaubensbekenntnisse Verwendung, die das Apostolikum zum einen erweitern, zum andern aber auch verkürzen. Auf andere Weise geht damit der A. weiter. Nur muss bei Verzicht und öffentlicher Verneinung der Aussagen des Apostolikums kein Pfarrer mehr mit derartigen Konsequenzen rechnen wie in der Zeit des A. In dieser Beziehung ist der A. tatsächlich beendet.

S. auch: Jesus Christus; Dreieinigkeit; Liberale Theologie; Jungfrauengeburt; Auferstehung Jesu Christi; Kirchenreform; u.a.

Lit.: EKL, 3. Aufl. (Neufassung), Bd. 1, Sp. 229 f.; ELThG, Bd. 1, Sp. 104 f.; RGG, 3. Aufl., Bd. 1, Sp. 515. Darin auch jeweils weiterführende Literatur. G. Ruhbach (Hg.), Glaubensbekenntnisse unserer Zeit, 2. Aufl. 1995; Th. Zahn, Der Kampf um das Apostolikum, 1893; A. von Zahn-Harnack, Der Apostolikumsstreit des Jahres 1892 und seine Bedeutung für die Gegenwart, 1950.

Walter Rominger


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6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
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