Montanismus

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Wir haben es beim Montanismus mit einer sehr frühen schwärmerisch-charismatischen Bewegung, die vom nahen Weltende überzeugt war, zu tun. Überspitze Weltflucht steigerte sich im Montanismus in unbiblische Askese.

Derartige Bewegungen traten in der weiteren Kirchengeschichte immer wieder auf. Kirchengeschichtlich kamen sie aber erstmalig im Montanismus zu Bedeutung.

Der Montanismus (oder wie ihn die damaligen Gegner, nach seiner geographischen Herkunft nannten, die phrygische Häresie) war eine Reaktion auf die bereits im 2. Jahrhundert n. Chr. geistlich verflachte Kirche. Im Gegensatz zu altkirchlichen Sekten, etwa den Gnostikern oder den Anhängern des Marcion, blieb der Montanismus im Spektrum der gesamtchristlichen Lehre. Auch organisatorisch blieb er anfangs innerhalb der etablierten Kirche, vergleichbar mit der heutigen Gemeinschaftsbewegung. In Karthago kam es erst 207 zur Trennung.

Montanus, der vor seiner Bekehrung ein Priester des Apoll war, predigte seit etwa 156/157 n. Chr. das nahe Ende der Welt. Er regte das Praktizieren der >Geistesgaben, der >Prophetie und des Zungenredens an. Die bis ins Extrem gesteigerte Askese der Montanisten verwarf teilweise die Ehe und verlangte, zwei Tage in der Woche zu fasten, was auch das Baden einschloss. Priska und Maximilla, prägende Frauengestalten der ersten Zeit, verließen, nachdem sie sich zu dieser Form des Christentums bekehrten, ihre Ehen. In der Zeit der altrömischen Verfolgungen ermunterten die Montanismus die Christen nicht nur, das Martyrium zu ertragen, sondern es geradezu zu suchen. Schwerpunkt der Predigt des Montanus war das nahe Weltende und der Anbruch des 1000jährigen Reiches (Chiliasmus). Wahrscheinlich gab er sich selbst als der verheißene Tröster (Joh. 14,16; 16.26) aus. Auf jeden Fall betrachteten seine Anhänger ihn so. Sein prophetischer Anspruch wurde zuerst nur von wenigen akzeptiert. Nachdem zwei charismatisch geprägte Frauen, die als Prophetinnen betrachteten Priska und Maximilla, zu ihm stießen, wuchs die Bewegung und breitete sich im Bereich der ganzen damaligen Kirche aus. Nach dem Tod der drei Gründungsgestalten (als letzte starb im Jahr 179 Maximilla) veränderten sich die Schwerpunkte der Verkündigung. Das charismatisch-endzeitliche Element trat in den Hintergrund. Die Frage der Abkehr von der Welt und noch stärkere Askese wurden prägend.

Einen großen Aufschwung bekam die Bewegung, als sich der bedeutende Theologe >Tertullian (ca. 160-220 n Chr.) im Jahr 207 den Montanisten anschloss. Er sah im strengen Montanismus die richtige Reaktion auf die laxe Bußpraxis der Kirche. Die Kirche nahm in Verfolgungen abgefallene Gemeindeglieder, die nach den Verfolgungszeiten um Wiederaufnahme in die Gemeinde baten, sehr schnell wieder auf. In Verfolgung abgefallene Priester setzte sie teilweise wieder in ihre Ämter ein. Dies entfremdete den Kirchenvater Tertullian immer mehr von seiner Kirche. So sehr Tertullian früher für die Kirche stand, so sehr bekämpfte er ihre Lauheit, nachdem er Montanist geworden war.

Es gab verschiedene Versuche, die kirchliche Einheit aufrecht zu erhalten. Besonders den römischen Bischöfen Soter (166-174) und Eleutherus (174-189) lag an der Erhaltung der Gemeinschaft. Aber letztlich entsprach eine derart radikale Bewegung nicht dem Interesse der Kirche und führte zum Bruch. Im Westen des römischen Reiches kehrten schon im 3. Jahrhundert einzelne montanistische Gemeinden zur Kirche zurück. Im Osten setzte eine solche Entwicklung später ein.   

Man muss bei der Beurteilung dieser Bewegung berücksichtigen, dass sich in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts bereits ein gewisses Traditionschristentum in den Gemeinden eingebürgert hatte. Oft überlagerten die von der organisierten Kirche festgelegten kirchlichen Rituale lebendige Ausdrücke der Verbindung zu Jesus. Seit der Zeit der Montanisten traten immer wieder vergleichbare Bewegungen auf. Endzeitfragen, eine Heiligungslehre, die in Gesetzlichkeit und Askese umschlägt, sowie ein unnüchternes charismatisches Gefühlschristentum begleiten die Gemeinde bis heute. Sie mögen stellenweise eine Verirrung sein, ermahnen aber die Christenheit, nicht in Tradition und bloßer Rechtgläubigkeit zu erstarren. Geistige Nachfahren der Montanismus finden wir in Teilen der Täuferbewegung, der >Pfingst- und >Charismatischen Bewegung, sowie in Endzeitsekten. Glaubensgemeinschaften, die ihren Führern eschatologische Bedeutung zugestehen, gab es immer wieder. Dies war bei den Anhängern William >Branhams so und findet sich u.a. bei den Mitgliedern der Evangelisch->Johannischen Kirche nach der Offenbarung St. Johannes, die in  ihrem Gründer Joseph Weißenberg, ebenso wie einst die Montanismus, den Endzeittröster sehen. Solche Gestalten sind aufgrund der biblischen Warnungen (Mt 24,5.11.24; 1. Joh 4,1ff.) mit großer Vorsicht zu betrachten.

Zur Beurteilung: Neuoffenbarung; Falsche Propheten; Okkultismus; Spiritismus.

Lit.: K. W. Tröger, Das Christentum im zweiten Jahrhundert, 1988; H. Obst, Apostel und Propheten der Neuzeit, 2000; K. Aland, Bemerkungen zum Montanismus und zur frühchristlichen Eschatologie, in : Kirchengeschichtliche Entwürfe, 1960, 105-148.

Rainer Wagner


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Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handbüchern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):

1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines Ökumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch

Weitere Handbücher (über Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de