Neue-Welt-Übersetzung

Klick auf den Kompass öffnet den IndexNeue-Welt-Übersetzung ist seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Bibel der Zeugen Jehovas. Vorher hatten sie im deutschen Sprachraum die Elberfelder Bibel bevorzugt, unter anderem deshalb, weil in deren älterer Fassung noch der Name "Jehova" Verwendung gefunden hatte.

In der Neue-Welt-Übersetzung selber findet sich kein Hinweis auf deren Bearbeiter. Sie wird lediglich bezeichnet als das anonyme Werk eines "Neue-Welt-Bibelübersetzungs-Komitees" (S. 5 f.). "Ist die Übersetzung wirklich ein gelehrtes Werk?", wird in den "Unterredungen anhand der Schriften" gefragt. Die Antwort lautet:

"Da die Übersetzer ungenannt bleiben wollen, kann über ihre Ausbildung nichts Näheres gesagt werden. Die Übersetzung muss aufgrund ihrer Vorzüge bewertet werden" (S. 312).

Raymond Franz jedoch berichtet, dass die Neue-Welt-Übersetzung hauptsächlich der Feder von Frederick William Franz, seinem Onkel, entstammt.

"... einzig Fred Franz beherrschte die Sprachen der Bibel genügend, um sich an eine solche Übersetzung heranzuwagen. Er hatte zwei Jahre Griechisch an der Universität von Cincinnati gelernt, sich aber Hebräisch nur selbst beigebracht."

Außer Frederick Franz gehörten dem Komitee Nathan Homer Knorr, Albert Schroeder und George Cangas von der Leitung der Wachtturm-Gesellschaft an (Franz, Der Gewissenskonflikt, 1991, 55). Edmund C. Gruss zählt außerdem noch Milton G. Henschel, den Nachfolger von Frederick Franz, zum Übersetzungs-Komitee hinzu (Gruss, We left Jehovah`s Witnesses, 1974, 74). Er weist (wie Raymond Franz) auf die mangelhaften Hebräisch-Kenntnisse von Frederick Franz hin, die etwa bei einem Verhör vor dem Schottischen Gerichtshof im November 1954 (also während der Arbeit an der Neue-Welt-Übersetzung) dokumentiert wurden.

Die Neue-Welt-Übersetzung wurde ursprünglich in sechs Bänden während der Jahre 1950 bis 1960 veröffentlicht. 1961 erschien dann eine einbändige revidierte Ausgabe, 1970 die zweite revidierte Fassung – zunächst alles in englischer Sprache. 1971 folgte die dritte Revision mit Fußnoten. 1969 war bereits eine "Kingdom Interlinear Translation of the Greek Scriptures" herausgegeben worden. Allerdings beruhen diese Übersetzungen ins Englische auf dem von Westcott und Hort revidierten griechischen Text aus dem Jahre 1881, der in der heutigen theologischen Forschung als überholt gilt. Neuere textkritische Ausgaben wie Nestle, Bover, Merk, UBS und Nestle-Aland wurden lediglich "berücksichtigt" (Neue-Welt-Übersetzung, S. 7).

Den "Hebräischen Schriften" der Neue-Welt-Übersetzung liegt der Codex Leningradensis B 19 A zugrunde, wie er für Rudolf Kittels Biblia Hebraica in den Auflagen von 1951-55 Verwendung gefunden hat. Die für die heutige Textforschung relevante Biblia Hebraica Stuttgartensia von 1977 wurde auch für die revidierte Neue-Welt-Übersetzung von 1984/86 lediglich "zur Erstellung des Fußnotenapparates" herangezogen (Neue-Welt-Übersetzung, S. 7). Die "Christlichen Griechischen Schriften" in der Ausgabe der Wachtturm-Gesellschaft gehen auf "The New Testament in the Original Greek" von Westcott-Hort (1881) zurück (ebd.).

Dem kritischen Beobachter springen die folgenden Kennzeichen der Neue-Welt-Übersetzung ins Auge:

Hinsichtlich der Einfügung von Wörtern schreibt die Wachtturm-Gesellschaft in der Einführung zur Neue-Welt-Übersetzung:

"Einzelne eckige Klammern [ ] schließen Worte ein, die eingefügt worden sind, um den Sinn im deutschen Text vollständiger wiederzugeben; doppelte eckige Kammern [[ ]]... deuten auf etwas in den Originaltext Eingeschobenes (Interpolation) hin" (Neue-Welt-Übersetzung, S. 9).

Eines der auffallendsten Beispiele findet sich in Kolosser 1, wo sich die Wachtturm-Gesellschaft bemüht, Jesus als ein Geschöpf neben "anderen" Geschöpfen zu interpretieren, und das nicht im Griechischen stehende Wort "andere" hinzufügt.

Die sehr freien Übersetzungen der Wachtturm-Gesellschaft dienen dazu, ihre Lehren in die Bibel hineinzutragen und entgegenstehende Lehren, etwa über die Trinität, auszutilgen. Als Beispiele für solche freien und falschen Übersetzungen seien genannt:

- 1. Tim 4,1: "to pneuma legei" bedeutet: "Der Geist sagt". In der Neue-Welt-Übersetzung heisst es: "Die inspirierte Äußerung sagt." "Ruach" und "pneuma" werden auch an anderen Stellen immer wieder mit "wirksame Kraft" oder "inspirierte Äußerung" umschrieben, um jeden Gedanken an die Personalität des Heiligen Geistes auszuschalten.

- Röm 10,10: "kardia pisteuetai" bedeutet: "Mit dem Herzen glaubt man". In der Neue-Welt-Übersetzung heisst es: "Mit dem Herzen übt man Glauben." Hier wird der "Glaube" zu einem Werk innerhalb des mehrstufigen "Heilsweges" der Zeugen Jehovas reduziert.

- Röm 10,13: "Jeder, der den Namen des Herrn (to onoma kyríou) anrufen wird, soll gerettet werden." In der Neue-Welt-Übersetzung heisst es: "Jeder, der den Namen Jehovas anruft, wird gerettet werden."

- Röm 11,25: "Verstockung (pórosis) ist einem Teil Israels widerfahren." In der Neue-Welt-Übersetzung heisst es: "Eine Abstumpfung des Empfindungsvermögens (ist) Israel zum Teil widerfahren."

- 1. Kor 1,18: "Das Wort vom Kreuz (ho lógos tou staurou) ist eine Torheit". In der Neue-Welt-Übersetzung heisst es: "Das Wort über den Marterpfahl ist eine Torheit."

- 2. Petr 3,4: "Wo bleibt die Verheißung seines Kommens (he epangelía tes parousias autou)"" In der Neue-Welt-Übersetzung heisst es: "Wo ist diese seine verheißene Gegenwart?"

- 2. Petr 3,12: "... die ihr das Kommen des Tages Gottes (ten parousian tes tou theou heméras) erwartet und erstrebt". In der Neue-Welt-Übersetzung heisst es völlig widersprüchlich: "... indem ihr die Gegenwart des Tages Jehovas erwartet und fest im Sinn behaltet".

- Ein weiteres Kennzeichen ist die Einfügung des Jehova-Name ns anstelle des griechischen Wortes "kyrios" ("Herr") im Neuen Testament, welches dort in der Regel Jesus Christus als Gottes Sohn bezeichnet.

Treffend bezeichnet die "Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen" die Neue-Welt-Übersetzung der Wachtturm-Gesellschaft als "eine der gravierendsten Bibelfälschungen in der Geschichte der Christenheit" (Idea-Spektrum, 1.2.1986).

S. auch: Bibel; Spirituelle Interpretation; Neuoffenbarung; Zeugen Jehovas; Dreieinigkeit; Jehova-Name; Franz, Frederick William.

Lit.: L. Gassmann, Zeugen Jehovas, 2000.

Lothar Gassmann


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Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handbüchern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):

1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines Ökumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch

Weitere Handbücher (über Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de