Die Zeugen Jehovas vermeiden nicht nur den Genuss von Blut, etwa in Form von Blutwurst, sondern auch die Bluttransfusion, selbst in lebensgef�hrlichen Situationen. Das kann im konkreten Fall so weit gehen, dass sie einen Menschen lieber sterben lassen w�rden, der durch Bluttransfusion gerettet werden k�nnte, als ihn durch eine ihres Erachtens "s�ndhafte" und "geistig verunreinigende" �bertragung von fremdem Blut dem Tod zu entrei�en. Zeugen Jehovas tragen f�r den Notfall eine schriftliche "Vollmacht" bei sich, in der es heisst:
"Ich habe durch das Dokument zur �rztlichen Versorgung meinen Willen zum Ausdruck gebracht, nach allen Regeln der �rztlichen Kunst versorgt zu werden, jedoch mit folgender Einschr�nkung: Ich will auf keinen Fall, dass mir Bluttransfusionen (von Vollblut, Konzentrat aus roten Blutk�rperchen, von Plasma, wei�en Blutk�rperchen und Blutpl�ttchen) gegeben werden, selbst wenn �rzte das zur Erhaltung meines Lebens oder meiner Gesundheit f�r erforderlich halten. Diese Willenserkl�rung habe ich auf der Grundlage meines Selbstbestimmungsrechts als Patient auch f�r den Fall meiner Bewusstlosigkeit bzw. Handlungsunf�higkeit getroffen."
Solche religi�sen �berzeugungen, verbunden mit einer Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht, k�nnen �rzte und Pflegepersonal im konkreten Fall in schwere Gewissenskonflikte st�rzen. Sie stehen vor der Frage, ob die religi�se �berzeugung oder das Leben des Patienten Vorrang hat und ob sie sich die Behandlung (oder eher: Nichtbehandlung) in einem solchen Fall vorschreiben lassen k�nnen. Das "Institut f�r medizinische Anthropologie und Bioethik" in Wien hat sich mit der Problematik "Der Zeuge Jehovas als Patient" besch�ftigt und auf die Schwierigkeit einer eindeutigen Entscheidung in einem solchen Fall hingewiesen. Enrique H. Prat, der Gesch�ftsf�hrer dieses Instituts, zieht zwei M�glichkeiten in Erw�gung:
"... in der Notlage w�hrend der Operation selbst ... k�nnte man vom ethischen Standpunkt aus zwei Verhaltensweisen durchaus akzeptieren: einmal jene des Arztes, der sich vor der Operation abgesichert hat, n�mlich dass der Patient genau weiss, worauf er sich einl�sst und daher konsequent bis zum bitteren Ende die Operation ohne Blutkonserven durchf�hrt. Man m�sste aber auch unter Umst�nden das Verhalten jenes Arztes ethisch billigen, der sich � in der Notlage alleingelassen � f�r die Verabreichung von Blutkonserven entscheidet und zwar aus einer tiefen anthropologischen �berzeugung heraus, dass der Patient vor dem nicht mehr abzuwendenden Ende Blutkonserven zulassen w�rde" (Imago Hominis, Band II/ Nr. 1, 1995, 66).
Biblische Beurteilung:
In den Schriften des Alten und Neuen Testaments, aber auch in den B�chern und Ritualen vieler Religionen der Welt nimmt Blut eine wichtige Rolle ein. Blut ist f�r alle antiken Kulturen, auch f�r Israel, ein Element von besonderer Heiligkeit.
"Da Mensch und Tier verbluten k�nnen, sieht man im Blut den Lebensstoff schlechthin; die Seele (n�p�s), die auch die Tiere zu lebendigen Wesen macht (Gen 1,20; Lev 17,11), wohnt im Blut (Gen 9,4; Lev 17,11; Dtn 12,23)."
Religionen und Kulte verbinden mit dem Blut Vorstellungen zum Teil gegens�tzlicher Art:
Es ist Tr�ger von Geistern oder sch�tzt vor D�monen, es verunreinigt oder reinigt, es schadet oder n�tzt. W�hrend in Israels heidnischer Umwelt Blutgenuss (Trinken von Tier- oder Menschenblut) verbreitet und mit magischen Vorstellungen verbunden war (man wollte etwa die Lebenskraft des betreffenden Tieres oder Menschen in sich aufnehmen), waren solche Praktiken f�r Gott und sein Volk ein Gr�uel:
"Der Genuss des Blutes ist streng verboten (Gen 9,4; Lev 3,17; 7,26; 17,10-14; 19,26; Dtn 12,16.23; 15,23; vgl. 1. Sam 14,32-34; Ez 33,25)", ja sogar mit der Todesstrafe (Lev 7,27; 17,10-14) bedroht. Die Juden beachten daher bis heute strenge Sch�chtungsvorschriften, die das Ausbluten des Schlachttieres sichern. "Mit seiner j�dischen Mutterreligion teilt das fr�he Christentum den Abscheu vor Blutgenuss und Blutvergie�en."
Da dem Judenchristen "die Angst vor dem Blut des von den Heiden genossenen, nicht gesch�chteten Fleisches selbstverst�ndlich" ist, werden im Aposteldekret (Apg 15,20.29; 21,25) "die von den Heidenchristen geforderten Konzessionen gegen�ber der judenchristlichen Ablehnung unausgebluteten Fleisches" geregelt. Drei dieser vier Forderungen betreffen den Blutverzicht: "Meiden von G�tzenopferfleisch, von �Ersticktem`, d.h. nicht Gesch�chtetem..., und von Blut (genuss)" (TRE IV/1980, S. 729 ff.).
Im Neuen Testament wird � etwa in R�m 14 und 1. Kor 8 � das Essen von G�tzenopferfleisch, das zusammen mit dem "Blut" und "Erstickten" in Apg 15 vorkommt und selber Blut enthielt, in die pers�nliche Gewissensentscheidung jedes Einzelnen gestellt:
"Der eine glaubt, er d�rfe alles essen; wer aber schwach ist, der isst kein Fleisch. Wer isst, der verachte den nicht, der nicht isst; und wer nicht isst, der richte den nicht, der isst; denn Gott hat ihn angenommen ... Wer isst, der isst im Blick auf den Herrn, denn er dankt Gott; und wer nicht isst, der isst im Blick auf den Herrn nicht und dankt Gott auch ... Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Frieden und Freude in dem Heiligen Geist" (R�m 14,2 f. 6. 17).
"Nicht jeder hat die Erkenntnis. Denn einige, weil sie bisher an die G�tzen gew�hnt waren, essen`s als G�tzenopfer; dadurch wird ihr Gewissen, weil es schwach ist, befleckt. Aber Speise wird uns nicht vor Gottes Gericht bringen. Essen wir nicht, so werden wir darum nicht weniger gelten, essen wir, so werden wir darum nicht besser sein"
(1. Kor 8,7 f.).
Jesus selber hat sich gegen magische Vorstellungen von einer "Verunreinigung" durch bestimmte Speisen (und dazu geh�rt sicherlich auch die Aufnahme von Blut) gewandt, als er sagte:
"Es gibt nichts, was von au�en in den Menschen hineingeht, das ihn unrein machen k�nnte; sondern was aus dem Menschen herauskommt, das ist`s, was den Menschen unrein macht... Merkt ihr nicht, dass alles, was von au�en in den Menschen hineingeht, ihn nicht unrein machen kann? Denn es geht nicht in sein Herz, sondern in den Bauch, und kommt heraus in die Grube."
Damit erkl�rte er alle Speisen f�r rein. Und er sprach:
"Was aus dem Menschen herauskommt, das macht den Menschen unrein; denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen heraus b�se Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Arglist, Ausschweifung, Missgunst, L�sterung, Hochmut, Unvernunft. Alle diese b�sen Dinge kommen von innen heraus und machen den Menschen unrein"
(Mk 7,15.18-23).
Im 1. Timotheusbrief wird ausdr�cklich vor Irrlehrern gewarnt, die den Menschen neue Speisevorschriften �berst�lpen und ihnen einreden, ihr Heil hinge davon ab:
"Der Geist aber sagt deutlich, dass in den letzten Zeiten einige von dem Glauben abfallen werden und verf�hrerischen Geistern und teuflischen Lehren anh�ngen, verleitet durch Heuchelei der L�genredner, die ein Brandmal in ihrem Gewissen haben. Sie gebieten, nicht zu heiraten und Speisen zu meiden, die Gott geschaffen hat, dass sie mit Danksagung empfangen werden von den Gl�ubigen und denen, die die Wahrheit erkennen. Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet"
(1. Tim 4,1-5).
Mit allem Gesagten m�chte ich keineswegs zum Essen von Blutwurst und �hnlichem aufrufen, aber diese Frage an den richtigen Platz r�cken: Es ist eine Gewissensentscheidung des Einzelnen. Wer irgendwelche Bedenken � etwa von den genannten alttestamentlichen Stellen oder Apg 15 her � hat, m�ge darauf verzichten. Wer diese Dinge aber isst, darf wissen, dass sein Heil nicht an dieser Frage h�ngt. Das gilt in versch�rfter Weise f�r die Frage der Bluttransfusion. Wer sich Fremdblut �bertragen l�sst, geht nicht verloren. Er erh�lt keine fremde Seele von anderen Menschen (dieses magische Denken steht letztlich hinter dem Blutverbot der Wachtturm-Gesellschaft). �ber die Bluttransfusion, wie sie heute ge�bt wird, sagt die Bibel nichts. Mit heidnischen abscheulichen Gebr�uchen hat sie nichts gemeinsam, sondern es geht darum, Leben zu retten. Hier gilt eindeutig der schon im Alten Testament vorkommende Aufruf Gottes:
"Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer" (Hos 6,6),
den Jesus aufgreift und verst�rkt (Mt 9,13; 12,7 parr.) Hans-J�rgen Twisselmann bringt den Denkfehler der Wachtturm-Gesellschaft bez�glich dieser Frage treffend auf den Punkt:
"Gottes Blutverbot betonte die Heiligkeit des Lebens. Tierblut zu essen bedeutet daher, die Heiligkeit des Lebens geringzusch�tzen. Blutspenden und Blut�bertragen aber bedeutet, die Heiligkeit des Lebens zu achten und zu unterscheiden. Diese zwei grundverschiedenen Dinge auf eine Stufe zu stellen, grenzt an Menschenverachtung und Bosheit"
(Twisselmann, Jehovas Zeugen,1992, 59).
S. auch: Zeugen Jehovas.
von Lothar Gassmann
Lit.: L. Gassmann, Zeugen Jehovas, 2000.
Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handb�chern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):
1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines �kumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch
Weitere Handb�cher (�ber Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de