Der Jehova-Name wird von den Zeugen Jehovas in der "Neue-Welt-Übersetzung" (NWÜ) der Bibel eingefügt – und zwar an allen Stellen, wo er nach Ansicht der Zeugen Jehovas in anderen Bibelausgaben herausgenommen worden ist:
"Da die Bibel den heiligen Willen des Souveränen Herrn des Universums bekanntgibt, ist es eine große Schmach, ja eine Beleidigung seiner Majestät und Autorität, seinen einzigartigen Gottesnamen auszulassen oder zu verheimlichen, der in Wirklichkeit nahezu 7.000 mal als ... JHWH im hebräischen Text belegt ist. Das herausragendste Merkmal der vorliegenden Übersetzung besteht demnach darin, dass der göttliche Name wieder an seinem rechtmäßigen Platz im deutschen Text eingesetzt worden ist. Das wurde durch den Gebrauch der deutschen Form ´Jehova` erreicht, die 6.973 mal in den Hebräischen Schriften und 237 mal in den Christlichen Griechischen Schriften erscheint" (NWÜ, S. 7).
Nun ist auch der Wachtturm-Gesellschaft bekannt, dass die Aussprache des Gottesnamens heute nicht mehr eindeutig rekonstruierbar ist. Das nur aus Konsonanten bestehende hebräische Tetragramm (JHWH) findet sich in biblischen Handschriften, seine Aussprache aber ist unsicher. Das hängt vermutlich mit der Scheu der Juden zusammen, den heiligen Namen Gottes in den Mund zu nehmen. In der heutigen Theologie wird die Aussprache "Jahwe" bevorzugt, die sich aus der Verbindung des Tetragramms mit dem hebräischen Wort für "Herr", "adonai", am wahrscheinlichsten ergibt. Die Zeugen Jehovas (die sonst gar nicht kirchliche Traditionen mögen) wollen trotzdem an der Aussprache "Jehova" festhalten, da diese "die seit Jahrhunderten bekannte Form" sei (NWÜ, S. 1.624).
Allerdings haben schon Martin Luther und andere Bibelübersetzer der letzten Jahrhunderte im Alten Testament für das Tetragramm die Umschreibung "HERR" (oft großgeschrieben) gebraucht, und bereits in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der Septuaginta (LXX), wurde das Tetragramm in fast allen vorliegenden Handschriften durch "kýrios" ("Herr") wiedergegeben.
Die Wachtturm-Gesellschaft verwendet nun viel Scharfsinn darauf, nachzuweisen, dass das Tetragramm in den ältesten Ausgaben der Septuaginta enthalten gewesen und erst später (beginnend im 1. Jahrhundert nach Christus im Zusammenhang mit der Tempelzerstörung) "aus abergläubischer Furcht" von den Juden getilgt worden sei. In den "Christlichen Griechischen Schriften", die Zitate aus der Septuaginta enthalten, sei es daher auch zuerst erhalten gewesen und erst später ("irgendwann während des zweiten oder dritten Jahrhunderts u. Z.") entfernt worden. Warum diese Argumentation? Die Zeugen Jehovas bestreiten vehement die göttliche Dreieinigkeit – und das heisst:
die Wesenseinheit Jesu Christi und des Heiligen Geistes mit Gott dem Vater. Die Unterschlagung des Tetragramms und die Einführung des austauschbaren Kyrios-Titels hätten dazu geführt, Jesus Christus mit "Jehova" zu verwechseln – und das sei falsch.
Meine Antwort auf den Argumentationsgang der Wachtturm-Gesellschaft erfolgt in sechs Punkten.
1. Es muss gar nicht bestritten werden, dass sich das Tetragramm in alten Ausgaben der Septuaginta finden kann und (etwa in den Fouad-Papyri) auch findet – handelt es sich dabei doch um eine Übersetzung der Hebräischen Bibel, welche selbstverständlich das Tetragramm enthält (vgl. TBLNT I/1977, S. 660).
2. Im Unterschied zur Septuaginta existiert für das griechische Neue Testament unter Tausenden von Papyri nicht ein einziger Handschriften-Fund, in dem das Tetragramm erscheinen würde. Anderslautende Behauptungen sind reine Spekulation.
3. Ein hebräischer oder aramäischer "Urmatthäus" wurde zwar (auch schon bei Kirchenvätern) immer wieder erwähnt, ist aber als Vorstufe zum griechischen Matthäus-Evangelium nie gefunden worden, auch wenn sich seine frühere Existenz nicht mit Sicherheit ausschließen lässt. Die frühe Notiz bei Papias (zitiert bei: Euseb, hist. eccl. III, 39, 16), dass Matthäus sein Evangelium in "hebraidi dialekto" zusammenstellte (diese Notiz hat viele nachfolgende frühchristliche Autoren, etwa Hieronymus, beeinflusst), kann unterschiedlich gedeutet werden: "in hebräischer (oder eher: aramäischer) Sprache", möglicherweise aber auch: "in hebräisch-semitischem Stil". In der theologischen Forschung herrscht heute die Meinung vor, dass das Matthäus-Evangelium von Haus aus griechisch geschrieben sei. Angesichts der schwierigen Forschungslage müssen wir diese Frage offen lassen. Eines freilich steht fest:
Selbst falls es einen hebräischen oder aramäischen "Urmatthäus" gegeben haben sollte, ist damit nicht erwiesen, dass das darin möglicherweise enthaltene Tetragramm sich ursprünglich in der griechischen Ausgabe fand und später durch "kýrios" ersetzt worden sei. Solche Behauptungen sind reine Spekulation, welche die Grenze des Verifizierbaren überschreiten.
4. Verschiedene Forscher gehen davon aus, dass es sich bei einem von Hieronymus erwähnten aramäischen Evangelium um das apokryphe Nazaräer-Evangelium handelt, aus welchem sich bei verschiedenen Kirchenvätern Fragmente finden. Nach Ansicht von Hennecke/Schneemelcher (I/1987, S. 133) etwa erweist sich das aramäisch verfasste Nazaräer-Evangelium (NE)
"durch seinen literarischen Charakter dem kanonischen Mt gegenüber als sekundär; es stellt auch unter form- und traditionsgeschichtlichem wie unter sprachlichem Gesichtspunkt keinen Urmatthäus, sondern eine Weiterbildung des griechischen Matthäus-Evangeliums dar ... Terminus a quo ist demnach die Abfassung des Mt, terminus ad quem Hegesippus (180), der als erster die Existenz des NE bezeugt. Es wird in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts entstanden sein".
Falls die These von Hennecke/Schneemelcher stimmt, stellt also das Nazaräer-Evangelium eine Rückübersetzung des griechischen Mt ins Aramäische dar und besitzt im Hinblick auf die ursprüngliche Gestalt des Mt keinerlei Beweiskraft.
5. Keinerlei Beweiskraft hinsichtlich der ursprünglichen Gestalt der neutestamentlichen Schriften besitzen die 28 (weiteren) Rückübersetzungen aus dem Griechischen ins Hebräische oder Aramäische, welche die Wachtturm-Gesellschaft in der "Einführung" ihrer NWÜ (S. 11 f.) anführt. Die älteste stammt aus dem Jahre 1385, die jüngste aus dem Jahre 1986. Wenn hier gelegentlich das Tetragramm in das Neue Testament eingesetzt wird, so handelt es sich lediglich um eine nachträgliche Deutung des den entsprechenden Stellen zugrundeliegenden "theós"- oder "kýrios"-Begriffs durch den jeweiligen Autor. Ähnliches gilt für die "rätsel-, ja sogar sagenhaften, umstrittenen jüdisch-judenchristlichen Rezensenten bzw. Übersetzer Theodotion, Aquila und Symmachus", die "Textrevisionen" als Gegenreaktion auf die Usurpation der Septuaginta durch das frühe Christentum vornahmen (vgl. M. Hengel, in: Hengel/Schwemer, Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, 1994, 205 ff.).
6. Freilich kannten auch die Verfasser des Neuen Testaments aus dem Alten Testament und der jüdischen Tradition den Gottesnamen, aber sie verwendeten nicht das Tetragramm, sondern den Würdetitel "kýrios", den sie der ihr vorliegenden Septuaginta entnahmen und den sie bewusst auf Gott den Vater und auf Jesus Christus bezogen, um die Einheit des Sohnes mit dem Vater zu verdeutlichen Jesus ist Gott, er ist JHWH in seiner Offenbarungsform des Neuen Bundes. Das ist die einhellige Aussage des Neuen Testaments.
S. auch: Neue-Welt-Übersetzung; Dreieinigkeit; Zeugen Jehovas.
Lit.: L. Gassmann, Zeugen Jehovas, 2000.
Lothar Gassmann
Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handbüchern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):
1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines Ökumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch
Weitere Handbücher (über Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de