Unter dem Nationalsozialismus versteht man die nach dem Ersten Weltkrieg entstandene deutsche Variante des weltweit auftretenden Faschismus. Wenn der Nationalsozialismus von seiner Philosophie her auch faschistisch ist, wäre es aber eine Verharmlosung des Nationalsozialismus, ihn, wie es viele linke Politologen tun, mit dem Faschismus gleich zu setzen. Trotz antisemitischer Geisteshaltung war doch das Leben für Juden im faschistischen Italien freier und sicherer als im Einflussbereich des Nationalsozialismus.
- Der Nationalsozialismus trat in den 1920er Jahren des 20. Jahrhunderts als eine Spielart des italienischen Faschismus in Erscheinung.
Der österreichische Staatsbürger Adolf Hitler (1889-1945) trat 1919 der Deutschen Arbeiterpartei (DAP), einer rechten Splitterpartei in München, bei. Hitler war, obwohl eigentlich als Österreicher Ausländer, im 1. Weltkrieg Freiwilliger einer Bayrischen Wehrmachtseinheit. Am 16. Oktober 1919 hält er dort seine erste Rede bei der DAP. 1921 arbeitet er mit am neuen Parteiprogramm der zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) umbenannten DAP. Er wird zum wichtigsten Agitator der Partei. Zeitweise hält er täglich mehr als zehn Reden. Unter seiner Führung bekommt sie wachsenden Zulauf. Am 19. November 1923 verübt Hitler gemeinsam mit General Erich Ludendorff einen gescheiterten Putschversuch in München. Hitler wird mit fünf Jahren Festungshaft bestraft, von der er aber nur ein knappes Jahr verbüßt. Durch den Putsch und sein Auftreten beim Prozess überflügelt Hitler den alten General Ludendorff bald als Gallionsfigur der deutschen Rechtsextremen. Während der Zeit seiner Haft verfasst er gemeinsam mit seinem Sekretär und Stellvertreter Rudolf Hess sein Buch "Mein Kampf". Zwischen 1930 und 1932 wird seine Partei zur stärksten Kraft in Deutschland. Nach Jahren des Kampfes gegen die Weimarer Republik wird er 1933 Reichskanzler. Finanzhilfen für den Wahlkampf durch Teile der Industrie und die Unterschätzung seines Durchsetzungswillens durch deutschnationale und konservative Politiker halfen Ihm dazu. Gleichzeitig waren es aber die Versprechen von Arbeit und Wohlstand für die Masse der unter der Weltwirtschaftskrise leidenden Bevölkerung, die ihn 1933 zu einem Wahlerfolg von 48 % führte.
Nach der Machtergreifung gelingt es der NSDAP, die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland zu dämpfen und nach dem Ersten Weltkrieg verlorene Gebiete (Saarland, Rheinland) wieder voll ins Deutsche Reich zu integrieren. Über soziale Programme gelingt es den Nationalsozialisten, auch ursprünglich skeptische Deutsche einzubinden. Die verbleibende Opposition wird durch brutalsten Terror unterdrückt. Außenpolische Erfolge waren die Angliederung Österreichs und des Sudetenlandes. 1939 bricht der 2. Weltkrieg aus. Nach anfänglichen Siegen geht es ab 1943 rückwärts und endet mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945. Hitler nimmt sich am 30. April 1945 das Leben.
Ab 1946 finden die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse statt, in denen ein Großteil der NS-Führung verurteilt wird. Erst jetzt wird das Ausmaß der Verbrechen (KZs, Euthanasie, Kriegsverbrechen usw.) voll sichtbar. Das größte Verbrechen der Nationalsozialisten war die versuchte Ausrottung des jüdischen Volkes. Ihr fielen etwa 6 Millionen Juden aus ganz Europa zum Opfer. Vergleichbares gab es in keinem faschistischen Land der Welt. Waren die Juden schon seit der Machtergreifung der NSDAP vielen Diskriminierungen ausgesetzt, so begann die systematische Verfolgung mit der so genannten "Reichskristallnacht" 1938. Massenerschießungen in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten leiteten die Ausrottung ein. In speziellen Vernichtungslagern wurde die Ermordung der Juden fabrikmäßig betrieben. Sie ging direkt auf Hitlers Befehl zurück. Das gesamte nationalsozialistische System von Partei, SS und Behörden war direkt oder indirekt darin verwickelt.
Der Nationalsozialismus orientierte sich in seinen Anfängen stark am italienischen Faschismus. Gleichzeitig nahm er eine antisemitische Stimmung, die in Deutschland eine lange Tradition hatte, in sich auf. Der Nationalsozialismus orientierte sich an einer Verherrlichung des Germanentums, bis hin zur Übernahme keltischer und germanischer Rituale. Eine durch den Darwinismus neu aufgekommene Rassenlehre gab einen pseudowissenschaftlichen Überbau her. Philosophen wie Friedrich Nietzsche oder die Gedanken Richard Wagners prägten das Denken. In der Kunst herrschte eine Ästhetisierung des Realistischen bei gleichzeitiger Gigantomanie. Bildhauer wie Arno Breker, Architekten wie Albert Speer oder Filmemacher wie Leni Riefenstahl prägten die Kunst.
Dass der Nationalsozialismus so viel brutaler und extremer als der übrige Faschismus war, liegt möglicherweise an seinen Führern. Sie waren weiter von christlichen Einflüssen entfernt als faschistische Führer in anderen Ländern. Die Rückwendung zum germanischen Heidentum brachte eine Dämonisierung ihrer Ideen mit sich. Ein Hinweis darauf ist Hitlers krankhafter Größenwahn und sein abgrundtiefer Hass gegen die Juden.
Theoretische Werke des Nationalsozialismus waren vor allem: Adolf Hitlers "Mein Kampf", das er 1924 während einer Festungshaft verfasste, die er auf Grund eines missglückten Staatsstreiches in Landsberg am Lech verbüßen musste. Mitautor war Rudolf Hess (1894-1987). Alfred Rosenberg (1893-1946), der Leiter des "Völkischen Beobachters" und Chefideologe der NSDAP, schrieb 1930 "Mythos des 20. Jahrhunderts". Diese Schrift hatte eine besonders antichristliche Ausrichtung. Eine wichtige Rolle spielte in Deutschland das primitiv ausgerichtete antisemitische Hetzblatt "Der Stürmer" von Julius Schleicher (1946 hingerichtet). Außerdem wurde die NS-Ideologie besonders durch Reichspropaganda-Minister Joseph Goebbels (1897-1945) über Presse, Rundfunk und Großveranstaltungen vermittelt.
Wenn die enge Verwandtschaft des Faschismus mit dem Nationalsozialismus auch auf der Hand liegt, so sind doch auch Unterschiede zu bemerken.
- Der Nationalsozialismus verwendete von Anfang an eine am italienischen Faschismus orientierte Symbolik, angefangen bei den uniformierten Kampfverbänden der Sturmabteilung (SA) über die Straßenschlachten bis in das nationalistische Sprachgut ("Führer").
- Rassismus und >Blut-und-Boden-Mythologie werden im Nationalsozialismus Grundlage der Ausrottung und des Feldzuges gegen ideologisch und rassisch als minderwertig eingestufte Menschen und Menschengruppen. Hier ist der Nationalsozialismus extremer als der Faschismus. Dies hängt möglicherweise mit der psychischen Struktur des Führers Adolf Hitler zusammen.
- Der Antisemitismus wird das wichtigste Merkmal des Nationalsozialismus
Zwar waren auch von wichtigen faschistischen Protagonisten schon seit 1919 immer wieder antisemitische Parolen und Gedanken geäußert worden, aber erst nach der außenpolitischen Annäherung Italiens an Hitlerdeutschland wurde der Antisemitismus zur offiziellen Regimepolitik Mussolinis. In Deutschland prägte er das Gedankengut der NSDAP.
- Im Nationalsozialismus herrschte ein konsequenteres Führerprinzip als im Faschismus. In Italien gab es neben dem Duce noch den "Faschistischen Großrat" und den König.
- Im Nationalsozialismus war die Vorherrschaft der Partei gegenüber dem Staat maßgeblich. Die Institutionen des Staates wurden Werkzeuge der Partei. Der Faschismus in Italien schuf zwar eine Reihe neuer Institutionen, tastete aber die bestehende Ordnung nicht oder kaum an.
- Es gab im (italienischen) Faschismus keine wie im Nationalsozialismus ausgearbeitete Rassenideologie. Wo das Wort "Rasse" (razza) überhaupt benutzt wurde, hatte es zumindest bis 1938 oft keine biologische Bedeutung, sondern wurde in dem auch in Deutschland früher gebräuchlichen Sinn von "rassig" als "edel" benutzt, ohne auf Abstammung abzuheben. Nach 1938 allerdings verbreiteten sich auch im faschistischen Diskurs biologische Auffassungen immer stärker.
- Die faschistische "neue Ordnung" unterscheidet sich deutlich von dem vom Nationalsozialismus angestrebten Modell eines völkisch geordneten Rassenstaates.
- Hitler wollte den Staat und die Gesellschaft revolutionär verändern, während Mussolinis Regime einen starken Staat unter Einbindung der alten Eliten schuf (König, Adel).
- Die moderne Kunst wurde in Deutschland weitgehend als dem gesunden Volksempfinden fremd verworfen und als jüdisch entartet diffamiert. Im Gegensatz dazu unterstützte der modernistische Flügel des italienischen Faschismus Kunstrichtungen, die in Deutschland als "entartete Kunst" galten.
- Die Zahlen der politischen Opfer des italienischen Faschismus sind weitaus geringer als die des Nationalsozialismus. Im italienischen Faschismus wurden kaum Todesurteile gegen Regimegegner gefällt; dennoch ist nicht zu übersehen, dass auch das faschistische Regime Oppositionelle umbringen oder hinrichten ließ.
- Der Faschismus außerhalb Deutschlands ist im Allgemeinen nicht so extrem wir der deutsche Nationalsozialismus. Allerdings gab es im Krieg dann vergleichbar hartes Vorgehen in Rumänien, Kroatien, der Slowakei und anderen Staaten. Dies aber vor allem, weil der deutsche Einfluss immer größer wurde.
Der Nationalsozialismus zeigt etwas von der abrundtiefen Boshaftigkeit des menschlichen Herzens. Viele Deutsche, deren Nation durch 1000 Jahre christliche Prägung und den Einfluss biblischer Gebote eine Mäßigung der heidnischen Brutalität erfahren hatte, entpuppte sich als Handlanger des Bösen. Es scheint so, als hätten Hitler, Himmler und Goebbels unter besonders satanischem Einfluss gestanden. Aber auch die Hunderttausende, die direkt und indirekt in die NS-Verbrechen verwickelt waren, zeigen, wie wenig humanistische Kultur und christliche Tradition allein das Wesen des Menschen verändern. Die Erfahrungen des Nationalsozialismus müssten auch Nichtchristen von der Absurdität des Gedankens der Aufklärung, dass der Mensch von Natur aus gut sei, gelöst haben.
Christen können in Hitler und seiner Bewegung nur Vorläufer des letzten Antichristen sehen. So wie der Nationalsozialismus ein schlimmes Ende nahm, so werden auch der endzeitliche Antichrist und seine Anhänger ein schlimmes Ende nehmen (vgl. Offb 20,19-21).
Lit.: J. Fest, Hitler. Eine Biographie, 1973; F. Schaeffer, Wie können wir denn leben?, 1977.
Rainer Wagner
Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handbüchern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):
1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines Ökumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch
Weitere Handbücher (über Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de