Die Mormonen fallen schon durch ihre gewichtige Selbstbezeichnung auf: "Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage". Die im ersten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts gegr�ndete Glaubensgemeinschaft der Mormonen hat im nordamerikanischen Staat Utah, in Salt Lake City, ihr Zentrum. Das typisch Nordamerikanische zeigt sich im pragmatischen und von Pioniergeist gepr�gten Charakter dieser "Kirche", bei der Repr�sentation und Fortschritt, aber auch Volksn�he gross geschrieben sind.
Der 1805 in Sharon, Vermont, geborene Bauersohn Joseph Smith stammte aus bescheidenen Verh�ltnissen. Smith wurde von der Tatsache der Existenz verschiedener Denominationen sehr verunsichert. Durch verschiedene Visionen, in denen ein gewisser "Engel" mit Namen Moroni eine gro�e Rolle spielte, erhielt Smith angeblich Anweisungen zur Auffindung von geheimnisvollen "Goldenen Platten" in der N�he des Dorfes Manchester, New York. Die in Geheimschrift abgefassten Texte vermochte Smith mit einer dazu gelieferten Brille zu �bersetzen. Das auf den "Goldenen Platten" Geschriebene, vor allem aber auch die an Smith ergangenen Privatoffenbarungen bilden die lehrm��ige Substanz zu dem aus 15 B�chern bestehenden "Buch Mormon", aber auch zu den beiden Werken "Lehre und B�ndnisse" ("Doctrine and Covenant") sowie zu "die Perle des gro�en Preises" (Pearl of great Price). Infolge der von Smith inszenierten Zerst�rung einer Buchdruckerei wegen ihrer Ver�ffentlichung kritischer Artikel �ber die Mormonen landete Smith im Gef�ngnis. Dort wurde er von ihm feindlich gesinnten M�nnern 1844 erschossen.
Gott, der Himmlische Vater, entwickelte sich aus einem gew�hnlichen Menschen zu einem h�chsten Wesen, neben welchem es aber eine gro�e Anzahl niedrigerer Gottheiten gibt, die sich auch aus menschlichen Wesen empor entwickelt haben. Der himmlische Vater hat einen aus Knochen und Blut bestehenden K�rper, auch sexuelle Bed�rfnisse sind ihm eigen. Keiner der Gottheiten ist Sch�pfer Himmels und der Erden. Die Materie gibt es seit Ewigkeit. Die h�chste Gottheit hat lediglich die bereits bestehende Materie geordnet. Bei allen Gottheiten nimmt die Weisheit best�ndig zu. Deshalb kann bei Gott nicht von Allwissenheit gesprochen werden.
Jesus ist ein pr�existentes Geisteswesen wie alle Menschen auch. Jesu Kreuzestod hat kaum mit Tilgung von Schuld und Gerechtmachung vor Gott zu tun. Sein Kreuzestod hat in erster Linie Voraussetzungen zur H�herentwicklung der Menschen ge-schaffen. Jesus ist also nicht Vers�hner zwischen dem Himmlischen Vater und den Menschen. Jesu Verdienst ist es, den Menschen eine Starthilfe zu h�herer ethischer Entwicklung gegeben zu haben. Die Mormonen anerkennen die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu, attestieren ihm sogar S�ndlosigkeit.
Der "HI. Geist" ist ein reiner Geist ohne jegliche K�rperlichkeit. Der "HI. Geist" wird vom "Geist Gottes" deutlich unterschieden. Der "Geist Gottes" ist in allen Menschen als eine Art mit Elektrizit�t zu vergleichender Kraft anwesend. Der "HI. Geist" als Person kann nur durch einen melchisedekischen Priester auf andere Menschen �bertragen werden.
Alle Menschen befanden sich vor ihrer irdischen Verk�rperung in einem Zustand reiner Geister. Der Mensch ist nach Gottes Ebenbild geschaffen. Zum wahren Menschsein geh�rt aber die K�rperlichkeit, welche wesentlich zur Ebenbildlichkeit Gottes geh�rt. Nur im Zustand einer irdischen Verk�rperung ist Vermehrung und Entwicklung m�glich. Dank dem S�ndenfall gibt es menschliche K�rper und somit Vermehrung und Entwicklung. So werten die Mormonen den "S�ndenfall" als ein gl�ckliches Ereignis. Der ethische Hauptauftrag der Menschen auf Erden ist, m�glichst viele Kinder zu haben, um dadurch pr�existenten Seelen die M�glichkeit zur Verk�rperung zu geben und in der Folge die M�glichkeit zur H�herentwicklung bis zur Stufe der Gottheit. Unverheiratete Personen haben in der mormonischen Gesellschaft einen niedrigeren Rang. Die Mormonen betonen sehr stark Ehe und Familie. Alle Erkenntnis und alles Bem�hen des Menschen ist gut, wenn es dem Fortschritt dient. Unter Fortschritt ist all das zu verstehen, was das Leben des Menschen angenehmer macht. Die Mormonen halten sehr viel von einem Lebensstil, bei welchem Flei�, Ordnung und Ehrfurcht vor dem Leben gro� geschrieben sind.
Bei den Mormonen haben wir es mit einer streng hierarchisch strukturierten Kirche zu tun, in der es gew�hnliche Priester gibt, die sog. aaronitischen Priester, aber auch ein besonderes Priestertum, das melchisedekische. Die aaronitischen Priester sind zust�ndig f�r die Belange des diesseitigen Lebens. Sie haben diakonische Aufgaben; sie predigen auch und teilen Abendmahl aus, was in s�kularen Versammlungsr�umen geschieht. Am Werktag tun sie Besuchsdienste unter ihren Glaubensgenossen.
Ein melchisedekischer Priester k�mmert sich um die Angelegenheiten des Jenseits. Er verwaltet verschiedene Sakramente, die nur im Tempel zum Tragen kommen.
Die geheimnisvollen Sakramente im Tempel k�nnen nur durch melchisedekische Priester gespendet werden. Mit der Totentaufe k�nnen Familienangeh�rige oder Verwandte, die noch nicht zur Mormonengemeinschaft geh�ren, in diese eingegliedert werden.
Melchisedekische Priester verbinden durch die "Siegelung" Mann und Frau zu einer Ehe, die im Jenseits fortbesteht. Nur Menschen, die mit einer Frau f�r alle Ewigkeit versiegelt sind, k�nnen schlussendlich die Stufe der Gottheit erreichen.
Beim Endowment geht es um eine Art Katechese, also um eine Erteilung von Unterricht f�r verstorbene Verwandte oder Bekannte von Mormonen, welche die Lehre von Joseph Smith zu Erdenzeiten nicht kennen gelernt haben. Durch diesen Unterricht (Endowment) sollen sie noch im Jenseits f�r den Mormonenglauben gewonnen werden. In diesem Zusammenhang betreiben die Mormonen die weltweit gr��te genealogische Forschung. Hunderttausende von Adressen von Verstorbenen werden in atomsicheren Bunkern aufbewahrt.
Die Tempelzeremonien geh�ren zum Wichtigsten. Die Rituale sind stark von >Freimaurern beeinflusst worden. Die Tempelr�ume wiederspiegeln die jenseitigen R�umlichkeiten, die scharf von einander getrennt sind.
Die Rettung besteht im Erreichen hoher Stufen. Dazu ist f�r M�nner das Amt des melchisedekischen Priestertums n�tig und f�r die Frauen die Siegelung mit einem melchisedekischen Priester, so dass im Jenseits die Ehe weiterbesteht. (Eheloses Jenseits heisst soviel wie ein ungl�cklicher Zustand.) Dieses hohe Ziel erreicht man nur durch gro�e ethische Anstrengungen. Schlie�lich ist die volle Rettung erreicht, wenn Menschen zur Stufe der Gottheit gelangt sind.
Die Mormonen verkaufen sich sehr gut mit ihrer fr�hlichen und weltbejahenden Art. Sie pflegen Feste und Kultur, sind auf gute Schulung und soziale Leistungen bedacht. Junge M�nner werden in die ganze Welt als Missionare ausgesandt. Dadurch gehen ihnen viele T�ren auf. Man rechnet weltweit mit �ber 10 Millionen Mormonen.
Bei den Mormonen kommt ein wichtiges Kriterium f�r die Zuordnung zur Sekte zum Tragen, wenn wir bedenken, dass zur HI. Schrift gleichwertig die Offenbarungen von Joseph Smith kommen (Neuoffenbarung).
Von der Bibel her ist die Idealisierung des S�ndenfalls nicht haltbar. Die Schuld des Menschen vor Gott wird nicht ernst genommen. S�nde ist nach mormonischer Auffassung eben nicht die sich gegen Gott auflehnende Haltung des Menschen, sondern Schuld und S�nde werden in erster Linie als Handlungen gesehen, welche den Fortschritt hindern.
Nach der HI. Schrift ist Gott Vater nicht ein Wesen mit Knochen, Fleisch und Blut. In Joh.4,24 wird deutlich gesagt, dass Gott Geist ist, und die Ihn anbeten, m�ssen Ihn in Geist und Wahrheit anbeten.
Von der Ewigkeit der Materie wird in der Bibel nichts gesagt. 1.Mose 1 stellt Gottes Sch�pferkraft vermittels Seines Wortes auf den Leuchter:
"Gott sprach, und es geschah."
Nirgends finden wir in der HI. Schrift eine Best�tigung f�r die Behauptung, der Mensch k�nne sich zu Gott empor entwickeln. Der Mensch mit seinem Gr��enwahn wird unmissverst�ndlich in die Schranken verwiesen. Hes 28,1-9 f�hrt uns in eindr�cklicher Weise vor Augen, was mit Menschen geschieht, die sich selber verg�ttern. Schlie�lich warnt die Bibel ernsthaft vor okkulten Machenschaften, beispielsweise in 5. Mose 18,9-14. Die Mormonenkirche betreibt mit ihren Tempelzeremonien vor allem den in der HI. Schrift verbotenen Totenkult.
Literatur: Quellen: Das Buch Mormon; William E. Berrett, Seine Kirche wiederhergestellt, 1972 (eine Darstellung aus der Sicht der Mormonen). � Kritisch: S. Leuenberger, Mormonen, Heilige der letzten Tage?, 2000 (mit Quellenangaben); H. M. Friedrich, Die gef�lschte Offenbarung, 1999.
Samuel Leuenberger
Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handb�chern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):
1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines �kumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch
Weitere Handb�cher (�ber Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de