Von der Zeit der ersten Jünger und Apostel bis zu Christi Wiederkunft ergibt sich aus dem Handeln, Sterben und Auferstehen Jesu Christi die Erkenntnis: In Jesus handelt Gott. Wer an Jesus, den Christus, glaubt, der glaubt, dass "Gott in Christus" ist (2. Kor 5,19). Diese Erkenntnis gab es bereits beim irdischen Jesus. Petrus bekannte bei Cäsarea Philippi:
"Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn"
(Mt 16,16; vgl. auch Mk 8,29; Lk 9,20; Joh 6,69).
Als es am wenigsten danach aussah, in Jesus sei Gott am Werk, und die meisten Juden nach ihrem Gesetzesverständnis in ihm einen von Gott Verfluchten erblickten
(5. Mose 21,23: "Denn ein Aufgehängter ist verflucht bei Gott", vgl. auch Gal 3,13),
da bekannte ausgerechnet ein heidnischer römischer Hauptmann unter dem Kreuz: "Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!"
(Mt 27,54; vgl. auch Mk 15,39; Lk 23,47: "Dieser ist ein frommer Mensch gewesen").
Ganz deutlich spricht ausgerechnet der sog. "ungläubige Thomas" die Gottheit Christi an:
"Mein Herr und mein Gott!" (Joh 20,28)
Die älteste Gemeinde ging bereits davon aus, dass in Jesus Gott da ist und sich in ihm in die Welt inkarniert, in Jesus Mensch wird. Dies wird in den christologischen Hoheitstiteln deutlich, die auf ihn Anwendung finden:
Die Präexistenz Jesu wird bereits in der frühchristlichen Gemeinde vorausgesetzt (Joh 1,1 f.; 17,5; Röm, 8,3; 1. Kor 8,6; Gal 4,4; Phil 2,6), ebenso die Einheit von Vater und Sohn (Joh 1,1; 10,30). Dabei handelt es sich nicht allein um eine Offenbarungseinheit, sondern um eine Wesenseinheit. Die Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria, welche das Neue Testament und damit in Übereinstimmung die Bekenntnisse der Kirche festhalten, ist als seine Inkarnation und nicht als die Beschreibung des Ursprungs des Gottessohnes zu verstehen; diese hat er in der Ewigkeit Gottes.
Dennoch sah sich die frühe Kirche genötigt, eine Verhältnisbestimmung von Vater und Sohn vorzunehmen, denn sie musste, gerade in Begegnung und Auseinandersetzung mit den Religions- und Geistesströmungen ihrer Zeit, sowohl ausdrücken, was Jesus und den Vater verbindet, als auch, was ihn unterscheidet. Die der apostolischen Zeit folgenden sog. Apostolischen Väter erkannten in Jesus, dem Christus, vor allem Gott. Fast gleichzeitig breitete sich eine Bewegung aus, in der Jesus vor allem als Mensch gesehen wurde, und die als >Ebionitismus bezeichnet wurde. Deren Anschauung wurde ab Mitte des 3. Jahrhunderts von den Adoptianern weiterentwickelt. Demnach wäre Jesus erst zu Gottes Sohn geworden (etwa durch seine Taufe) und nicht seit Uranfang gewesen. Doch der >Adoptianismus in all seinen Ausformungen wird der Wirklichkeit Jesu nicht gerecht, da die göttliche Vollmacht Jesus von allem Anfang an zukommt.
Seit Mitte des zweiten Jahrhunderts traten die sog. Apologeten in Erscheinung. Sie waren darum bemüht, die christliche Botschaft in der damaligen Zeit zu vermitteln und bedienten sich deshalb der gängigen philosophischen Begriffe und Vorstellungen. Den Begriff Logos / Wort, der bei Johannes vorkommt (z. B. Joh 1,1; 1. Joh 1,1) kannte auch die griechische Philosophie. Damit ließ sich die Präexistenz Jesu für die griechische Welt verständlich ausdrücken.
Der Arianismus, genannt nach dem Presbyter Arius (um 320 n. Chr.), bestritt nicht die Präexistenz Jesu, aber seine Ewigkeit. Der Logos ist nicht gleich ewig wie der Vater, sondern von diesem geschaffen. Das bedeutete, der Sohn hätte nicht zu Gott, sondern zur Schöpfung gehört. Demgegenüber vertrat Athanasius: Der Logos, der Mensch wurde, ist gleich ewig und wahrhaft Gott. Das Trinitätsdogma im 4. Jahrhundert fasst die Wesenseinheit Jesu mit Gott sachgemäß in die Formulierung:
"wahrhaftiger Gott aus wahrhaftigem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater" (Dreieinigkeit).
Mit dieser Formulierung und der Ablehnung des Arianismus war die Auseinandersetzung nicht abschließend entschieden, sondern neue Auseinandersetzungen herbeigeführt. Apollinaris von Laodicea lehrte, zwei in sich vollkommene Wesenheiten könnten nicht eins werden. Er ersetzte die menschliche Seele Christi durch den Logos, um zwei Subjekte in Christus zu vermeiden. Damit wäre die menschliche Natur Christi unvollständig, weshalb Apollinaris verurteilt wurde. Im Gegensatz zu Apollinaris, der die menschliche Natur unterbetonte, ging Nestorius den entgegengesetzten Weg, wollte jegliche Vermischung der beiden Naturen Christi vermeiden und betonte allein die menschliche Natur, um deren Vergöttlichung zu entgehen. Demgegenüber lehrte Cyrill von Alexandrien, dass in der göttlichen Natur Christi die menschliche so innig aufgenommen ist, dass von einer einzigen – nämlich göttlichen – Natur bei Christus gesprochen werden könne.
Zu berücksichtigen blieb, dass Jesus zwei Naturen hat und andererseits die ganze Gottheit im Menschen Jesus ist. Das Konzil von Chalcedon (451 n. Chr.) bekannte sich zum "Dyophysitismus" (Zwei-Naturen-Lehre) und wies diejenigen Christologien zurück, die nicht die Zweiheit der Naturen und die Einheit der Person Christi festhielten. Seit Leo I. (der Große) (Papst 440-461) setzte sich in der Westkirche der Gedanke durch, dass zur Erlösung die Menschheit Jesu lediglich als handelndes Organ tätig war. Damit war die menschliche Natur Christi ganz passiv gedacht und durch ihre Sündlosigkeit bestimmt (Jungfrauengeburt), während Christus seiner göttlichen Natur nach handelt.
Auf dieser Linie lag durchaus Anselm von Canterburys (1033-1109) Satisfaktionslehre noch, auch wenn sich eine Verschiebung ergab. Danach muss der Mensch für die Sünde des Menschen Satisfaktion leisten, aber nur Gott konnte sie leisten. Eine von Gott unterschiedene Person, die zweite der Trinität, also Christus, der Gott-Mensch, hat sie geleistet, weil nur er in der Lage war, den Zorn Gottes wegen der Sünde zu besänftigen.
Die Reformatoren hielten an christologischen Dogmen der vier ersten Konzilien fest (ökumenische Konzilien) und brachten damit zum Ausdruck, dass sie an dieser Stelle keinen Unterschied zu den Altgläubigen erkannten. Jedoch bestanden zwischen den Reformatoren hinsichtlich der Zwei-Naturen-Lehre Differenzen. Luther lehrte, dass Gott selbst für uns starb, weil die Gemeinschaft der Naturen in Christus besage, jede Aussage sei auf die ganze Person zu beziehen. Dagegen lehrten Zwingli und Calvin, am Kreuz sei lediglich die menschliche Natur Christi gestorben. Die Allgegenwart (Ubiquität) gilt auch von der Menschheit Christi. Deshalb kann er im Abendmahl wahrhaft gegenwärtig sein und ebenso im Himmel. Der Abendmahlsstreit zwischen Luther und Zwingli als auch der zwischen lutherischen Theologen der folgenden Generation (en) und Calvin und dessen Anhängern, ist letztlich eine christologische Auseinandersetzung gewesen.
Der Austausch der Eigenschaften (communicatio idiomatum) ist Grund für die (persönliche) Vereinigung der beiden Naturen in der einen Person Christi. Die Menschheit Christi ist zur göttlichen Majestät erhöht, die Gottheit in die Menschheit hinein gegeben. Strenge Lutheraner hielten fest, dass die Inkarnation selbst keine Erniedrigung ist, sondern die Erhöhung der Gemeinschaft mit Gott. Die eigentliche Erniedrigung (vgl. Phil 2,7) ist die Tat des Mittlers (Kenosis). Dabei macht die Menschheit Christi keinen Gebrauch von den göttlichen Idiomata, sondern nimmt gehorsam die Sünde der Menschen auf sich. In diesen Zusammenhang gehörte die Auseinandersetzung zwischen den Tübinger und Gießener Theologen (1618-1624). Im Unterschied zu den Tübingern vertraten die Gießener, Christus habe tatsächlich die göttlichen Idiomata abgelegt, womit Jesus ein gewöhnlicher Mensch geworden wäre. Dem widersprachen die Tübinger, Kryptiker genannt, in Übereinstimmung mit der Konkordienformel (VIII).
Mit der Aufklärung geriet die herkömmliche, klassische Christologie in eine ungeheure Krise. Sie, und damit auch die Zweinaturenlehre, wurden zumindest von einem Großteil der protestantischen Theologen nicht mehr festgehalten. Die empirisch, kritisch und autonom ausgerichtete Vernunft verwarf Wunder, Übernatürliches und Metaphysisches. Deshalb wandte man sich dem historischen Jesus, meist freilich unter Absehung des Wunderhaften, zu; er war vor allem als Mensch interessant. Friedrich >Schleiermacher (1768-1834), der Ahnherr liberaler Theologie schrieb Jesus ein urbildliches Gottesbewusstsein zu:
Jesus war für ihn der geschichtliche Urheber der christlichen Gemeinschaft. Mehr als Vorbildfunktion im religiösen Bewusstsein hat Jesus nicht mehr. Sein Erlösungswerk hat faktisch keine Bedeutung mehr. Von da aus war es beinahe konsequent, eine neue Christologie aufgrund des hypothetisch erschlossenen Selbstbewusstseins Jesu zu schreiben, wie dies Albrecht Ritschl (1822-1888) tat, oder aber eine Geschichte des Lebens Jesu zu schreiben, wie dies in der Leben Jesu Forschung geschah, welche dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch das bahnbrechende Werk Albert Schweitzers (1875-1965) "Geschichte der Leben Jesu Forschung" (1. Aufl. 1906 unter dem Titel: "Von Reimarus zu Wrede"; seither des öfteren aufgelegt) zum Erliegen kam.
Theologisch beachtet (z. B. von Marheinecke, 1780-1846) wurde >Hegels spekulative Idee, die allerdings nicht frei von >Doketismus zu sein scheint, dass Gott mit dem Menschen zusammengedacht werden müsse. Die durch den Gottmenschen in die Geschichte gekommene Idee versuchte man mit der "klassischen" Christologie zusammenzubringen.
Zur Beurteilung: Jesus Christus; Inkarnation; >Doketismus; Arianismus; >Adoptianismus; >Ebionitismus; >Nestorianismus; >Chalkedonense; >Nicäno-Constantinopolitanum.
Lit.: K. Aland, Die Frühzeit der Kirche in Lebensbildern, 5. Aufl. 1990; ders. Die Geschichte der Kirche. Band 1. Von den Anfängen bis an die Schwelle der Reformation, 2. Aufl. 1991; K. Beyschlag, Grundriss der Dogmengeschichte, Band 1: Gott und Welt, 1988; Band 2: Gott und Mensch, Teil 1: Das christologische Dogma, 1991; H. Chadwick, Die Kirche in der antiken Welt; Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte, Band 1, hg. v. C. Andresen u. a., 1982; B. Lohse, Epochen der Dogmengeschichte, 5. Aufl. 1983
Walter Rominger
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6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
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