Erlösungslehre
der Römisch-Katholischen Kirche

Klick auf den Kompass öffnet den IndexA. Grundlegendes

Die katholische Erlösungslehre (Soteriologie) beruht auf dem Zusammenwirken von Natur und Gnade – gemäß dem scholastischen Axiom ‘Gratia non destruit, sed supponit et perficit naturam.’ = ‘Die Gnade zerstört nicht die Natur, sondern ergänzt und vollendet sie.’ Dahinter steht die katholische Bindestrichtheologie ("sowohl – als auch", "und") sowie die ‘analogia entis’-Lehre, die Lehre von der Entsprechung des geschaffenen Seins zum Schöpfer. Dies ist die Annahme, dass im Menschen in seiner Gottebenbildlichkeit etwas dem Schöpfer Entsprechendes angelegt ist, ein unverlierbar gnadenhaftes, ja geradezu göttliches Element. Die Gnade zerstört also nicht die Natur, sondern setzt sie voraus und vollendet sie.

Wir kennen diese Diskussion auch im evangelischen Bereich, etwa zwischen Emil Brunner und Karl Barth. Brunner postulierte in seiner Schrift "Natur und Gnade" die Anknüpfung des Gnadenwirkens Gottes an die geschaffene Natur, was Barth rigoros ablehnte (vgl. Barths Antwortschrift mit dem plakativen Titel "Nein"). Barth warf Brunner folgerichtig katholisierendes Denken vor. Brunner seinerseits kritisierte an Barth, dass dieser über dem Geschöpflichen schwebe in einer christomonistischen Sphäre, die mit dem geschaffenen Sein so gut wie nichts mehr zu tun habe.

Im neuen Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) wird dementsprechend festgestellt, dass die menschliche Natur "nicht durch und durch verdorben, wohl aber in ihren natürlichen Kräften verletzt" sei. Sie sei "der Verstandesschwäche, dem Leiden und der Herrschaft des Todes unterworfen und zur Sünde geneigt". Diese Neigung zum Bösen heiße "Konkupiszenz". Die Aufgabe der Taufe beruhe darin, das Gnadenleben Christi zu spenden, die Erbsünde zu tilgen und den Menschen wieder auf Gott auszurichten (KKK Nr. 405).

Die Taufe besitzt nach katholischem Verständnis also eine unterstützende Funktion, um dem Menschen die Wiederversöhnung mit Gott zu ermöglichen. Mit ihrer Lehre bewegt sich die katholische Theologie zwischen Pelagius und Luther, worauf auch hingewiesen wird in Nummer 406 des Katechismus. Da heißt es:

"Pelagius vertrat die Ansicht, der Mensch könne allein schon durch die natürliche Kraft seines freien Willens, ohne der Gnadenhilfe Gottes zu bedürfen, ein sittlich gutes Leben führen, und beschränkte so den Einfluß der Sünde Adams auf den eines schlechten Beispiels. Die ersten Reformatoren dagegen lehrten, der Mensch sei durch die Erbsünde von Grund auf verdorben und seine Freiheit sei zunichte gemacht worden. Sie identifizierten die von jedem Menschen ererbte Sünde mit der Neigung zum Bösen, der Konkupiszenz, die unüberwindbar sei" (KKK Nr. 406).

Die katholische Theologie spricht von der "großen Anstrengung", die der Mensch aufbringen müsse, um diese Konkupiszenz, also die Neigung zum Bösen, zu überwinden, die eben nicht als radikal, sondern nur als Schwächung der menschlichen Natur gesehen wird. Und so heißt es unter Nummer 409 des römischen Katechismus, der Mensch könne "nicht ohne große Anstrengung in sich mit Gottes Gnadenhilfe die Einheit erlangen."

B. Unterscheidung zwischen Todsünde und lässlicher Sünde

Voll in Übereinstimmung mit diesem theologischen Ansatz ist die Lehre, dass es verschiedene Grade, verschiedene Arten von Sünde gäbe. Insbesondere wird unterschieden zwischen Todsünde und lässlicher Sünde. Unter Nummer 1854 heißt es im katholischen Katechismus:

"Die Sünden sind nach ihrer Schwere zu beurteilen. Die schon in der Schrift erkennbare Unterscheidung zwischen Todsünde und lässlicher Sünde wurde von der Überlieferung der Kirche übernommen, die Erfahrung der Menschen bestätigt sie."

Es wird hingewiesen auf 1. Johannes 5, 16-17. Da heißt es:

"Wenn jemand seinen Bruder sündigen sieht, eine Sünde nicht zum Tode, so mag er bitten; und Gott wird das Leben geben denen, die nicht sündigen zum Tode. Es gibt aber eine Sünde zum Tode, bei der sage ich nicht, daß jemand bitten soll. Jede Ungerechtigkeit ist Sünde, aber es gibt Sünde nicht zum Tode."

Die katholische Theologie deutet von dieser Stelle ausgehend die Unterscheidung folgendermaßen in KKK Nr. 1855:

"Die Todsünde zerstört die Liebe im Herzen des Menschen durch einen schweren Verstoß gegen das Gesetz Gottes. In ihr wendet sich der Mensch von Gott, seinem letzten Ziel und seiner Seligkeit, ab und zieht ihm ein minderes Gut vor. Die läßliche Sünde läßt die Liebe bestehen, verstößt aber gegen sie und verletzt sie."

Im Römischen Katechismus wird in den Nummern 1856 f. noch weiter differenziert zwischen Todsünde und lässlicher Sünde. Zunächst zur Todsünde:

"Da die Todsünde in uns das Lebensprinzip, die Liebe, angreift, erfordert sie einen neuen Einsatz der Barmherzigkeit Gottes und eine Bekehrung des Herzens, die normalerweise im Rahmen des Sakramentes der Versöhnung erfolgt."

Welches >Sakrament ist das? Es ist die Beichte in Verbindung mit dem Abendmahl bzw. der Eucharistie. Für eine Todsünde müssen drei Bedingungen erfüllt sein:

"Eine Todsünde ist jene Sünde, die eine schwerwiegende Materie zum Gegenstand hat und die dazu mit vollem Bewußtsein und bedachter Zustimmung begangen wird" (KKK Nr. 1857).

Eine schwerwiegende Materie bezieht sich etwa auf den Bruch der Zehn Gebote, wobei gesagt wird, dass ein Mord schwerer wirkt als ein Diebstahl, eine Gewalttat gegen die Eltern wirkt schwerer als die gegen einen Fremden (KKK Nr. 1858). Solche Unterscheidungen werden getroffen. Sodann erfordert eine Todsünde "volle Erkenntnis und volle Zustimmung" (KKK Nr. 1859). Sie setzt also einen bewussten Willensakt voraus. Und schließlich wird auch gesagt, daß unverschuldete Unkenntnis die Verantwortung für ein schweres Vergehen vermindern, wenn nicht sogar aufheben kann. "Die Sünde aus Bosheit, aus überlegter Entscheidung für das Böse wirkt am schwersten" (KKK Nr. 1860). Wir kennen auch in der Rechtsprechung z.B. die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag. Das ist sicherlich begreiflich, worin liegt nun aber der Unterschied zur lässlichen Sünde?

"Eine läßliche Sünde begeht, wer in einer nicht schwerwiegenden Materie eine Vorschrift des Sittengesetzes verletzt oder das Sittengesetz zwar in einer schwerwiegenden Materie, aber ohne volle Kenntnis oder volle Zustimmung übertritt" (KKK Nr. 1862).

Während die Todsünde den Verlust der göttlichen Tugend, der Liebe und der heiligmachenden Gnade, d. h. des Standes der Gnade, nach sich zieht, zieht eine lässliche Sünde lediglich "zeitliche Strafen" nach sich, die dann durch Ablass oder Bußleistungen ausgeglichen werden können (KKK Nr. 1863). Sie muss allerdings bereut werden und Umkehr muss erfolgen. Es wird dann im Katechismus unter Nummer 1864 auch auf die Lästerung des Heiligen Geistes hingewiesen:

"Wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern seine Sünde wird ewig an ihm haften (Mk 3,29)."

Die lässliche Sünde wiegt zwar geringer als die Todsünde, aber sie ist trotzdem gefährlich, weil sie – so der Katechismus Nummer 1865 f. – "einen Hang zur Sünde" schafft. "Wiederholung der gleichen bösen Taten erzeugt das Laster. Es kommt zu verkehrten Neigungen, die das Gewissen verdunkeln und das konkrete Urteil über Gut und Böse beeinträchtigen."

Das ist sicherlich nicht falsch, aber man bemerkt hier den aristotelischen Einfluß in der katholischen Theologie, wo doch die "Metaphysik der Sitten" des Aristoteles das Gleiche schon vor zweieinhalbtausend Jahren deutlich gemacht hat.

Welches sind die Hauptsünden nach katholischer Lehre? Es sind Stolz, Habsucht, Neid, Zorn, Unkeuschheit, Unmäßigkeit und Trägheit (KKK Nr. 1866).

Beurteilung: In der Parallelstelle zu 1. Johannes 5, 16-17 – und zwar in Matthäus 12, 31 – ist auch von der Sünde die Rede ist, die nicht vergeben wird, aber sie wird hier ausdrücklich gekennzeichnet als die Lästerung gegen den Geist Gottes:

"Darum sage ich euch: Alle Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben; aber die Lästerung gegen den Geist wird nicht vergeben. Und wer etwas redet gegen den Menschensohn, dem wird es vergeben; aber wer etwas redet gegen den Heiligen Geist, dem wird’s nicht vergeben, weder in dieser noch in jener Welt."

Und ganz ähnlich eben in 1. Johannes 5, 16-17, wo unterschieden wird zwischen einer Sünde, die zum Tode führt, und anderer Sünde. Aber es steht hier nichts in dieser distinguierten Beschreibung, wie es die Katholische Kirche betont, dass es innerhalb des Bereichs, der nicht unmittelbar mit dem Heiligen Geist und dessen Lästerung zu tun hat, graduelle Abstufungen der Sünde gäbe. Im Gegenteil, mehrfach findet sich in der Bibel der Hinweis, dass derjenige, welcher die geringste Sünde begeht, dem ganzen Fluch des Gesetzes verfallen ist. Ich zitiere z.B. Jak 2,10:

"Wenn jemand das ganze Gesetz hält und sündigt an einem, der ist`s ganz schuldig."

Und in Gal 3,10 lesen wir:

"Verflucht sei jedermann, der nicht bleibt in alledem, was geschrieben steht in dem Buch des Gesetzes, dass er`s tue!"

Ähnliches sagt Jesus Christus in der Bergpredigt (Mt 5,21 ff. 27 ff.). Von diesen klaren Aussagen her ist die Theorie abzulehnen, dass es vor Gott einen Unterschied zwischen schweren und weniger schweren Sünden gäbe, denn in Gottes Augen führt jede Sünde zum Tode, solange sie nicht bereut und vergeben ist.

Die Begriffe werden verwirrt: In 1. Johannes 5, 16f. heißt es, dass man bitten soll bei Sünde, die nicht zum Tod führt. Aber über Sünde, die zum Tod führt, ist nicht gesagt, dass man dafür bitten soll; diese kann auch nicht vergeben werden, insbesondere wenn sie gemäß Matthäus 12 mit der Lästerung gegen den Heiligen Geist zusammenhängt. Hingegen in der Katholischen Kirche kann bei den Todsünden Endrechtfertigung als eine Art Genugtuung durch sakramentale Handlungen und Bußwerke und eben Umkehr erfolgen. Dies zeigt das völlig andere und unbiblische Sündenverständnis in der Katholischen Kirche auf. In der katholischen Theologie wird der Begriff Todsünde sehr stark ethisch gefasst, während im Gesamtkontext des Neuen Testaments er sich auf die Lästerung des Heiligen Geistes bezieht. Es ist die einzige Sünde, die nicht vergeben wird und für die man auch nicht bitten kann.

Die Stelle, an welcher es um die Lästerung des Heiligen Geistes geht, ist vom Kontext her zu sehen bezüglich dessen, dass die Pharisäer Jesus unterstellt hatten, er habe den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. Sie haben dadurch praktisch das Wirken des Heiligen Geistes durch Jesus Christus mit satanischem Wirken gleichgesetzt – und diese Sünde kann nicht vergeben werden. Dies ist eine eindeutige Situation, von der wir auf jeden Fall sagen können, das ist Lästerung des Heiligen Geistes. Ob es eine darüber hinausgehende Lästerung gibt, mag dahingestellt sein. Aber seelsorgerlich betrachtet, sollten wir sehr behutsam damit umgehen und jemanden nicht in existenzielle Nöte bringen und sagen: "Du hast jetzt so gesündigt, das kann überhaupt nicht vergeben werden!" Wenn nämlich jemand bußfertig bzw. bußwillig ist, ist es schon ein Zeichen, dass der Geist Gottes an seinem Herzen wieder wirkt und er kann sich dessen gewiss sein, dass der Herr ihn auch wieder annimmt, wenn er wirklich umkehrt – und dass er diese unvergebbare Sünde dann auch nicht begangen hat.

Im "Evangelisch-Katholischen Kommentar zum Neuen Testament" (EKK) schreibt der Ausleger Hans-Josef Klauck zu dieser Frage:

"... Damit ist die Bahn frei für die vorherrschende Interpretation der Sünde zum Tode im Verein mit der unvergebbaren Sünde wider den heiligen Geist ... Gerade von den Todsünden nach klassischer (katholischer; L. G.) wird ja nicht etwa gesagt, daß sie unvergebbar seien und daß man nicht für die, die sie begehen, beten dürfe. Ganz im Gegenteil, gerade an ihnen müssen sich die kirchlichen Bußformen bewähren. Angesichts dieses Sachverhalts erscheint es sinnvoll, auf die Bezeichnung ´Todsünde` im herkömmlichen Sinn zu verzichten und sie, wenn man an der Notwendigkeit einer Wertung festhalten will, durch ´schwere Sünde` zu ersetzen" (H.-J. Klauck, Der erste Johannesbrief, EKK Bd. XXIII,1, Zürich / Braunschweig 1991, S. 332).

C. Rechtfertigung und Erlösung aus katholischer Sicht

Wie sieht nun die Rechtfertigung in der römisch-katholischen Theologie aus? Im Unterschied zu den Reformatoren wurde bei dem Konzil von Trient im Jahre 1548 der komplizierte Weg der Rechtfertigung, der Wiedergeburt, der Bekehrung – alle diese Begriffe tauchen auf – folgendermaßen dargelegt: Der Weg besitzt verschiedene Stufen. Er läuft hinaus auf ein Zusammenwirken von Gott und Mensch, wobei Gott die erste Initiative hat. Aber diese Initiative Gottes ist abhängig von der Zustimmung, ja von der Mitwirkung des Menschen, selbst falls diese Mitwirkung in der Zustimmung, im Jasagen, im Empfangen der Gnade besteht Dies ist ein Akt, der den Menschen zuteil wird. Ich zitiere aus dem Katechismus aus den Artikeln Nr. 1987 ff. In Nr. 1989 heißt es:

"Das erste Werk der Gnade des Heiligen Geistes ist die Bekehrung, die die Rechtfertigung bewirkt."

Und weiter in Nr. 1990 f.:

"Die Rechtfertigung löst den Menschen von der Sünde, die der Liebe zu Gott widerspricht und reinigt sein Herz ... Die Rechtfertigung besteht ... darin, daß man durch den Glauben an Jesus Christus die Gerechtigkeit Gottes aufnimmt."

Dahinter steht der Gedanke einer effektiven Rechtfertigung in Gestalt eines Habitus, das heißt: einer dem Christen zuteil werdenden oder sogar von Natur aus im Christen angelegten Eigenschaft, die dem Menschen innewohnt, also eine habituelle Gerechtigkeit, die als effektive Rechtfertigung aufgenommen wird.

Der Gegensatz zur effektiven Rechtfertigung mit der als Wesensbestandteil des Menschen aufgenommen Gnade ist die forensische Rechtfertigung, das heißt: die Rechtsprechung des Menschen ganz von außen, allein durch Gottes Gnadenakt wie bei einem Gerichtsprozess (so die reformatorische Sicht). Beim katholischen Verständnis steht die aristotelische Lehre von Substanz und Akzidenz dahinter. Ausdrücklich wird im Katechismus folgendes ausgeführt:

"Die Rechtfertigung begründet ein Zusammenwirken zwischen der Gnade Gottes und der Freiheit des Menschen. Sie äußert sich dadurch, daß der Mensch dem Wort Gottes, das ihn zur Umkehr auffordert, gläubig zustimmt und in der Liebe mit der Anregung des Heiligen Geistes zusammenwirkt, der unserer Zustimmung zuvorkommt und sie trägt" (KKK Nr. 1993).

Es wird zitiert aus dem Konzil von Trient:

"Wenn Gott durch die Erleuchtung des Heiligen Geistes das Herz des Menschen berührt, bleibt einerseits der Mensch nicht ganz untätig, denn er nimmt ja jene Eingebung auf, die er auch ablehnen könnte; anderseits kann er sich doch nicht aus freiem Willen heraus ohne die Gnade Gottes zur Gerechtigkeit vor ihm erheben" (KKK Nr. 1993).

Es wird also ein Synergismus (Zusammenwirken) behauptet, wobei dieser so aussieht, dass Gott seine Gnade den Menschen zuvorkommend anbietet und der Mensch in einem freien Entscheidungsakt diese Gnade annimmt. Martin Luther würde demgegenüber sagen, dass Gott alles in uns wirkt, das Wollen und das Vollbringen, im Anschluss an Paulus (Phil 2,13), und dass auch der Entscheidungsakt unter Wirkung des Heiligen Geistes zustande kommt. Das effektive Verständnis der Rechtfertigung wird in Artikel Nr. 1995 des römischen Katechismus so formuliert:

"Der Heilige Geist ist der innere Meister. Die Rechtfertigung läßt den ´inneren Menschen` (Röm 7,22: Eph 3,16) erstehen und bringt die Heiligung des ganzen menschlichen Wesens mit sich."

Nachfolgend wird geredet von der heiligmachenden oder vergöttlichenden Gnade, die in der Taufe dem Menschen zuteil wurde. Diese Gnade sei der Ursprung des Heiligungswerkes. Die katholische Theologie unterscheidet zwischen habitueller Gnade und helfenden Gnaden. Die habituelle Gnade ist eine dem Menschen von Gott eingegossene "bleibende Neigung (zum Guten), entsprechend dem göttlichen Ruf zu leben und zu handeln". Die helfenden Gnaden sind das göttliche Eingreifen...

... "zu Beginn der Bekehrung oder im Verlauf des Heiligungswerkes" (KKK Nr. 2000).

Die habituelle Gnade ist also ein Habitus, eine zum Wesen zugehörige Wirkung, die dem Menschen fest vermittelt wird als Wesensbestandteil gewissermaßen, während die helfenden Gnaden Akte Gottes sind, Eingreifakte, durch die er nun das Leben des Menschen reinigend und heiligend verändern kann. Aber bereits diese Unterscheidung ist problematisch. Sie stammt aus der aristotelischen Philosophie und nicht aus der Heiligen Schrift.

Die katholische Theologie spricht von einer Vorbereitung (lat. praeparatio), des Menschen auf den Empfang der Gnade, die aber selber "ein Werk der Gnade" sei. Diese von der Gnade gewirkte Vorbereitung ...

... "ist notwendig, um unser Mitwirken an der Rechtfertigung durch den Glauben und an der Heiligung durch die Liebe hervorzurufen und zu unterstützen" (KKK Nr. 2001).

So sagt Rom im Katechismus, dass Gott auch die Vorbereitung wirkt, aber dass trotzdem der Mensch dann mit Gott zusammenwirkt. Es ist also sehr schillernd. Man kann es eben gar nicht trennen. Es wirkt zwar Gott, aber durch den Menschen. Es wirkt der Mensch, aber in der Kraft Gottes – und so geht das zusammen; ein Synergismus, aber in einer Verschmelzung der Wirkung. So wird ausdrücklich Augustin zitiert in KKK Nr. 2001:

"Zwar arbeiten auch wir, aber wir arbeiten nur zusammen mit Gott, der arbeitet. Sein Erbarmen ist uns nämlich zuvorgekommen, damit wir geheilt wurden, und es folgt uns, damit wir, einmal geheilt, belebt werden; es kommt uns zuvor, damit wir gerufen werden, und es folgt uns, damit wir verherrlicht werden; es kommt uns zuvor, damit wir fromm leben, und folgt uns, damit wir für immer mit Gott leben, denn ohne ihn können wir nichts tun."

Und dieses "freie Handeln Gottes erfordert die freie Antwort des Menschen" (KKK Nr. 2002), die Entscheidung, wie wir sie ähnlich auch im Pietismus finden. Es gibt mancherlei Ähnlichkeiten zwischen katholischem und pietistischem Denken in dieser Hinsicht. Jedes Mal wird der freien Entscheidung des Menschen manches zugestanden. Die Reformatoren wie Luther und Calvin würden demgegenüber festhalten, dass diese Entscheidung ein Gnadenwirken Gottes ist und nichts aus eigener Kraft zustande kommt. Zu denjenigen Pietisten, die Luther und die Reformation diesbezüglich noch ernstnahmen, gehörte zum Beispiel Philipp Jakob >Spener. Spener, der Vater des Pietismus, hatte das nie anders gesehen als Luther – im Unterschied zu den meisten späteren Pietisten.

Im katholischen Catechismus Romanus wird bezüglich der habituellen, heiligmachenden Gnade im Sinne der effektiven Rechtfertigung Folgendes ausgeführt:

Die habituelle Gnade ist "eine göttliche Qualität, die der Seele innewohnt, gleichsam ein glänzendes Licht, das alle Makel überstrahlt, welche den Glanz der Seele verdunkeln, und sie versieht die Seele mit immer mehr Glanz und Schönheit" (zit. nach Mc Carthy, S. 70). Hier liegt die Unterscheidung nach Aristoteles zwischen Forma und Materia, zwischen Akzidenz und Substanz zugrunde. Es ist also kein Rechtfertigungsspruch (wie es die Reformatoren betonten), sondern eine Qualität der Seele, die dem Menschen nach katholischem Verständnis anhaftet. Die biblisch-reformatorische Rechtfertigungslehre wurde beim Konzil von Trient ausdrücklich bekämpft und abgewiesen. In den Konzilsdokumenten wird die abgewiesene Lehre Martin Luthers so zusammengefasst:

"Zu seiner Rechtfertigung kann der gläubige Mensch in keiner Weise mitwirken. Das gläubige Vertrauen ist der einzige Weg zu ihr und zugleich schon ihr Anzeichen. Diese Rechtfertigung besteht aber nicht in einer inneren Erneuerung des Menschen, sondern in seiner Gerecht-Erklärung (also forensisch; L. G.), kraft welcher ihm die Verdienste Christi angerechnet werden. – Die Werke des Menschen können für den Himmel nicht verdienstlich werden, weil die menschliche Natur, der Quellgrund des menschlichen Handelns, durch die Rechtfertigung nicht innerlich gut geworden ist" (Neuner-Roos, S. 497).

So lautet die Einleitung. Und nun kommen die einzelnen Verwerfungen gegen Luther (Neuner-Roos, S. 513 f.). Da heißt es unter Abschnitt 9:

"Wer behauptet, daß der sündige Mensch durch den Glauben allein gerechtfertigt werde, und darunter versteht, daß nichts anderes als Mitwirkung zur Erlangung der Rechtfertigungsgnade erfordert werde und daß es in keiner Weise notwendig sei, sich durch die eigene Willenstätigkeit zuzurüsten und zu bereiten, der sei ausgeschlossen."

Ebenso wird in den weiteren Artikeln die Ansicht abgelehnt, dass Menschen

"durch die bloße Anrechnung der Gerechtigkeit Christi" also forensisch und imputativ) gerechtfertigt würden oder dass das bloße Vertrauen ausreichen würde. Nein, die Werke gehören für den Katholiken als Voraussetzung der Rechtfertigung hinzu, auch das Werk der Annahme und der Liebesleistungen, die dann gefordert werden. Man hat also nichts verstanden oder verstehen wollen vom ‘sola gratia’ – ‘Allein durch die Gnade’ und hat festgehalten an dem synergistischen Ansatz und der Gerechtigkeit aus Glauben und Werken. Gegen die biblisch-reformatorische Lehre, dass die guten Werke als Frucht des Glaubens bzw. des Heiligen Geistes im Christen (Gal 5,22) getan werden, wendet sich der Artikel 24 (zitiert bei Neuner-Roos, S. 517):

"Wer behauptet, die empfangene Gerechtigkeit werde nicht bewahrt und auch nicht vor Gott vermehrt durch gute Werke, sondern die Werke selbst seien nur Frucht und Anzeichen der erlangten Rechtfertigung, nicht aber auch Ursache ihres Wachstums, der sei ausgeschlossen."

Die Werke werden hier nicht als Folge des Glaubens stehen gelassen, sondern als Mitverdienst, als meritum, das zum Glauben hinzukommt. Und damit ist die Katholische Kirche dem unbiblischen Grundsatz "Glaube und Werke als Voraussetzung des Heils" treu geblieben.

Die Reformatoren sprechen gegenüber dem katholischen Denken davon, dass die Natur des Menschen völlig verderbt, ja zerstört sei und daß sie völlig erneuert werden müsse, und das kann allein geschehen durch das Opfer Jesu Christi. Die Konkupiszenz ist nicht nur eine Neigung zum Bösen, wie Rom lehrt, sondern die Sünde des Hochmuts, des "Selber-wie-Gott-Sein-Wollens" – und damit der Trennung von Gott, die die völlige Verderbtheit des Menschen bewirkt. Die Einzelsünden sind nur Auswüchse aus dieser Ursünde des Hochmuts (lat. superbia), so dass dies ein untrennbarer Zusammenhang ist – der Entzug der ursprünglichen Gerechtigkeit und dann die Neigung zum Bösen als Folge davon. Die biblisch-reformatorische Sündenlehre lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

"An die Stelle der ursprünglichen Heiligkeit und Reinheit trat ... das gerade Gegenteil, ein durchaus sündhafter und das Böse wollender Zustand, der an sich schon Sünde ist, so daß der Mensch schon wegen dieser stetigen Geneigtheit zum Bösen und nicht erst wegen der aus ihr hervorgehenden Tatsünden ein Gegenstand des göttlichen Mißfallens ist. Dieser verderbte Zustand ist dann der Grund und Quell aller Tatsünden und hat Gottes Zorn, sowie zeitliche und ewige Strafen zur Folge" (H. Schmid, Die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche. Dargestellt und aus den Quellen belegt, Gütersloh, 10. Aufl. 1983, S. 161).

Da der Zustand der Sünde und des aus ihr folgenden Verlorenseins des Menschen ein derart grundlegender und radikaler ist, ist auch die Erlösung eine radikale: Sie wird nur und ausschließlich dem Menschen von außen zugerechnet und geschenkt, und zwar durch das einzigartige und vollgültige Opfer Jesu Christi am Kreuz auf Golgatha:

"Denn es hier kein Unterschied: sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist" (Röm 3,23 f.).

D. Heil auch in anderen Religionen?

Zur Heilsfrage abschließend noch ein anderer Aspekt in der katholischen Lehre, und zwar der Zusammenhang zwischen Soteriologie und Ekklesiologie im Katholizismus. Und hier ist seit dem 20. Jahrhundert eine auffallende Änderung in der katholischen Lehre eingetreten. Die frühere katholische Lehre besagte, dass niemand außerhalb der Kirche – und zwar der Römisch-Katholischen Kirche – gerettet werden könne. ‘Extra ecclesiam nulla salus.’ So wird gemäß Neuner-Roos Nummer 369 in einem älteren Dokument ausgeführt:

"Außerhalb der Kirche kann niemand gerettet werden. Freilich sind nicht alle, die in unüberwindlicher Unwissenheit über Christus und seiner Kirche leben, schon aufgrund dieser Unwissenheit ewig zu verdammen ... Diese Gnade erhält aber keiner, der von der Einheit des Glaubens oder von der Gemeinschaft der Kirche aus eigener Schuld getrennt ist und so aus diesem Leben scheidet ... So verwerfen und verabscheuen Wir die gottlose Lehre von der Gleichwertigkeit aller Religionen, die auch der menschlichen Vernunft widerstreitet. So wollen die Kinder dieser Welt den Unterschied zwischen wahr und falsch aufheben und sagen: Das Tor zum ewigen Leben steht allen offen, gleichgültig, aus welcher Religion sie herkommen."

So also hieß es noch vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) jedoch wird anders gelehrt! Und zwar wird behauptet, dass auch die nichtchristlichen Religionen Zugangswege zum Heil sein können, wenn auch über Umwege und Verfinsterungen. Und zwar heißt es in der "Dogmatischen Konstitution über die Kirche" von 1964 des Zweiten Vatikanischen Konzils:

"Der Heilswille umfaßt aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslim, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird. Aber auch den anderen, die in Schatten und Bildern den unbekannten Gott suchen, auch solchen ist Gott nicht ferne, da er allen Leben und Atem und alles gibt ( vgl. Apg 17,25-28) und als Erlöser will, daß alle Menschen gerettet werden" (Neuner-Roos Nr. 372).

Man hat sich hier den heidnischen Religionen geöffnet, beeinflusst vor allem durch die Theologie Karl Rahners, der zwischen manifestem (offenbarem) und latentem (verborgenem) Christsein unterschieden hat. Das latente, verborgene Christsein findet sich seiner Ansicht nach bei den anderen Religionen. Dies ist eine verhängnisvolle Lehre, die sehr stark den >Synkretismus und >Universalismus in die katholische Theologie und Kirche hat eindringen lassen (zur Beurteilung siehe dort) und mit der keineswegs alle Katholiken übereinstimmen (Traditionalisten).

Lothar Gassmann


Index

Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handbüchern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):

1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines Ökumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch

Weitere Handbücher (über Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de