Barth, Karl (1886-1968), neben R. Bultmann, F. >Gogarten und anderen Mitbegründer und Hauptvertreter der >Dialektischen Theologie. Barth, Karls Werk steht im 20. Jahrhundert, was seinen Umfang und seine Wirkung betrifft, unvergleichlich da. Allein Barth, Karls Hauptwerk, die "Kirchliche Dogmatik" umfasst über 9.000 Druckseiten.
Karl Barth, Karl kam am 10. Mai 1886 in Basel zur Welt. Seine Mutter war Anna Katharina Barth, Karl, geb. Sartorius, sein Vater der Theologe Johann Friedrich ("Fritz") Barth, Karl. 1886-89 leitete Fritz Barth, Karl die Predigerschule in Basel. 1889 wurde er zunächst als Privatdozent für Dogmatik, 1891 dann als außerordentlicher Professor an die Universität Bern berufen. 1895 wurde er zum Ordinarius für ältere und mittlere Kirchengeschichte befördert. Die Theologie war also Karl gewissermaßen in die Wiege gelegt. Fritz Barth, Karl war, obwohl er eher dem "positiven", theologisch konservativen Lager zuneigte, schwer einzuordnen. Wie Eberhard Busch vermerkt, "suchte er so etwas wie einen Weg jenseits der Frontstellung von 'positiv` und 'liberal`" (E. Busch, Karl Barth, Karls Lebenslauf, S. 21f.; daraus alle folgenden Zitate, die nur durch Seitenzahlen gekennzeichnet sind). Seine Leugnung der Jungfrauengeburt Jesu verhinderte die Berufung an die Universitäten Halle und Greifswald. Dennoch wollte er später, dass sein Sohn "positive Theologie" hören sollte, und schickte Karl zu Adolf Schlatter nach Tübingen. Fritz Barth, Karl litt stark unter der zunächst sehr liberalen Entwicklung seines Sohnes, dessen theologische Wende er nicht mehr miterlebte. Karl Barth, Karl notiert als eines der letzten Worte seines im Jahre 1912 verstorbenen Vaters: "Den Herrn Jesum lieb haben, das ist die Hauptsache, nicht Wissenschaft, nicht Bildung, nicht Kritik. Es braucht eine lebendige Verbindung mit Gott, und darum müssen wir Gott den Herrn bitten" (S. 80).
Doch wir sind weit vorausgeeilt. Aus der Kindheit des kleinen "Karli" (so sein Spitzname), nach dem noch vier Geschwister geboren wurden, sei ein frühes Erlebnis wiedergegeben, das nicht unwesentlichen Einfluss auf seine später entwickelte Theologie gehabt haben dürfte, nämlich auf seine Erwählungslehre mit der Ablehnung einer endgültigen Verwerfung und ewigen Verdammnis des Menschen. Barth, Karl berichtet:
"Ich (hatte) eine gutmeinende, aber etwas törichte Sonntagsschullehrerin, die es für richtig hielt, uns Kindern eine genaue Beschreibung der Hölle und der dort auf die Bösen wartenden ewigen Strafen zu geben. Natürlich hat uns das interessiert und wohl auch ziemlich aufgeregt. Aber die Furcht des Herrn und damit den Anfang der Weisheit hat auf diese Weise bestimmt keines von uns damaligen Kindern gelernt" (S. 24).
1892-1904 besuchte Karl Barth, Karl das Freie Gymnasium ("Lerberschule") in Bern, das sich – als ursprünglich "bibelgläubig-positive Gründung" – während Barth, Karls Schulzeit zunehmend dem Geist des Liberalismus öffnete. 1901/02 nahm er am Konfirmandenunterricht bei dem Pfarrer Robert Aeschbacher an der Berner Nydeggkirche teil, der positiv die Inhalte des christlichen Glaubensbekenntnisses entfaltete. Neben dem Vorbild, das er in Gestalt seines eigenen Vaters als theologischem Lehrer empfing, trug der Konfirmandenunterricht Aeschbachers, der Barth, Karl begeisterte, maßgeblich zu seinem Entschluss des späteren Theologiestudiums bei (S. 43). Nach dem Besuch des Gymnasiums und dem Bestehen des Maturitätsexamens "nur mit Note 2" ("strauchelnd über Chemie, Physik und dergl."; S. 43) begann Karl Barth, Karl im Oktober 1904 mit dem Theologiestudium, das ihn an die Universitäten Bern, Berlin, Tübingen und Marburg führte. In Bern hörte er Vertreter einer radikalen Bibelkritik (Rudolf Steck, Karl Marti, Hermann Lüdemann), die ihn wohl schockierten, aber kein sonderliches Interesse bei ihm wecken konnten. Wie er rückblickend bemerkt, hat er
"damals das Gruseln verlernt ... nämlich die 'historisch-kritische` Schule in ihrer älteren Gestalt damals so gründlich durchlaufen, dass mir die Äußerungen ihrer späteren ... Nachfolger nicht mehr unter die Haut oder gar zu Herzen, sondern, als nur zu bekannt, nur noch auf die Nerven gehen konnten" (S. 46).
Die gemäßigt-positive Haltung, die er in den Vorlesungen bei seinem Vater mitbekam, konnte er sich nicht zueigen machen.
Tiefergehende Prägungen empfing er in Berlin, wo er mit Begeisterung Vorlesungen bei dem Neukantianer und Ritschlianer Julius Kaftan, dem Alttestamentler und Vertreter der Religionsgeschichtlichen Schule Hermann Gunkel, aber vor allem dem Kirchen- und Dogmengeschichtler Adolf Harnack, Wortführer der liberalen Theologie, besuchte. Für mehrere Jahre öffnete er sich jetzt dem liberalen Denken und entfremdete sich immer mehr von seinem Vater. Insbesondere durch die bereits in Berlin erworbene Literatur des Marburger Systematikers Wilhelm Herrmann, den er dann 1908 – gegen den Wunsch Fritz Barth, Karls – mit Enthusiasmus in Marburg selber hören sollte, wurde der Keim zu einer Synthese von >Kant und >Schleiermacher in seinem Denken gelegt. Den zur positiven Richtung gerechneten Adolf Schlatter in Tübingen hingegen erlebte er "mit heftigster Renitenz" (S. 55). Und doch enthielt auch die Tübinger Zeit für ihn eine tiefe und bleibende Prägung: die Begegnung mit Christoph Blumhardt dem Jüngeren, den er mehrmals in Bad Boll besuchte und der zu den Religiösen Sozialisten gehörte.
Im Herbst 1908 bestand Karl Barth, Karl das theologische Abschlussexamen mit der Note 2. In dieser Zeit bekleidete er einen Posten als Redaktionsgehilfe bei der in Marburg erscheinenden Zeitschrift der liberalen Schule "Die Christliche Welt", die von Martin Rade herausgegeben wurde. Der Freundeskreis dieser Zeitschrift sollte später ein wichtiges Forum werden, vor dem er seine neuen Erkenntnisse ausbreitete, so etwa 1922 in Gestalt seines für die Dialektische Theologie bahnbrechenden Vortrags "Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie". Doch bis dahin war es noch ein langer Weg. Im Herbst 1909 trat Barth, Karl eine Stelle als Hilfsprediger (pasteur suffragant) in der Calvin-Stadt Genf an. In der deutschsprachigen Gemeinde der dortigen "église nationale" verkündete er eine durch und durch liberale Botschaft: die Geringschätzung äußerer historischer Ereignisse und Fakten, ersetzt durch die Betonung der religiösen Innerlichkeit. So sei es belanglos, ob Jesus gelebt habe, denn "der Glaube ist nicht ein Annehmen und Für-wahr-halten äußerer Tatsachen", sondern vielmehr "unmittelbare, lebendige Berührung mit dem Lebendigen". Über Calvin äußerte er, dessen "Auffassung von der Autorität der Bibel wäre für uns eine Unwahrhaftigkeit" (S. 66f.). In die Genfer Zeit Barth, Karls fiel ein bedeutsames Ereignis: Unter den dortigen Konfirmandinnen lernte er Nelly Hoffmann kennen, mit der er sich 1911 als noch nicht 18jährigem Mädchen verlobte. Am 27. März 1913 fand in der Berner Nydeggkirche die Hochzeit statt. Nelly Barth, Karl, geb. Hoffmann, hat ihrem Mann fünf Kinder geschenkt.
1911 wurde Barth, Karl als Gemeindepfarrer in die Schweizer Gemeinde Safenwil (Kanton Aargau) berufen. Dieses Amt bekleidete er bis 1921. Während dieser Zeit in einer Gemeinde – und nicht auf dem akademischen Katheder – kam es zum entscheidenden inneren Umschwung. Barth, Karl meinte im Blick auf seine spätere Theologie:
"Sie ist herausgewachsen aus meiner eigenen Situation, wo ich unterrichten, predigen und ein wenig Seelsorge üben musste" (S. 73).
Barth, Karls Wende von der liberalen zur Dialektischen Theologie erwuchs aus unterschiedlichen Wurzeln:
- zum einen aus der Predigtnot: Kann ich als Mensch und Theologe von Gott reden? Auf diese Not ging er in seinem klassisch gewordenen Vortrag "Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie" 1922 ein;
- zum zweiten aus der sozialen Not und den Klassengegensätzen, mit denen er in Safenwil konfrontiert wurde und die seine Öffnung für den >Sozialismus verstärkten: 1915 trat er der Sozialdemokratischen Partei bei; in Safenwil redeten ihn viele der Arbeiter als "Genosse Pfarrer" an; manche Safenwiler, insbesondere Fabrikanten, verließen wegen Barth, Karls sozialistischer Aktionen die Kirche und gründeten einen eigenen "Kultusverein";
- zum dritten und Entscheidenden aus der Kriegsnot und der Not der Theologie, aus bitteren Erfahrungen, die er im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg machen musste: Es ist gut dokumentiert und von Barth, Karl selber immer wieder betont worden, dass der Wendepunkt in seinem Leben der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 und die Reaktion führender Theologen darauf war.
Barth, Karl schreibt:
"Mir persönlich hat sich ein Tag am Anfang des Augusts jenes Jahres als der dies ater (schwarzer Tag; L. G.) eingeprägt, an welchem 93 deutsche Intellektuelle mit einem Bekenntnis zur Kriegspolitik Kaiser Wilhelms II. und seiner Ratgeber an die Öffentlichkeit traten, unter denen ich zu meinem Entsetzen auch die Namen so ziemlich aller meiner bis dahin gläubig verehrten theologischen Lehrer wahrnehmen musste. Irre geworden an ihrem Ethos, bemerkte ich ... dass die Theologie des 19. Jahrhunderts jedenfalls für mich keine Zukunft mehr hatte" (Evangelische Theologie im 19. Jahrhundert, 1947, 6).
Adolf von Harnack zum Beispiel hatte eine Unterstützungs-Erklärung verfasst für den Beginn des Ersten Weltkriegs, und Martin Rade hatte des Kriegsgeschehen mit religiösem Pathos verklärt. Erst durch die Niederlagen der Deutschen wurde die damalige Euphorie gedämpft. Barth, Karl jedoch stand dem Krieg von Anfang an kritisch gegenüber. Er erkannte, dass mit der liberalen Theologie etwas nicht stimmte, dass sie sozusagen "auf allen Hochzeiten tanzen" konnte, dass es sich bei ihr um eine typische "Bindestrich-Theologie" handelte. Als "Kulturprotestantismus" konnte sie sich in erschütternder Gefügigkeit mit der jeweiligen "Kultur" – man könnte auch sagen: mit dem jeweiligen Zeitgeist – vermählen. Und so löste sich Barth, Karl im Ersten Weltkrieg von der liberalen Theologie, aber auch (zeitweise) innerlich von den Religiös-Sozialen, wie sie etwa durch Hermann Kutter und Leonhard Ragaz repräsentiert wurden. Identifizierte man in der liberalen Theologie das Christentum mit der vorherrschenden Kultur, so setzte man es bei den Religiös-Sozialen mit der Revolution gleich, was beides falsch ist. Verbittert musste Barth, Karl mit ansehen, wie die europäischen Sozialisten überall in die Kriegsfronten mit eingeschwenkt waren. Dennoch und erst recht – wohl in der Hoffnung auf seine eigene positive Einflussnahme – war er 1915 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei geworden und geblieben.
Von den herrschenden Strömungen in Kirche und Gesellschaft enttäuscht, kam es zu der großen, fast reformatorischen Erkenntnis Barth, Karls: Nur ein außerhalb des Innerweltlichen liegender Punkt kann das Gegebene (Zeitgeist, Kultur, Revolution) aus den Angeln heben – und das ist die in der Heiligen Schrift bezeugte Offenbarung Gottes, des ganz Anderen. Aus dieser Entdeckung resultierte – fast analog zu Luther – sein 1919 in erster Auflage erschienener Kommentar "Der Römerbrief". Dieses Werk wäre allerdings nicht entstanden ohne den Austausch mit seinem Freund Eduard Thurneysen, den er schon von der Studentenzeit her kannte und der nur einige Kilometer von Barth, Karl entfernt in Leutwil Dorfpfarrer war. Mit ihm korrespondierte er in über 1.000 zum Teil erhaltenen Briefen und unzähligen Gesprächen. Thurneysen übertrug viele der Barth, Karlschen Erkenntnisse später auf das Gebiet der Praktischen Theologie, vor allem der Seelsorge (Poimenik) und >Predigtlehre (Homiletik).
Im "Römerbrief", konsequent allerdings erst in der völlig neugefassten zweiten Auflage, die 192O/21 verfasst und 1922 veröffentlicht wurde, rechnete Barth, Karl mit jeder Art von Bindestrich- oder Anknüpfungs-Theologie radikal ab: Gott offenbare sich "senkrecht von oben". Er sprenge unsere Denkmuster und theologischen Systeme. Barth, Karls Werk schlug wie eine Bombe in der verunsicherten, an sich selbst verzweifelten und nach neuen Wegen suchenden Nachkriegsgeneration ein. Während er in der ersten Auflage noch andere Offenbarungsquellen neben der Bibel (z.Barth, Karl Franz von Assisi, Mozart, Beethoven, Schiller, Goethe, den "Einfluss bengel-ötinger-beck`scher und ... schellingscher Gedanken"; S. 111) anerkannte, lehnte er dies in der zweiten Auflage total ab (auch wenn er zeitlebens gerade für die Musik Mozarts eine große Schwäche hatte und sich etwa beim Schreiben seiner "Kirchlichen Dogmatik" von dessen Kompositionen inspirieren ließ). Man unterscheidet aufgrund des Gesagten bei Barth, Karl eine liberale, vorkritische von der kritischen Phase ("kritisch" hier im Sinne einer "Theologie der Krisis", der Unterscheidung von Gott und Welt, von Ewigkeit und Zeit verstanden). 1914/15 beginnt die kritische Phase, die in der Veröffentlichung der zweiten Auflage des Römerbrief-Kommentars (1922) ihren Höhepunkt findet. Die "Kirchliche Dogmatik" (ab 1932) leitet immer mehr zur milderen, nachkritischen Phase des älteren Barth, Karl über.
1921 wurde Barth, Karl – aufgrund der bahnbrechenden Wirkung seines Römerbrief-Kommentars (allerdings der 1. Auflage!) und ohne Promotion – zum Honorarprofessor für Reformierte Theologie an die Universität Göttingen berufen. 1922 wurde er "akademisch nachträglich legitimiert": Die Universität Münster ernannte ihn "wegen seiner mannigfachen Beiträge zur Revision der religiösen und theologischen Fragestellung" zum Dr. theol. (S. 141). Am 3. Oktober 1922 hielt er auf der Elgersburg in Thüringen seinen schon erwähnten Vortrag "Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie" vor den "ahnungslos selbstsicheren 'Freunden der Christlichen Welt`", wie er sagte, und fand in der heftigen Diskussion Bundesgenossen in Rudolf Bultmann und Friedrich Gogarten. Damals kam der Begriff "Dialektische Theologie" auf. 1923 gründete Barth, Karl zusammen mit Thurneysen, Gogarten, Georg Merz und anderen die Zeitschrift "Zwischen den Zeiten" als Sprachrohr dieser neuen theologischen Bewegung. In den darauf folgenden Jahren und Jahrzehnten musste es Barth, Karl allerdings erleben, dass sich viele von denen, die zuerst begeistert bei der "Dialektischen Theologie" – oder besser: "Wort-Gottes-Theologie" oder "Theologie der Krisis" – mitgemacht hatten, andere Wege gingen und sich von ihm trennten, z.Barth, Karl Rudolf Bultmann, Friedrich Gogarten, Emil Brunner und Georg Merz.
Barth, Karl verschweigt nicht, welche großen Anstrengungen es ihn kostete, sich in die Systematische Theologie einzuarbeiten und die ersten Vorlesungen zu erstellen.
"Im Dozentenzimmer kam ich mir klein und hässlich vor zwischen diesen Giganten der Wissenschaft",
äusserte er bescheiden im Blick auf seine Göttinger Kollegen (S. 146). Eine große Hilfe bei der Ausarbeitung seiner ersten Dogmatik-Vorlesung im Jahre 1924 wurde ihm die Entdeckung der lutherischen und reformierten Orthodoxie:
"Es geht ... so, dass ich unter viel Kopfzerbrechens und Staunens schließlich der Orthodoxie doch fast in allen Punkten recht geben muss und mich selbst Dinge vortragen höre, von denen ich mir weder als Student noch als Safenwiler Pfarrer je hätte träumen lassen, dass sie sich wirklich so verhalten könnten" (S. 168).
Eine weitere Hilfe wurde ihm die junge, theologisch lebhaft interessierte Münchner Rotkreuzschwester Charlotte ("Lollo") von Kirschbaum, die er 1924 durch Georg Merz kennen lernte. Sie fungierte in den folgenden Jahren und Jahrzehnten – insbesondere von 1930 bis zum Eintritt ihrer schweren Gehirnkrankheit im Jahre 1965 – als seine treue Mitarbeiterin und unentbehrliche Sekretärin, etwa bei der Abfassung der "Kirchlichen Dogmatik", und hat ihn auf vielen Reisen begleitet. Als sie 1929 in das Haus der Familie Barth, Karl zog, kam es wegen des seltsamen Dreierverhältnisses fast unausweichlich zu wachsenden Problemen und Spannungen zwischen Barth, Karl, seiner Frau und "Lollo". Barth, Karls Biograph Eberhard Busch verschweigt die Problematik nicht:
"Das Zusammenleben der drei gestaltete sich ... reichlich schwierig. Barth, Karl selber zögerte nicht, die Verantwortung und Schuld für die eingetretene Situation auf sich zu nehmen. Aber es gab an ihr, wie er meinte, nichts zu ändern" (S. 199).
1925 war Barth, Karl als ordentlicher Professor für Dogmatik und Neutestamentliche Theologie an die Universität Münster berufen worden. Hier hielt er Vorlesungen und Seminare über die "Geschichte der protestantischen Theologie seit Schleiermacher", über Anselm von Canterburys Schrift "Cur Deus homo?", über den Philipper- und Kolosserbrief sowie über seine 1927 veröffentlichte "Christliche Dogmatik im Entwurf". Diese bildete eine – später zurückgenommene – Vorstufe zur seit 1932 herausgegebenen "Kirchlichen Dogmatik" (KD; 1932-1967). Die Umbenennung von "christlich" zu "kirchlich" erfolgte vor allem deshalb, weil es nach Barth, Karls 1932 in KD I/1 (S. VIII) geäußerter Ansicht christliche Dogmatik nur im Raum der Kirche gibt. Als der erste Band der KD erschien, war Barth, Karl bereits seit zwei Jahren ordentlicher Professor für Systematische Theologie in Bonn. Diesen Lehrstuhl bekleidete er von 1930 bis zu seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten im Jahre 1935.
Die "Kirchliche Dogmatik" – wegen ihres voluminösen Umfangs und weißen Einbandes auch "Der weiße Wal" genannt – wurde das eigentliche Lebenswerk Karl Barth, Karls, dem im 20. Jahrhundert zunächst kein theologisches System ernsthaft Konkurrenz machen konnte. Erst in den 60er Jahren – mit dem Tod Barth, Karls – büßte sie (zumindest vordergründig) zunehmend ihre Wirkung ein, regte aber viele jüngere Theologen zum Denken in Kontinuität oder Widerspruch zu ihm an. Die KD ist aus Vorlesungen entstanden, die Barth, Karl über Jahrzehnte hinweg fortlaufend hielt. Sie ist trotz ihrer Vielbändigkeit Fragment geblieben. Warum schrieb Barth, Karl – nach einem ersten "Entwurf" in den zwanziger Jahren – ab 1930 seine Dogmatik neu? Ausschlaggebend hierfür war das Seminar, das er im Sommersemester 1930 in Bonn über Anselm von Canterburys Schrift "Cur Deus homo?" ("Warum wurde Gott Mensch?") zum zweiten Mal anbot. Diesmal regten ihn die Einwürfe der Studenten sowie ein Referat des Philosophen Heinrich Scholz über den Gottesbeweis des anselmischen Proslogion während des Seminars dazu an, sich "noch ganz anders als bisher mit Anselm ... zu beschäftigen". Und Barth, Karl stiess darauf, dass nach Anselm die der Theologie gestellte Aufgabe des Verstehens im "Nachdenken des vorgesagten und vorbejahten Credo" besteht. An dieses Credo (Glaubensbekenntnis) werden Fragen gestellt, aber "unter der Voraussetzung, dass es wahr ist: Gott existiert, ... ist ein Wesen in drei Personen, ist Mensch geworden usw." – Fragen, die nicht das "Dass", aber das "Wie" und "Inwiefern" betreffen (S. 218f.). Von diesem Ansatzpunkt her erklärt sich, dass Barth, Karl seine "Kirchliche Dogmatik" mit der Lehre von der (vorgegebenen) Trinität und Selbstoffenbarung Gottes beginnt.
Doch neben dem Vortragen und Schreiben seiner Kirchlichen Dogmatik wurde Barth, Karl noch von einer ganz anderen, unangenehmen Sache gefordert: Als christlicher Theologe, aber auch als religiöser Sozialist war er ein entschiedener Gegner des 1933 in Deutschland an die Macht gekommenen Nationalsozialismus. Als am 24. Juni 1933 der positive Reichsbischof Friedrich von Bodelschwingh unter staatlichem Druck zurücktreten musste, um dem Mann der nationalsozialistischen "Deutschen Christen", Ludwig Müller, Platz zu machen, verfasste Barth, Karl in der darauffolgenden Nacht seine Kampfschrift "Theologische Existenz heute". In dieser Broschüre, die zugleich den Beginn einer gleichlautenden neuen Zeitschriften-Serie markierte, bezeichnete Barth, Karl die Ideologie der "Deutschen Christen" mutig als "Irrlehre". Als das Heft am 28. Juli 1934 verboten wurde, waren bereits 37.000 Exemplare gedruckt worden. Im Mai 1934 nahm er an der Bekenntnissynode in Barmen teil und wirkte als Reformierter – zusammen mit Hans Asmussen als Lutheraner – federführend an der Abfassung der Barmer Theologischen Erklärung mit. Barth, Karl betrachtete die Ideologie der Deutschen Christen maßgeblich als Produkt einer ">natürlichen Theologie", welche das Geschöpfliche (Mensch, Volk, Rasse, Blut und Boden) vergötzt, und lehnte diese daher pauschal ab. Das führte im gleichen Jahr zu einer scharfen literarischen Kontroverse mit seinem früheren Mitstreiter Emil Brunner.
Als Barth, Karl am 7. November 1934 einen Treue-Eid auf Adolf Hitler leisten sollte, war er bereit, dies nur mit dem Zusatz zu tun: "soweit ich es als evangelischer Christ verantworten kann". Daraufhin wurde er am 26. November von seiner Professoren-Tätigkeit suspendiert und am 20 Dezember aus dem Dienst entlassen. Am 1. März 1935 bekam er Redeverbot. Am 22. Juni 1935 wurde er in den Ruhestand versetzt. Fast gleichzeitig erhielt er eine Berufung an die Universität Basel, wo er – mit Unterbrechungen – bis 1962 lehrte und bis zu seinem Tod (1968) lebte. Die Jahre 1935-45 der braunen Diktatur und des Zweiten Weltkriegs erlebte er von seiner Schweizer Heimat aus mit, die infolge der faschistischen und nationalsozialistischen Expansion immer mehr zu einer gefährdeten "Insel" wurde. So hatte er als entschiedener Gegner rechtsradikaler Ideologien es auch in seinem Heimatland nicht leicht, da die Schweizer Regierung alles tat, um die Achsenmächte Italien und Deutschland nicht unnötig zu provozieren und die Neutralität zu wahren. Während er ungestört an seiner "Kirchlichen Dogmatik" weiterarbeiten konnte, waren Äußerungen politischer Art aus seinem Munde während der kritischen Jahre nicht erwünscht. Barth, Karl freilich betonte bei jeder Gelegenheit, dass Hitler unbedingt Widerstand zu leisten sei – und zwar geistig und militärisch. So meldete er sich freiwillig als 54jähriger 1940 zum bewaffneten Hilfsdienst, um gegebenenfalls sein Land zu verteidigen. Ferner gründete er zusammen mit anderen eine "Aktion nationaler Widerstand", eine Art Geheimorganisation für die innere Abwehr im Fall einer Invasion, die zudem den Defaitismus bekämpfen sollte. Barth, Karl, der bisher in den Augen vieler als Pazifist gegolten hatte, wurde jetzt von manchen, die ihn nicht verstehen konnten, als "Militarist" verschrien. Seine Äußerungen über Krieg, Staat, Nationalsozialismus, Schweizer Widerstand usw. wurden nach dem Krieg unter dem Titel "Eine Schweizer Stimme" veröffentlicht.
Als der Krieg zuende war, bemühte Barth, Karl sich sehr um die Versöhnung und die geistige Erneuerung Deutschlands. Sein persönlicher Beitrag bestand z.Barth, Karl darin, dass er 1946/47 eine Gastprofessur in Bonn wahrnahm. In seinen später unter dem Titel "Dogmatik im Grundriss" veröffentlichten Vorlesungen stellte er den deutschen Studenten unter anderem dar, warum der Nationalsozialismus scheitern musste: Wenn sich ein Volk absolut setzt als das "erwählte Volk", muss es untergehen – nämlich dann, wenn es sich gegen das wirklich erwählte Volk Israel stellt (vgl. Dogmatik im Grundriss, 7. Aufl. 1987, 89f.). 1946 hielt Barth, Karl in Deutschland auch Vorträge über das Thema "Christengemeinde und Bürgergemeinde". Hier entfaltete er das sehr bekannt gewordene, von Oscar Cullmann und der reformierten Tradition angeregte Modell der "Königsherrschaft Christi": Christus herrscht nicht nur im Bereich der Kirche oder Gemeinde, sondern auch im Reich der Welt. Seine Königsherrschaft ist universal. Über das Reich zur Rechten und das Reich zur Linken regiert ein Herr. Der Staat ist zwar außerhalb der Kirche, aber doch innerhalb des Herrschaftskreises Jesu Christi. Daraus ergibt sich für Barth, Karl der Auftrag zum politischen Handeln und zur politischen Einflussnahme des Christen.
1948 war Barth, Karl beteiligt an der Gründung des >Ökumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam. Es sollte eine Gemeinschaft von Kirchen werden, die den "Herrn Jesus Christus als Gott und Heiland anerkennen". Damals war von anderen Göttern noch nicht die Rede. Die >synkretistische (religionsvermischende) Wende trat mit voller Wucht erst in den sechziger Jahren – mit dem Ausscheiden des langjährigen ÖRK-Präsidenten Willem A. Visser`t Hooft – ein. Ähnliches gilt für den politischen Ruck des ÖRK in eine einseitige (linke) Richtung.
Barth, Karl selber allerdings war, obwohl er theologisch eher als konservativ eingeordnet wurde, politisch zeitlebens dem linken Spektrum zuzurechnen, auch wenn er gegenüber der radikalen "Religiös-Sozialen Bewegung" eines Kutter oder Ragaz schon früh Vorbehalte geäußert hatte. 1949/50 jedenfalls, in der Zeit der aufgekommenen Diskussionen über Aufrüstung und Atombomben, geriet er wegen pazifistisch klingender Äußerungen sogar in den Verdacht des Kommunismus. Barth, Karl wollte nach seiner eigenen Aussage für den Frieden und gegen den "Kalten Krieg" eintreten – und das bedeutete für ihn ein Nein zum Antikommunismus: "Ich halte den Antikommunismus für das noch größere Übel als den Kommunismus selber ... Die Kommunisten sind auch Menschen. Gott ist auch für die Kommunisten. Also kann ein Christ nicht gegen, sondern nur für die Kommunisten sein. Für die Kommunisten sein, heisst nicht, für den Kommunismus sein. Ich bin nicht für den Kommunismus" (S. 397). Trotz dieses – dialektischen – Differenzierungsversuchs musste sich Barth, Karl etwa von Emil Brunner – meines Erachtens zu Recht – fragen lassen, warum er jetzt "nicht in ähnlicher Weise in den Gegensatz und zum Bekenntnis gegen den Kommunismus aufrufe", wie er es gegen den Nationalsozialismus getan hatte (S. 369). Es sei nur daran erinnert, dass auch die Kommunisten – z.Barth, Karl in der UdSSR und DDR noch nach dem Krieg – Konzentrationslager betrieben haben. Die kommunistische Ideologie war und ist keineswegs menschlicher als die nationalsozialistische.
1951/52 stand eine weitere Auseinandersetzung auf der Tagesordnung: die Diskussion mit Rudolf Bultmann über das >Entmythologisierungsprogramm. Bultmann wollte das Neue Testament aller "Mythologoumena", zu denen er z.Barth, Karl Wunder, Auferstehung, Himmelfahrt, Wiederkunft und Sühnewirkung des Todes Jesu rechnete, entkleiden, indem er diese existential-anthropologisch interpretierte. Obwohl Barth, Karl heftige Kritik an Bultmann übte und sich gegen dessen exegetischen "Kahlschlag" wehrte, konnte er ihn wegen seiner eigenen unklaren Schrifthaltung nicht wirklich überwinden. Was Barth, Karl an Bultmann auszusetzen hatte, war denn auch weniger das Problem der Entmythologisierung an sich, als vielmehr die Unterwerfung der Heiligen Schrift unter eine neue philosophische Anthropologie (Lehre vom Menschen).
Er klagte: Bei dieser Zielsetzung der Existentialisierung sah ...
"... ich die Theologie nur eben neu in die Sackgasse einer philosophischen Anthropologie laufen ..., aus der ich sie nun seit ... Jahrzehnten herausrufen zu sollen gemeint habe. Dass 'von Gott reden` mehr heiße als: 'in etwas erhöhtem Ton vom Menschen reden', das war doch einst ... mein kritischer Ausgangspunkt gewesen. Eben ihn sehe ich nun aufs neue preisgegeben" (S. 401).
Barth, Karl war sich zwar im Klaren darüber, dass jedes theologische System von gewissen philosophischen Einflüssen – und sei es auch unterschwellig – mit geprägt ist. Er verhehlte nicht seine eigene "Schwäche für Hegel". Aber er wollte sich nicht bewusst einem einzigen philosophischen System (wie etwa Bultmann dem Heidegger'schen) verschreiben, sondern bevorzugte den "Eklektizismus", die Auswahl von Gedanken-Elementen: Der Gebrauch philosophischer Gedanken in der Theologie dürfe "nie ein prinzipieller, sondern immer nur ein bewusst und erkennbar eklektischer sein" (S. 402).
Barth, Karl stand zwar Bultmann und seiner Theologie kritisch gegenüber, aber das bedeutete noch nicht, dass er sich zur >pietistischen oder evangelikalen Bewegung zählte, welche Bultmann ebenfalls heftig kritisierte. Auch wenn er im Alter ein milderes Urteil über "die Pietisten" hatte und sich auf diesem Gebiet mehr der Haltung seines Vaters annäherte (vgl. verschiedene Bemerkungen in KD IV/2), so blieb er doch im Innersten durch tiefe Gräben von ihnen getrennt. Das machen zum Beispiel mehrere Begegnungen und Äußerungen in den fünfziger und sechziger Jahren deutlich. Am 6. Oktober 1959 führte er ein ganztägiges Gespräch mit deutschen und Schweizer Vertretern aus der Gemeinschaftsbewegung. Busch berichtet darüber:
"Die Diskussion kreiste vorwiegend um die Frage einer klaren Grenze und Trennung zwischen Gläubigen und Ungläubigen. Barth, Karl konnte das Pathos, mit dem seine Gesprächspartner an einer solchen Grenze interessiert waren, nicht verstehen und nicht gutheißen. Umgekehrt mochten diese die eigentümliche Relativierung dieser Grenze in der Theologie Barth, Karls nicht akzeptieren" (S. 461f.).
Ein ähnlicher Unterschied zeigte sich in einer Begegnung mit dem amerikanischen Evangelisten Billy Graham im August 1960. Barth, Karl hatte zwar persönlich von Graham einen guten Eindruck, lehnte aber dessen "Höllenpredigt" als "Gesetzespredigt" ab: "Er hat die Leute erschrecken wollen ... Je mehr man ihnen die Hölle heiß macht, desto mehr 'laufen` sie" (S. 462). Auch für die 1966 in Auseinandersetzung mit der Theologie Bultmanns gegründete Bekenntnisbewegung "Kein anderes Evangelium" zeigte er wenig Verständnis und verschob die Problematik auf die politische Ebene. "Er fragte sie ..., ob ihr Bekenntnis auch das gegen die Atombewaffnung, gegen den Vietnamkrieg der USA, gegen den neuen Antisemitismus und für einen deutschen Friedensschluss mit Osteuropa unter Anerkennung der Grenzen von 1945 in sich schließe." Wenn nicht, dann sei es ein "pharisäisches Bekenntnis" (S. 497f.).
Während und nach seiner langen Lehrtätigkeit hat Barth, Karl insgesamt elf Ehrendoktorwürden erhalten, so etwa von den Universitäten Glasgow (1930), St. Andrews (1937), Oxford (1938), Chicago (1962) und Sorbonne (1963). Am 1. März 1962 allerdings wurde er "cum infamia" (mit Schmach) von der Basler Universität entlassen, als der Nationalökonom Salin in seiner Eigenschaft als Prorektor in einer Rede kritisch mit Barth, Karls politischer Haltung abrechnete. Erst an seinem 80. Geburtstag, am 10. Mai 1966, wurde er durch den Basler Rektor rehabilitiert.
Zur römisch-katholischen Theologie stand Barth, Karls Denken in vielen Punkten (z.B. Offenbarungsverständnis) konträr. Dennoch wurde er 1963 von Kardinal Bea als Beobachter zum Zweiten Vatikanischen Konzil nach Rom eingeladen. Aus gesundheitlichen Gründen musste er jedoch absagen. In seinen letzten Lebensjahren wurde er von mancherlei Krankheiten geplagt. Seine Arbeitskraft ließ merklich nach. So konnte er auch die "Kirchliche Dogmatik" nicht mehr abschließen. Die im letzten vollendeten Teilband der KD (IV/4) entfaltete und von seinem Sohn Markus, der ebenfalls Theologe geworden war, angeregte Tauflehre mit der Kritik am sakramentalen Verständnis und der volskirchklichen Praxis der Säuglingstaufe brachte allerdings die Öffentlichkeit noch einmal in Wallung. Barth, Karl unterschied die Taufe mit dem Heiligen Geist von der Wassertaufe als einem rein menschlichen Tun (Antwort und Bitte), weshalb sie nur von Erwachsenen als Verantwortlichentaufe vollzogen werden könne. Am 10. Dezember 1968 starb Karl Barth, Karl weltberühmt in Basel. Eine Radio-Ansprache, die er im Schweizer Rundfunk einen Monat vor seinem Tod gehalten hatte, schloss mit den Sätzen:
"Das letzte Wort, das ich als Theologe und auch als Politiker zu sagen habe, ist nicht ein Begriff wie 'Gnade`, sondern ist ein Name: Jesus Christus. Er ist die Gnade und er ist das Letzte, jenseits von Welt und Kirche und auch von Theologie ... Um was ich mich in meinem langen Leben bemüht habe, war in zunehmendem Masse, diesen Namen hervorzuheben und zu sagen: dort! Es ist in keinem Namen Heil, als in diesem Namen. Dort ist denn auch die Gnade. Dort ist auch der Antrieb zur Arbeit, zum Kampf, auch der Antrieb zur Gemeinschaft, zum Mitmenschen. Dort ist alles, was ich in meinem Leben in Schwachheit und in Torheit probiert habe. Aber dort ist`s" (S. 514).
Nach dieser biographischen Skizze seien einige Prägungen im Leben Barth, Karls näher betrachtet. Die Einflüsse auf ihn sind vielfältig. Das reformatorische Denken, insbesondere die Rechtfertigungslehre, übernahm er von Luther und Calvin. Die Rechtfertigungslehre mit ihrem Gedanken von der Unverfügbarkeit der Gnade übertrug er auf das Gebiet der Offenbarung und des Erkennens göttlicher Geheimnisse: Die Offenbarung trifft uns unverfügbar – oder mit anderen Worten: Gott wird nur durch Gott erkannt.
Ferner war Barth, Karl – wenn auch in Antithese zu ihm – von D. F. E. >Schleiermacher zu seinem Denken angeregt. Er verstand sein eigenes System letztlich als große Antwort auf das von Schleiermacher entfaltete Christentum der Kultur, des Gefühls und der religiösen Innerlichkeit. An einigen Punkten – etwa in der Versöhnungs- und Erwählungslehre – zeigt sich allerdings, dass Barth, Karl von Schleiermachers humanistischem Ansatz nie ganz losgekommen ist.
Von Sören >Kierkegaard, dem >Existenzphilosophen, hat Barth, Karl das Distanzpathos übernommen mit seiner Betonung des unendlichen qualitativen Unterschieds zwischen Ewigkeit und Zeit, zwischen Gott und Mensch – und auch der Unterscheidung zwischen Individuum und Masse. "Gott ist im Himmel – und du bist auf Erden", so lautet der Kerngedanke aus der zweiten Römerbrief-Auflage. Gott kann sich nur senkrecht von oben offenbaren, und wenn uns seine Offenbarung unverfügbar trifft, so entstehen Einschlagstrichter, die etwas von seiner Majestät erahnen lassen.
Auch Franz Overbeck, ein Freund Friedrich Nietzsches, hat Barth, Karl ein Stück weit geprägt. Barth, Karl übernahm von ihm die Kritik am zeitgenössischen Kulturchristentum, an einer verbürgerlichten, bigotten Moral mit einem selbstgebastelten "lieben Gott". Über Overbeck und andere erreichte ihn die Projektionshypothese Ludwig Feuerbachs, der davon ausging, dass sich der Mensch die Götter nach seinem Bilde, nach seiner Vorstellung "erschafft". Solche selbstgeschaffenen Götter lehnte auch Barth, Karl ab und verkündigte – nun in direkter Antithese zu Feuerbach – die Selbstoffenbarung des souveränen Gottes, der alle selbsterzeugten Vorstellungen sprengt. Religion als Selbstrechtfertigung und Selbstvergottung des Menschen verstanden, ist deshalb Unglaube. Sie steht zu Gottes Offenbarung im Widerspruch. Nicht der Mensch erschafft sich Gott, sondern Gott erschafft den Menschen und die Möglichkeit, Gott zu erkennen.
In Kontrast stand der Barth, Karl der kritischen und nachkritischen Periode auch zu seinem früheren Lehrer Adolf von Harnack. Dieser hatte den christlichen Glauben auf folgende Minimaldaten reduziert:
"Gott der Vater, die Vorsehung, die Kindschaft, der unsterbliche Wert der Menschenseele".
Jesus galt nur noch als bloßer Mensch, der Gott den Vater, den Wert der Menschenseele etc. verkündigte, aber nicht selber Gott war und die Erlöserfunktion im metaphysischen Sinne wahrnehmen konnte. Gegen diese Verkürzung kämpfte Barth, Karl durch die Ausbildung einer eigenen – und streckenweise eigenwilligen – Christologie und Soteriologie (s.u.).
Seinen Lehrer Wilhelm Herrmann rezipierte Barth, Karl in Anknüpfung und Widerspruch. Herrmann hatte gelehrt, dass – ungeachtet historischer Fakten – von der christlichen Überlieferung nur das relevant sei, was dem Menschen aktuell zum Erlebnis werde. Dieser "Aktualismus", der Gegenwartsbezug des Glaubens, wurde für Barth, Karls gesamtes theologisches System prägend. Während allerdings Rudolf Bultmann (ebenfalls ein Schüler Herrmanns) den Gegenwartsbezug des Glaubens auf das existentiale Selbstverständnis des Menschen konzentrierte und sich damit ganz in den Bahnen Herrmanns bewegte, fand ihn Barth, Karl in der Selbstoffenbarung Gottes und verließ insofern die Fußstapfen seines Lehrers. Jürgen Moltmann (Theologie der Hoffnung, 1985, 43ff.) kommentiert richtig, dass Barth, Karl "an die Stelle der im Herrmannschen 'Selbst` gemeinten Subjektivität des Menschen die Subjektivität Gottes setzt". An der Stelle einer "Theologie der transzendentalen Subjektivität des Menschen" bei Herrmann und Bultmann steht bei Barth, Karl eine "Theologie der transzendentalen Subjektivität Gottes".
Diese transzendentale Subjektivität Gottes weist – zumindest beim jungen Barth, Karl – deutliche >platonische und >kantische Züge auf. Eine vom Menschen unerreichbare Überwelt oder ein mit der reinen Vernunft unerschließbares "Ding an sich" scheint sich stark mit der Vorstellung einer unverfügbaren Offenbarungssphäre Gottes zu berühren. Auf die Einflüsse Platos und Kants hat Barth, Karl selber im Vorwort zur zweiten Auflage seines "Römerbriefs" (Zürich, 13. Aufl. 1984, S. VII) hingewiesen. Plato und Kant wurden ihm u.a. von seinem Bruder, dem Philosophen Heinrich Barth, Karl, nahegebracht. Im Gegensatz etwa zu einer frühen transzendental-präsentischen Eschatologie (überweltlich-gegenwärtige Deutung der Lehre von den letzten Dingen) hat er sich später einer mehr geschichtlichen und inkarnatorischen Sicht zugewandt.
Beeinflusst war Barth, Karl von den beiden Blumhardts Vater und Sohn, von denen jeder auf seine Weise den nahe bevorstehenden Anbruch oder gar die Gegenwart des Reiches Gottes verkündigte. Während Blumhardt der Ältere den Anbruch des Reiches Gottes durch besondere Geisteswirkungen (Erweckung, Heilungen, Teufelsaustreibung) sich ankündigen sah, bemühte sich Blumhardt der Jüngere um dessen aktiven Aufbau in den politischen Bahnen der Sozialdemokratie. Die Darstellung des Reiches Gottes und seiner universalen Ausdehnung findet sich bei Barth, Karl insbesondere in seinem Vortrag "Christengemeinde und Bürgergemeinde".
Unübersehbar ist insbesondere die Bedeutung G. W. F. >Hegels und seiner Dialektik auf Barth, Karls Dialektische Theologie (s. dort).
Wir beziehen uns im folgenden vor allem auf Barths Hauptwerk, die in den Jahren 1932-67 in vier Teilen und 12 dicken Teilbänden erschienene "Kirchliche Dogmatik". Die vier Teile sind:
I. Die Lehre vom Worte Gottes (Prolegomena)
II. Die Lehre von Gott
III. Die Lehre von der Schöpfung
IV. Die Lehre von der Versöhnung
Der Schluss des vierten Teils sowie ein fünfter Teil (Die Lehre von der Erlösung) konnten nicht mehr geschrieben werden.
Karl Barths theologisches System ist trinitarisch angelegt. Die KD beginnt daher – nach einigen Vorbemerkungen – ebenso folgerichtig wie ungewohnt mit der Trinitätslehre (Lehre von der Dreieinigkeit), die unmittelbar mit der Offenbarungslehre verkoppelt ist: Gott der Vater ist der unsichtbare, vom Menschen unenthüllbare Gott. In sich ruhend und an sich seiend (Aseität), besitzt er die Freiheit, sich selbst zu enthüllen. Seine Selbstenthüllung bedeutet Offenbarung und ermöglicht die Schöpfung durch das gesprochene göttliche Wort. Gott wird nur durch Gott erkannt. Der Vater offenbart sich für uns (pro nobis) als der Sohn. In ihm enthüllt er sich und gewinnt Gestalt. Der sich enthüllende und in Jesus Christus menschliche Gestalt annehmende Gott wird sein eigener Doppelgänger. Christus ist die objektive Wirklichkeit der Offenbarung Gottes. In ihm als dem fleischgewordenen Wort geschieht die Versöhnung. Gott der Vater, der sich als Sohn für uns offenbart, offenbart sich als Geist in uns. Der Geist bewirkt das Offenbarsein, die Selbstmitteilung und die Geschichtlichkeit Gottes. Im Geist teilt sich Gott jedem einzelnen mit und wird in ihm geschichtlich. Der Geist ist die subjektive Wirklichkeit der Offenbarung und ermöglicht – als noch ausstehendes, vollendendes Handeln – die Erlösung.
Nicht nur die übergreifende Lehre von Gott und der Offenbarung, sondern auch die Soteriologie (Lehre von der Versöhnung und vom Heil) mit Hamartiologie (Lehre von der Sünde) und Christologie (Lehre von Christus) ist trinitarisch angelegt:
Jesus Christus ist wahrer Gott (vere Deus). In ihm wird Gott zum Menschen, und das heisst:
Der Herr wird Knecht. Jesus Christus ist deshalb in seiner Person der wahre, nämlich der sich selbst erniedrigende und so der versöhnende Gott. Diesem Tatbestand entspricht sein priesterliches Amt (munus sacerdotale): Der Richter wird im priesterlichen Gehorsam des sich selbst für uns opfernden Gottessohnes der an unserer Stelle Gerichtete. Als solcher hebt er die Sünde des menschlichen Hochmuts auf: Dem Sich-Selber-Erhöhen- und Selber-wie-Gott-sein-Wollen des Menschen, das zum Fall führt, tritt die versöhnende Selbsterniedrigung Gottes entgegen. Gottes Urteil im Versöhnungsgeschehen ergeht als des Menschen Rechtfertigung, die dem menschlichen Unrecht zum Trotz als das neue Recht Gottes proklamiert wird. Jesus Christus ist wahrer Mensch (vere homo). In ihm tritt der wahre, nämlich der von Gott erhöhte und so der versöhnte Mensch auf, und das heisst:
Der Knecht wird Herr. Diesem Tatbestand entspricht sein königliches Amt (munus regale): Jesus, der gehorsame Menschensohn, wird zum Heilskönig eingesetzt. Als erhöhter Menschensohn hebt er die Sünde der menschlichen Trägheit auf: die Sünde des Menschen, der von seiner Freiheit nicht Gebrauch machen, sondern sich in der Niederung eines in sich verschlossenen Seins genügen wollte, welches gekennzeichnet war von Dummheit, Verlotterung, Unmenschlichkeit, Sorge und schließlich Tod und zu des Menschen Elend führte. Gottes Weisung im Versöhnungsgeschehen ergeht als des Menschen Heiligung, die als ständige Erneuerung ganz auf der Rechtfertigung beruht und dem menschlichen Versagen zum Trotz ermöglicht wird. Jesus Christus ist der wahrhaftige Zeuge. Er verkündigt die Wahrheit und ist diese in Person. Durch seinen Geist als Mittler wird diese Wahrheit auch heute bezeugt und Jesus als Sieger proklamiert. Diesem Tatbestand entspricht das prophetische Amt (munus propheticum). Jesus als wahrhaftigem Zeugen steht die Sünde der menschlichen Lüge gegenüber, die zur Verdammnis führt – Lüge verstanden als Verkehrung der Befreiung durch und für den freien Gott in den Versuch einer Inanspruchnahme Gottes durch und für den in seiner Selbstbehauptung unfreien Menschen. Gottes Verheißung im Versöhnungsgeschehen ergeht als des Menschen Berufung in den Stand des Christen als Zeugen der in Jesus Christus erschienenen Wahrheit.
Zur weiteren Darstellung und Beurteilung der Barth, Karlschen Theologie s.: Dialektische Theologie. Erwählungslehre, Ganztod.
Lit.: K. Barth, Kirchliche Dogmatik, 1932-67; E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 1993. – Kritisch: L. Gassmann, Karl Barth – Das Verhängnis der Dialektik, 1995; ders. Kampf um die Wahrheit, 1999.
Lothar Gassmann
Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handbüchern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):
1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines Ökumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch
Weitere Handbücher (über Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de