Ganztod-Lehre

Klick auf den Kompass öffnet den IndexGanztod-Lehre (>Annihilationismus, H�lle):

Verschiedene theologische Richtungen (z.B. K. Barth, E. J�ngel) und Sekten (>Adventisten, Zeugen Jehovas) vertreten die Ansicht, dass der Mensch bei seinem irdischen Tod als Ganzheit stirbt und dass erst sp�ter (etwa beim J�ngsten Gericht) � nur bei den zum ewigen Leben Bestimmten � eine (geist)-leibliche Neuerschaffung des Menschen durch Gott erfolgt. Die Vorstellung einer "Unsterblichkeit" des Menschen (oftmals mit platonischen Vorstellungen assoziiert) sowie eines Zwischenzustandes zwischen irdischem Tod und J�ngstem Gericht mit allgemeiner Totenauferstehung wird abgelehnt, ebenso eine ewige Verdammnis (H�lle). Was ist aus biblischer Sicht hierzu zu sagen?

Altes und Neues Testament beschreiben den Menschen als "Seele ", aber auch als "Geist-Seele-Leib"-Einheit, die beim leiblichen Tod zeitweise aufgel�st und bei der leiblichen Auferstehung wiederhergestellt wird. In der dazwischenliegenden Zeit (Zwischenzustand zwischen irdischem Tod und Auferstehung am J�ngsten Tag) existiert der Mensch als Person weiter, wenn auch ohne irdisch-materiellen Leib. Die Personkontinuit�t zwischen irdischem Tod und Auferstehung kann man als Weiterleben des menschlichen Ichs � oder auch: der "Seele" � bezeichnen, ohne damit heidnisch-platonischen Vorstellungen von einer "Unsterblichkeit der Seele" zu huldigen (s.u.). "Seele" ist in diesem Sinne die den materiellen Tod �berdauernde Personalit�t des Menschen. Biblische Texte wie Mt 10,28; Lk 16,19-31; 1. Petr 3,19 sowie alttestamentliche Aussagen �ber den Scheol (Totenreich) sind deutliche Hinweise darauf, dass es einen Zwischenzustand � und damit auch ein Weiterexistieren des Menschen nach seinem irdischen Tod � gibt.

Die Ganztod-Lehre ist daher m.E. nicht haltbar. Mit Martin Luther und Fritz Heidler (der sich u.a. auf Luther beruft) bin ich der Ansicht, dass die Bibel "von der seelischen Weiterexistenz der verstorbenen Personen im Zwischenzustand" redet, und dass Gott

"die Seele unsterblich und ewig schafft", um "die Ich-Kontinuit�t zu bewahren und so die Auferstehung der Toten in personaler Identit�t zu erm�glichen" (F. Heidler, "Ganztod oder nachtodliche Existenz?", Theologische Beitr�ge Nr. 4/1985, 169ff.).

Wenn in der Bibel davon die Rede ist, dass die "Seele" stirbt (z.B. in 4. Mose 23,10; 1. K�n 19,4), ist damit immer der Mensch als ganzer (weite Bedeutung), aber niemals die Seele als Beschaffenheitselement des Menschen (enge Bedeutung) gemeint (Seele). Das gilt insbesondere f�r Stellen wie Hes 18,4. Wenn es dort heisst

"Die Seele, die s�ndigt, soll sterben"

ist damit selbstverst�ndlich der Mensch in seiner geistig-seelisch-leiblichen Gesamtheit gemeint, denn eine isolierte Seele k�nnte weder s�ndigen noch sterben. Sterblichkeit ist eine Eigenschaft, welche im Neuen Testament nur in Verbindung mit dem irdischen Leib gebraucht wird (vgl. R�m 6,12; 8,11; 1. Kor 15,53f.; 2. Kor 4,11; 5,4). Denn der irdische Leib geh�rt zur Sph�re des Sichtbaren und Verg�nglichen (2. Kor 4,18). Der neue Leib aber, welcher dem in seiner personalen Kontinuit�t weiterexistierenden Menschen bei der Auferstehung am J�ngsten Tag zuteil wird, ist unverg�nglich (1. Kor 15,35-54; 2. Kor 5,1-10; Phil 3,21). Auch wenn es somit nach biblischer Lehre eine Unsterblichkeit des Menschen (oder � wenn man so will: der Seele) gibt, ist diese Auffassung von der Unsterblichkeit mit den heidnisch-platonischen Vorstellungen keineswegs identisch. Die Unterschiede zwischen biblischer und heidnisch-platonischer Unsterblichkeitsauffassung sind gravierend. Es handelt sich vor allem um folgende vier Punkte:

a. Die platonische Philosophie betrachtet den Leib als "Kerker der Seele" und wertet ihn damit gegen�ber dem Seelisch-Geistigen ab. � In der Bibel hingegen wird betont: "Das Wort wurde Fleisch" (Joh 1,14). Der Mensch ist als Ganzheit "sehr gut" geschaffen worden (1. Mose 1,31). In der Bibel ist der Leib niemals zweitrangig, sondern wird als gute Sch�pfung Gottes betrachtet.

b. Der platonischen Philosophie ist eine Auferstehung des Leibes fremd. Nach ihrer Vorstellung entkommt beim Sterben die Seele wie ein Schmetterling dem K�rper. � Die Bibel legt hingegen die Betonung darauf, dass nach einem nur zeitweiligen leibfreien Zwischenzustand ("Nacktsein", "Entkleidetsein"; vgl. 2. Kor 5,1-10) die leibliche Auferstehung erfolgt. Der irdische Leib stirbt zwar; das leibliche Dasein des Menschen wird aber dadurch keineswegs abgewertet, was in der leiblichen Auferstehung Christi und der vorausgesagten zuk�nftigen leiblichen Auferstehung aller Menschen zum Ausdruck kommt (1. Kor 15). Die Seligkeit der Seelen wird daher in der Heiligen Schrift immer verstanden "unter dem Gesichtspunkt der Auferstehung des Leibes, also einer neuen Leiblichkeit der Seelen" (TBLNT II/1977, S. 1.119).

c. Die platonische Philosophie lehrt, dass nach dem Tod "das G�ttliche im Menschen" zu "Gott" (stark >pantheistisch verstanden) zur�ckkehrt. Unsterblichkeit wird hier als eine qualitative Veranlagung betrachtet, die jedem Menschen von Natur aus eignet � unabh�ngig von irgendeiner Beziehung zu einem personalen Gott. � Die Bibel kennt ein solches "G�ttliches" nicht, das im Menschen veranlagt sei, sondern spricht von der S�ndenverfallenheit jedes Menschen von Natur aus und dem daraus resultierenden Tod, dem bei zu irdischen Lebzeiten vers�umter Umkehr die ewige Verdammnis folgt. Das ewige Leben � verstanden als ewiges Heil � ist ganz allein Gottes Gabe und freies Geschenk (R�m 6,23; Mt 25,31 ff.; Offb 21,11-15). Gott allein besitzt Unsterblichkeit (1. Tim 6,16), aber er verf�gt �ber die Unsterblichkeit und verleiht sie dem Menschen � zum ewigen Heil oder ewigen Unheil.

d. Die platonische Philosophie geht von einer Pr�existenz des Menschen (Existenz vor seiner Zeugung) � zum Teil sogar verbunden mit einer "Seelenwanderung" � aus, w�hrend die Bibel das klar verneint. Die Bibel kennt zwar einen Plan Gottes f�r das Leben des Menschen vor seiner Zeugung (vgl. Ps 139,16; Jer 1,5) und eine ewige Erw�hlung von Menschen durch Gott (Eph 1,4); aber von einer Existenz des Menschen vor seiner Zeugung ist dabei nicht die Rede. Der Pr�existenzgedanke findet sich in der Bibel allein im Blick auf den Logos Jesus Christus (Joh 1,1 ff.; 8,58; Phil 2,5 ff.). Dem Menschen ist es gesetzt, "einmal zu sterben, danach aber das Gericht" (Hebr 9,27).

Alle Annihilationisten sind zu fragen:

Wenn es keine Weiterexistenz des Menschen unmittelbar nach dem Tode geben soll, sondern die Ungerechten vernichtet werden und die Gerechten noch auf ihre Neuerschaffung warten, wie lassen sich dann folgende biblischen Berichte erkl�ren?

a. Bei der Verkl�rung (Mt 17,1-8 parr.) erschienen Jesus und drei J�ngern die alttestamentlichen Gestalten Mose und Elia. Wie h�tten sie diesen erscheinen k�nnen, wenn sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr (oder noch nicht) existiert h�tten? �

b. Wie k�nnte Paulus sagen, er w�nsche sich

"abzuscheiden und bei Christus zu sein" (Phil 1,23) und
"nicht entkleidet, sondern �berkleidet (verwandelt)" (2. Kor 5,4)

zu werden, wenn sich nicht unmittelbar an den irdischen Tod eine Weiterexistenz anschlie�t? �

c. Wie k�nnten die get�teten Zeugen Jesu Christi unter dem himmlischen Altar Gott um sein Eingreifen bitten und wie k�nnte ihnen geantwortet werden, sie sollten

"noch eine kurze Zeit abwarten, bis auch ihre Mitknechte und Br�der vollendet sind" (Offb 6,9-11),

wenn es keine Existenz zwischen irdischem Tod und J�ngstem Gericht geben sollte? �

d. Wie k�nnte Jesus dem Verbrecher am Kreuz zurufen: "

Heute wirst du mit mir im Paradiese sein" (Lk 23,43)

- und wie k�nnte er in Lk 16,19-31 den nachtodlichen Zustand beschreiben, wenn es alles das gar nicht wirklich g�be?

Manche berufen sich auf Bibelstellen aus dem Alten Testament, insbesondere aus den Psalmen und dem Buch Prediger, die von der Verg�nglichkeit des Menschen und seiner abgebrochenen Beziehung zu Gott und der Sch�pfung im Zustand des Todes handeln (z.B. Ps 6,5; 49,14; 115,7; Pred 3,18-22; 9,3-10). Liest man solche Stellen isoliert und beachtet nicht den heilsgeschichtlichen Ort, an dem sie stehen, dann k�nnte man tats�chlich zu falschen Ergebnissen gelangen. Aber welches ist nun der heilsgeschichtliche Ort von Prediger (Kohelet)?

Es ist der Erkenntnisstand des Menschen zu alttestamentlicher Zeit vor der Auferstehung Jesu Christi. Die Gewissheit des ewigen Lebens und der Auferstehung ist hier � wie im Alten Testament �berhaupt � noch nicht so deutlich offenbart wie im Neuen Bund. Auch wenn eine Weiterexistenz nach dem Tode immer wieder an einzelnen Stellen des Alten Testaments (z.B. Ps 88,11; 139,8; Jes 26,19; Hes 37; Dan 12,1; Hi 19,25 ff.) anklingt, so ist v�llige Gewissheit erst durch die Auferstehung Jesu Christi und die dadurch erfolgte Grundlegung f�r eine allgemeine Totenauferstehung gegeben. Im Alten Testament steht hingegen an vielen Stellen die Angst vor dem drohenden Gericht und vor der Verg�nglichkeit des irdischen Lebens im Vordergrund, so auch bei Kohelet. Kohelet ist "noch stark diesseitsorientiert" und hat "keine Gewissheit �ber die Auferstehung zum Leben" (C.-D. Stoll, Der Prediger, 1993, 34).

Er rechnet aber damit, "dass mit dem Tod eben nicht alles aus ist (3,17; 12,7)", dass es "ein Gericht" gibt. In Pred 3,18 ff. redet z.B. "der Mensch ohne Gott, der sich nur �f�r sich selbst` (V. 18) betrachtet und im Vergleich mit dem Vieh zu der Einsicht kommt und kommen muss, letztlich gebe es bis in den Tod hinein keinen Unterschied". Die Linie f�hrt aber "konsequenterweise von hier weiter zum Todes�berwinder Jesus Christus" (a.a.O., 76f.). �hnliches gilt f�r Pred 9,3 ff.:

"Die Lokalisierung �unter der Sonne` gibt erneut zu erkennen, dass Kohelet mit seinen Beobachtungen die n�chterne Wirklichkeit eines Lebens an Gottes Bestimmung vorbei beschreibt" (a.a.O., 139).

Wer sich auf solche Stellen beruft, der �bersieht, dass sich diese wie Anfragen verhalten, die in Jesus Christus ihre Beantwortung und Erf�llung erfahren haben. Wenn Pred 3,21 etwa fragt:

"Wer weiss, ob der Odem der Menschen aufw�rts fahre?",

dann gibt die neutestamentliche Stelle 2. Kor 5,1 darauf die Antwort:

"Denn wir wissen: wenn unser irdisches Haus, diese H�tte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit H�nden gemacht, das ewig ist im Himmel."

S. auch: Seele; H�lle.

Lit.: H.-J. Ronsdorf, Und die Toten leben doch, 1992 ; L. Gassmann, Was kommen wird, 2002.

Lothar Gassmann


Index

Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handb�chern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):

1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines �kumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch

Weitere Handb�cher (�ber Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de