Seelsorge

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Seelsorge (Sorge an der Seele) als Teilgebiet der Praktischen Theologie ist heute ein ebenso umk�mpftes Gebiet wie die Theologie insgesamt. Denn die heutige Seelsorge ist weithin nicht mehr vom biblisch-christlichen Menschenbild, sondern von unbiblischen Methoden der Pastoralpsychologie gepr�gt (Humanistische Psychologie). Das Ziel ist weithin nicht mehr die Hinf�hrung des Menschen zu Gott, sondern die Selbstverwirklichung des Menschen. Die Heilung wird nicht mehr prim�r in der Heilung der Gottesbeziehung gesucht, sondern in der Entfaltung der "im Menschen liegenden Kraftpotentiale".

Damit ist der christlichen Seelsorge das Eigentliche verlorengegangen:

das Wort Gottes, das uns unverf�gbar von au�en trifft, das unseren von der S�nde gezeichneten Lebenszusammenhang radikal unterbricht und das allein uns von Grund auf ver�ndern, heilen und erneuern kann. Nachfolgend entfalte ich in acht Thesen meine Kritik an der sog. Modernen Seelsorgebewegung oder Pastoralpsychologie.

1. Sie vertraut optimistisch auf Selbstheilungskr�fte im Menschen und �bersieht den Graben der S�nde

"Eine der revolution�rsten Einsichten, die sich aus unserer klinischen Erfahrung entwickelt hat, ist die wachsende Erkenntnis: der innerste Kern der menschlichen Natur, die am tiefsten liegenden Schichten seiner Pers�nlichkeit, die Grundlage seiner tierischen Natur ist von Natur aus positiv - von Grund auf sozial, vorw�rtsgerichtet, rational und realistisch. Dieser Standpunkt ist unserer gegenw�rtigen Kultur so fremd, dass ich kaum mit Zustimmung rechne, und er ist in seinen Implikationen in der Tat so revolution�r, dass er ohne gr�ndliche �berpr�fung nicht akzeptiert werden sollte."

Diese S�tze schrieb Carl Rogers erstmals in einem Aufsatz aus dem Jahre 1953. Rogers selbst rechnete mit der Ablehnung durch die "Religion, vor allem die protestantische Tradition" wegen ihrer "Grundansicht (...), dass der Mensch im Wesen s�ndhaft ist", sowie durch "Freud und seine J�nger" wegen deren triebdeterministischem Menschenbild. Inzwischen ist jedoch die erstaunliche Situation eingetreten, dass Rogers` psychotherapeutische Ansichten (und damit unweigerlich auch sein Menschenbild) von der kirchlichen (vor allem von der protestantischen) Seelsorge weitgehend unkritisch �bernommen worden sind und sich hier mit theologischen Begriffen verbunden haben. Neben dem Einfluss von Rogers wurden folgende Thesen von Cabot und Dicks f�r die "moderne Seelsorgebewegung" massgeblich: "Dem Menschen als einem Gesch�pf Gottes wohnt grunds�tzlich eine heilende Kraft inne: �vis medicatrix dei` (...) Der Arzt und der Seelsorger sind selbst�ndige Glieder des therapeutischen Teams. Sie verstehen sich vornehmlich als Handlanger dieser heilenden Kraft Gottes. (...) Ihre Kunst besteht darin, den Prozess verborgenen Wachstums (�growth`) zu erkennen und zu entdecken, wo das heilende Potential (�growing edge`) des Patienten hervorbrechen will und wo es zu hegen ist." Nach H. J. Thilo soll die Beratung dem Menschen helfen, "das zu werden, woraufhin er angelegt ist". � H. J. Clinebell schreibt: "Die beratende Seelsorge bezeugt, dass alles Heilen und Reifen von Gott kommt. Werden die von Gott geschenkten Heilkr�fte, die im Innern des Menschen und in seinen mitmenschlichen Beziehungen liegen, nicht von dem befreit, was sie blockiert, kann ein Heilungsprozess nicht in Gang kommen. Der Berater ist der Katalysator in einem Vorgang, den er nicht hervorbringt, den er nur ausl�sen und f�rdern kann." Wenn von "S�nde" die Rede ist, dann nur in einer sehr eingeschr�nkten und verschwommenen Form: "Der Mensch" ist "S�nder (�sinful`) und Bild Gottes (�image of God`) zugleich" (Seelsorge Hiltner). Im Anschluss an W. E. Hulme spricht D. Stollberg von einer "Spaltung im Menschen, der �gerecht und S�nder zugleich` ist. In der Einheit von Sch�pfung und Erl�sung vollzieht sich das �innere Wachstum` (...) Seelsorge tr�gt bei zur Realisation der als Potenz vorhandenen Imago Dei, welche die Kluft zwischen protologischem Urstand, pr�sentischem Konflikt und eschatologischer Vollendung schlie�t."

In all diesen Aussagen wird entweder die Realit�t der >S�nde ganz geleugnet oder ihre Radikalit�t verharmlost:

Der Mensch sei "von Natur aus gut" oder in ihm wohne zumindest "ein guter Kern", ein "Rest der urspr�nglichen Gottebenbildlichkeit", den es zu entfalten und f�r die Heilung einzusetzen gelte. Eine geradezu mystisch anmutende Verbundenheit zwischen G�ttlichem und Menschlichem kommt bei vielen dieser Autoren zum Ausdruck.

"Ich weiss, dass in mir, das heisst in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt"

betont demgegen�ber Paulus (R�m 7,18).

"Gut ist nur einer"

n�mlich Gott (Mt 19,17). Die ganze Bibel spricht von dem Graben zwischen Gott und dem Menschen, den die S�nde aufgerissen hat � und zwar gerade die S�nde des Strebens nach menschlicher Selbstverwirklichung, nach dem "Sein-Wollen-wie-Gott" (1 Mo 3,5)! Nicht die menschliche Selbstverwirklichung, die den Graben verursacht hat, kann ihn �berbr�cken, sondern allein die S�ndenvergebung. Diese k�nnen wir uns aber niemals selber (auch nicht gegenseitig, auch nicht in der Gruppe) zusprechen, sondern sie kommt von au�en: von dem einen und lebendigen Gott, der jenseits unserer Gesch�pflichkeit und Gefallenheit steht und dem Glaubenden aus freiem Erbarmen die Vers�hnung schenkt. Aus diesem Vers�hntsein des Glaubenden (nicht des ungl�ubigen, "nat�rlichen" Menschen!) mit Gott erw�chst die Kraft zu einem neuen Leben � zur Heilung, zur Heiligung und zum Heil. Nicht aus uns kommen die Kr�fte hierzu, sondern von au�erhalb, von Gott str�men sie in uns ein.

2. Sie ordnet das Handeln, die Erfahrung und die zwischenmenschliche Beziehung dem gesprochenen und geh�rten Wort Gottes �ber

Ausgehend von dem Gedanken, dass Seelsorge auf Beichte, Umkehr und S�ndenvergebung zielt, war Hans Asmussen zu folgender Definition gelangt:

"Seelsorge ist die Verk�ndigung des Wortes Gottes an den einzelnen".

In ihr wird "dem einzelnen auf seinen Kopf zu die Botschaft gesagt". "Wort Gottes kann nur verk�ndigend gesagt werden."

�hnlich f�hrt Eduard Thurneysen aus:

"Seelsorge findet sich in der Kirche vor als Ausrichtung des Wortes Gottes an den einzelnen."
"Seelsorge vollzieht sich in Gestalt eines Gespr�ches, das herkommt vom Worte Gottes und hinf�hrt zu seiner Verk�ndigung in der Gemeinde."
"Weil das Seelsorgegespr�ch das ganze Feld des menschlichen Lebens mit allen darin wirksamen psychologischen, weltanschaulichen, soziologischen und moralischen Deutungen und Beurteilungen dem Urteile des Wortes Gottes unterstellt, darum geht durch das ganze Gespr�ch eine Bruchlinie, die anzeigt, dass das menschliche Urteilen und Bewerten und das ihm entsprechende Verhalten hier zwar nicht au�er Kraft gesetzt, aber dass es in seiner Vorl�ufigkeit erkannt ist. Da der Mensch sich diese Relativierung und damit gegebene Beschr�nkung seines nat�rlichen Urteiles nicht gefall
en l�sst, sondern sich dagegen zur Wehr setzt, wird das Seelsorgegespr�ch zum Kampfgespr�ch, in welchem um die Durchsetzung des Urteiles Gottes zum Heil des Menschen gerungen wird."

Gegen solche Aussagen meldete sich in der "praxisorientierten Seelsorge" und besonders in der "modernen Seelsorgebewegung" lebhafter Protest an. Joachim Scharfenberg warf der von Asmussen und Thurneysen gepr�gten Seelsorge einen "autorit�ren oder methodistischen Missbrauch der Sprache" vor. "Autorit�r muss jede Gespr�chsf�hrung genannt werden, die das Gespr�ch nur dazu benutzen will, um etwas Vorgegebenes, an der Vergangenheit Orientiertes, Bekanntes und Verf�gbares �auszurichten`." An die Stelle der "Verk�ndigung" als "Zuspruch von etwas Festem, Unwandelbarem, objektiv Vorgegebenem" m�sse das "Gespr�ch" treten, das durch "Offenheit, Zweideutigkeit", durch "bipolares, partnerschaftliches Hin und Her von menschlicher Rede" gepr�gt sei. Die Beichte, die im Gefolge der Reformatoren besonders Asmussen hervorhob, setze "eine bestimmte psychologische Situation [...] eines Menschen, der unter einem angefochtenen und verst�rten Gewissen leide", voraus. Weil es fraglich sei, "ob diese psychologische Situation heute als Massenerscheinung noch gegeben sein kann", solle an ihre Stelle die "selbstkritische Gruppenaussprache" treten, "in der der einzelne bereit ist, seine eigenen Fehler und Vorurteile zuzugeben und in der Gemeinschaft zur Diskussion zu stellen". "An die Stelle der hierarchischen Struktur von Anweisung und Gehorsam ist damit die dialogisch-zirkelhafte Struktur des Verstehens getreten." Statt einer als "autorit�r" angesehenen "Offenbarungstheologie" soll nun eine "Erfahrungstheologie" das Feld beherrschen.

"Erfahrung ist f�r mich die h�chste Autorit�t."

Diesen Satz mit seinen Konsequenzen fanden wir bereits bei C. Rogers. Und W. Zijlstra schreibt in seinem Buch �ber das Clinical Pastoral Training (CPT): "Man k�nnte sagen, dass es im CPT eigentlich um eine moderne Form von �Erfahrungstheologie` geht."

Hier werden wir konfrontiert mit einer letztlich immanentistischen (rein innerweltlichen) Seelsorge, die auch dann, wenn sie den Namen Gottes im Munde f�hrt, im Grunde nur den Menschen meint. Dies h�ngt zusammen mit einer Vermenschlichung Gottes im Rahmen einer umgedeuteten Kondeszendenz- und Inkarnationstheologie (Mensch- und Fleischwerdung Gottes), die mit einer Verg�ttlichung des Menschen (d.h. einer Umsprechung gesch�pflich-s�ndhafter Kr�fte zu angeblich gottgeschenkten Selbstheilungskr�ften) einhergeht. Zu solchen Ansichten kann nur der kommen, der den Graben der S�nde �bersieht oder verharmlost. Eine mit der Wirklichkeit der S�nde rechnende Seelsorge hingegen kann auf die Verk�ndigung des Wortes Gottes nicht verzichten. Nur das von au�en kommende Wort Gottes kann S�nde als S�nde entlarven � gerade die S�nde, dass der Mensch auf seine mutma�lichen Selbstheilungskr�fte vertraut, dabei dem wirklichen Gott nichts zutraut und im Streben nach Selbsterl�sung endet. Nur wo uns das g�ttliche Wort trifft und uns in unserem menschlichen Selbstbezug (als einzelner oder in der Gruppe) radikal unterbricht, wird S�nde in ihrer unergr�ndlichen Tiefe und H�sslichkeit erkannt und im Bekennen vergeben. Nur wer sich dem � oft schmerzlichen, aber heilenden � Anruf Gottes stellt, wird wahrhaft frei.

Jede Heilung in der Seelsorge setzt die Heilung der Gottesbeziehung voraus. Die Gottesbeziehung wurde durch das Kreuzesopfer Jesu wiederhergestellt. Die Annahme des Kreuzesopfers Jesu geschieht im Glauben.

"Der Glaube kommt aus der Predigt, die Predigt aber durch das Wort Christi" (R�m 10,17).

Wir entdecken hier eine "Kette" mit den Gliedern:
Heilung- Gottesbeziehung � Kreuzesopfer Jesu � Glauben � Predigt - Wort Christi. Keines dieser Glieder darf fehlen.

Das Kreuzesopfer Jesu und der Glaube stehen im Zentrum. Die Heilung geht auf das Wort Christi zur�ck, das durch die Predigt (w�rtlich: das H�ren) dem Glaubenden vermittelt wird. Somit ist das Wort Christi (oder Wort Gottes) f�r die Seelsorge unverzichtbar, und zwar das Wort, das h�rbar in Form der Verk�ndigung zugesprochen wird. Wird das Wort nicht h�rbar zugesprochen, sondern nur "gelebt" bzw. auf nonverbale oder beziehungsimmanente Art mitgeteilt, so bleibt es vieldeutig, sprachlos und in seiner Sprachlosigkeit heillos Es kann den in der S�nde gefangenen Menschen nicht zu einem neuen Leben im Glauben herausrufen, sondern h�chstens ein Gef�hl mitmenschlicher W�rme und religi�sen Ahnens in ihm wachrufen. Gottes Wort muss dem Menschen also in Predigt und Seelsorge h�rbar zugesprochen werden. Es muss ihm un�berh�rbar zugesprochen werden in Wort und Tat, aber nie ohne das Wort. Wortlose Seelsorge ist heillose Seelsorge, weil sie vor dem Heiland, der im Wort zu uns kommen will, das Ohr � und damit das Herz � zusperrt.

Seelsorge unter Gottes Wort ist schlie�lich nie autorit�r, weil sich beide � Seelsorger und Klient � unter Gott beugen. Die einzige � und notwendige - Autorit�t, die zum Zuge kommen soll und darf, ist die Autorit�t Gottes, des wahren Seelsorgers. Menschliche und g�ttliche Autorit�t sind klar zu unterscheiden. H. Asmussen betont:

"Man hat h�ufig dem Seelsorger vorgeworfen, er behandle die Menschen �von oben herab`. [...] Selbst wenn der Seelsorger der dem�tigste Mensch ist, den man sich denken kann, ist er gar nicht imstande, seinen Auftrag etwa nicht �von oben her` auszurichten. Welches Interesse sollte er daran haben, zu verschweigen, dass sein Auftrag von oben herkommt, dass dieser Auftrag gewaltig den ganzen Menschen mit Beschlag belegt? Seine Demut bleibe mit dem Auftrag unvermengt!"

E. Thurneysen schreibt:

"Die Verk�ndigung komme [...] ganz von oben und gehe ganz nach unten und f�hre wieder empor nach oben."

Beim seelsorgerlichen Gespr�ch geht es

"um eine Begegnung unter Menschen vor Gott. Wobei einer dem andern sich er�ffnet, einer dem andern Gottes Wort ausrichtet und einer dem andern zum N�chsten wird. Und damit zum Helfer!" 

"Man darf (...) den Menschen in seiner subjektiven Verfassung in keiner Weise au�er acht lassen, wenn man ihm Zuspruch geben will. Nicht nur das Wort Gottes, sondern auch der Mensch muss eine Auslegung erfahren"

� eben beide (s)! Und daraus folgt, dass dem Menschen das Wort Gottes nicht suggestiv und aufdringlich, sondern einf�hlsam und liebevoll zum rechten Zeitpunkt gesagt wird. Aber dass es wirklich gesagt wird! Denn sein Verschweigen w�re gerade kein Zeichen der Liebe.

3. Sie verw�ssert die Begriffe "Beraten" und "Bezeugen", verwischt den Unterschied zwischen ihnen und r�umt dem "Beraten" einen �bergro�en Rang ein

Wie auf vielen Gebieten, so ist auch auf dem Gebiet der Seelsorge eine heillose Begriffsverwirrung eingetreten. Nicht nur der Unterschied zwischen Beraten und Bezeugen wird verwischt, sondern auch diese Begriffe selbst werden ihrer urspr�nglichen Bedeutung entfremdet (letzteres ist die Voraussetzung f�r ersteres).�"Beraten" soll in der pastoralpsychologisch gepr�gten "beratenden Seelsorge" gerade nicht mehr hei�en, dass dem Menschen von au�en her ein Wort oder Ratschlag zugesprochen wird. Vielmehr soll der Berater "Katalysator" sein, um die "im Innern des Menschen und in seinen mitmenschlichen Beziehungen" liegenden Heilkr�fte zu befreien. W. Jentsch zitiert den seiner Ansicht nach "fast grotesken Satz: Die beratende Seelsorge ber�t nicht!" Im Rahmen eines Vergleichs zwischen "modernem" und biblischem Beratungsbegriff gelangt Jentsch zu der Feststellung: "Der Vorgang des �Beratens` im modernen Sinn findet in der Wortgruppe �raten/Rat` (griech.: buleuo/bule) keinen Niederschlag. Nur das Medium im Sinne von �mit sich zu Rate gehen` (Lk 14,31) kommt vor." Grunds�tzlich gilt in biblischer Sicht: "[...] an Gott findet der Mensch die Grenzen seines Beratens [...] Gott hat das eigentliche Monopol der Beratung." In der heutigen "beratenden Seelsorge" ging diese entscheidende transzendente Dimension (die Dimension des von au�en in unser Leben eingreifenden und es ver�ndernden Ratschlusses Gottes) verloren.

Eine �hnliche Entleerung erfuhr der Begriff "Bezeugen".

"Die beratende Seelsorge bezeugt, dass alles Heilen und Reifen von Gott kommt",

schreibt H. J. Clinebell. Dann aber ist nur noch von Heilkr�ften die Rede, "die im Innern des Menschen und in seinen mitmenschlichen Beziehungen liegen" (s.o.).

H. Tacke bemerkt kritisch hierzu:

"Die Funktion des Bezeugens der von Gott gewirkten Heilkraft scheint zun�chst in die Richtung einer kerygmatischen Intention zu weisen. Das Spezifische dieses Bezeugens liegt allerdings darin, dass es weniger verk�ndigend als deutend in Erscheinung tritt. Die im Menschen verborgenen Heilkr�fte bilden das eigentliche Bezugs- und Bew�hrungsfeld der Seelsorge, die sich mit katalysatorischen Wirkungen den immanenten therapeutischen Reserven zuwendet. Das begleitende Bezeugen, mag es auch verbal zur Geltung kommen, ist ein �Deutewort`. Es deklariert den seelsorgerlichen Prozess, der im Innern des Menschen verankert ist, als Kraft und Gabe Gottes."

"Bezeugen" ist hier also nur noch "Deutewort", nur noch Au�enansicht f�r das, was durch das "Beraten" im (nicht: am) Klienten selber geschieht. Alles spielt sich auf immanenter Ebene ab, alles bleibt im Klienten "stecken". Beraten und Bezeugen verlieren hier ihre eigentliche Dimension und werden fast ununterscheidbar, weil sich das "Beraten" auf keine von au�en kommende Kraft und das "Bezeugen" auf keinen von au�en kommenden Spender dieser Kraft bezieht. Doch die Begriffsverwirrung durch die Pastoralpsychologie geht noch weiter:

4. Sie ordnet psychologische und soziologische Prozesse der Theologie �ber und "tauft" sie mit theologischen Namen

Nach H. J. Clinebell "soll die Beratung erreichen, dass der Mensch t�chtiger darin wird, vertrauensvoll, liebend und sch�pferisch mit anderen und mit Gott zu kommunizieren". Die "von Gott geschenkten Heilkr�fte, die im Innern des Menschen und in seinen mitmenschlichen Beziehungen liegen", sollen von dem "befreit" werden, "was sie blockiert". Der Berater ist "Katalysator", Annahme und Agape sind "Techniken", Bibel, Sakramente, Gebet und christliche Tradition sind die "religi�sen Kraftquellen" zur Freisetzung dieser Heilkr�fte. Der "Glaube" ist "das Zutrauen, das im anderen entsteht, wenn ein tiefes Einvernehmen (rapport) zwischen beiden [Berater und Klient] erw�chst, wie es im Wirkungsfeld akzeptierender Liebe gedeiht". Seward Hiltner m�chte die drei klassischen Formen kirchlicher Seelsorge � Erbauung, Tr�stung und Kirchenzucht � durch die "Trias Heilen � Beistehen � Leiten" ersetzen: "Heilen wird (...) als Vorgang der Wiederherstellung einer vorl�ufig gest�rten �funktionalen Ganzheit` verstanden", und zwar durch eine "ganzheitliche Therapie". -"Beistehen" ist "solidarischer Beistand angesichts der Ausweglosigkeit, in welcher alle Worte versagen". Ihr Sinn liegt im "Stiften von Hoffnung". � "Leiten (...) ist nicht F�hren (...) Es �hilft heraus`, und zwar im Hinblick auf �etwas`, was potentiell im Partner steckt." � "Motiv dieser Seelsorge ist die Mobilisierung von Selbstvertrauen angesichts von �ngstlichkeit, Entschlusslosigkeit und Verzagtheit." "Als allgemeinmenschliche Erscheinung l�sst sich Seelsorge auch definieren als zwischenmenschliche Hilfe mit seelischen Mitteln", als "therapeutische Kommunikationsform" mit besonderer "Affinit�t zum Gespr�ch", schreibt Dietrich Stollberg. Bezogen auf ihr "spezifisches Proprium" ist "Seelsorge [...] Psychotherapie im kirchlichen Kontext". "Indem Gott in dieser Welt menschlich pr�sent wird, kann alle zwischenmenschliche Hilfe als Medium der Hilfe Gottes verstanden werden."

Wie anders lauten hier doch die Aussagen der Bibel selbst! Glaube ist kein "Zentrum", das durch zwischenmenschliche Annahme "im anderen entsteht", sondern "Gottes Werk" (Joh 6,29), eine "Frucht des Geistes" (Gal 5,22), die uns im H�ren auf Gottes Wort geschenkt wird (R�m 10,17). Im Licht des Glaubens erkennen wir unsere S�nde und Verlorenheit und den, der uns daraus erretten kann:

Jesus Christus (Joh 3,16). Glauben heisst, dass ich mich v�llig auf Jesus verlasse, dass ich ganz in Verbindung mit Jesus lebe und daraus die Kraft bekomme, meinen N�chsten anzunehmen (nicht umgekehrt!). Zwischenmenschliche Annahme in der Kraft Jesu ist etwas v�llig anderes als zwischenmenschliche Annahme ohne Jesus. Denn allein Jesus kann unser durch die S�nde bedingtes "Verkr�mmtsein in uns selbst" (Luther) aufsprengen und Gemeinschaft schenken, in der keiner den anderen verletzt und manipuliert. Die Herzen werden zusammengef�gt, aber nicht durch Technik, sondern durch die g�ttliche Liebe (Agape), die Kraft schenkt, auch den Feind und den Unsympathischen zu lieben. Auch Liebe aus g�ttlicher Kraft heraus (Agape) ist etwas v�llig anderes als Liebe aus rein menschlicher Kraft heraus (Eros und Philia). W�hrend Eros und Philia durch das Streben des Menschen nach Selbsterf�llung und Selbstverwirklichung gepr�gt und damit letztlich egoistisch sind, ist Agape die ausw�hlende, t�tige und treue Liebe, die sich dem anderen bedingungslos schenkt. Solche Liebe, die f�r die Seelsorge entscheidend ist, kommt von Gott (1 Joh 4,7).

Sie ist eine

"Frucht des Geistes" (Gal 5,22)

und Folge des

"Glaubens, der durch die Liebe t�tig ist" (Gal 5,6).

5. Sie behauptet, dass man Gott "in der Begegnung mit den Menschen" erlebe, und steht damit in der Gefahr, Gott in ein mitmenschliches Existential und Theologie in Anthropologie aufzul�sen

Hans-Joachim Thilo schreibt:

"Eine Theologie der Inkarnation oder Inkarnation als Ort, besser gesagt als Ausgangspunkt theologischer Erw�gung, w�rde zu einem neuen Verst�ndnis dessen f�hren, was der Mensch ist. [...] Alle Begriffe von Inkarnation beinhalten die eine Aussage: Gott wird sichtbar, fassbar, schaubar, aber auch real in dem Symbol bzw. in dem Bild, in dem er sich inkarniert. Inkarnation ist keineswegs ein christlicher Begriff, aber in keiner anderen Inkarnationsreligion ist so entscheidend formuliert worden, wie es im Neuen Testament geschieht: Gott ist Mensch geworden. [...] Gott begegnet uns als �ganz gew�hnlicher Mensch`. [...] Gott erlebt man also in der Begegnung mit den Menschen [...] Wenn wir also vom Ort der Theologie reden, k�nnen wir nun im Hinblick auf den logos Gottes den Menschen in seiner allt�glichen Existenz als diesen Ort bezeichnen. Es ist also nicht die Frage nach dem Glaubensobjekt, die im Vordergrund unseres theologischen Interesses steht [...] Von hier aus, n�mlich von einem ontologischen, existentialen Menschenverst�ndnis, wird das Neue Testament f�r den heutigen Menschen wieder verst�ndlich gemacht werden k�nnen."

�hnlich formuliert Dietrich Stollberg:

"Denn wie wir Gott nur als Menschen �haben` � ohne dass er selbst im Menschsein aufginge -, so ist uns Theologie nur als Anthropologie m�glich bzw. als Erfassen der theologischen Dimension allgemein wahrnehmbarer �immanenter`, �s�kularer` Ph�nomene." "Indem Gott in dieser Welt menschlich pr�sent wird, kann alle zwischenmenschliche Hilfe als Medium der Hilfe Gottes verstanden werden. Damit wird ihre Unvollkommenheit ertr�glich: Einerseits ist sie ja nur menschliche Hilfe, relativ und �berholbar, weil Gottes Hilfe sie relativiert, andererseits verbirgt sich in all ihrer Unvollkommenheit Gott selber, er l�sst Unvollkommenes unvollkommen sein, nimmt die Welt so an, wie sie ist, und die Seelsorge so, wie wir [!] sie verm�gen. (Theologia incarnationis, Kenosistheologie, Kondeszendenz)."

Welches Verst�ndnis von Kondeszendenz und Inkarnation liegt solchen Aussagen zugrunde? Wir m�ssen es deutlich aussprechen: Es ist nicht das biblische, sondern das >mystische Verst�ndnis. Es ist die Vorstellung, dass Gott in jedem Menschen lebe, dass in jedem Menschen etwas G�ttliches sei, dass man deshalb Gott "in der Begegnung mit den Menschen" erlebe. "Inkarnation ist keineswegs ein christlicher Begriff", bemerkt Thilo selber. Nur sei eben die Menschwerdung Gottes "in keiner anderen Inkarnationsreligion [...] so entscheidend formuliert worden" wie im Christentum (s. o.).

"In der Begegnung mit eben diesem Jesus von Nazareth als dem geistlichen Menschen, als dem Menschen von oben, als dem Urtyp des Menschen, so wie ihn Gott gewollt hat, gelingt und ereignet sich die Begegnung mit Gott. Aus ihm kommt als Frucht methodischer, erlernbarer Erfahrung das, was Paul Tillich das �neue Sein` nennt."

An der Person Jesu als "Urtyp des Menschen" lasse sich also besonders eindr�cklich lernen, wie die Begegnung des Menschen mit Gott (anders ausgedr�ckt: die Inkarnation Gottes im Menschen) funktioniere bzw. wie der Mensch das werden kann, "woraufhin er angelegt ist". Hier b��t Jesus seine Einzigartigkeit als Sohn Gottes ein und wird "Platzhalter" f�r die Selbstverwirklichung des Menschen. Die Inkarnation Jesu wird verallgemeinert. Ein inklusives Menschsein Jesu, ein Hineingenommensein aller Menschen in seine Person wird postuliert (vgl. Thilos Nebeneinanderstellung der S�tze "Gott begegnet uns als �ganz gew�hnlicher Mensch`", womit er auf die Menschwerdung Jesu Bezug nimmt, und "Gott erlebt man also in der Begegnung mit den [!] Menschen", womit er die Menschwerdung Jesu verallgemeinert). Der Mensch (jeder Mensch) wird hier zum "Text", an dem man Gott und sein Wirken erkennen kann.

Eine solche Argumentation ist aus biblischer Sicht unhaltbar. Der Grundirrtum liegt wiederum darin, dass man den Graben �bersieht oder verharmlost, den die S�nde zwischen Gott und Mensch aufgerissen hat (s. o.). Wo aber die S�nde nicht klar erkannt wird, da erscheint die Erl�serfunktion Jesu �berfl�ssig oder zweitrangig. Da ist Jesus nur noch das "Urbild" des (angeblich von Natur aus mit Gott verbundenen) Menschen ("Urbildchristologie"), ein "Symbol" oder "Bild", in dem sich Gott inkarniert (H. J. Thilo), ein "Symbol des Selbst" (C. G. Jung). Mit einer so verstandenen "Kenosistheologie" ist die verh�ngnisvollste Entleerung der biblischen Botschaft eingetreten: die Preisgabe der Rechtfertigungslehre und der Ausfall der biblischen Christologie. Der Ausfall der Christologie erfolgt nicht erst dann, wenn Christus verschwiegen wird, sondern bereits dann, wenn seine Person und sein Werk verk�rzt und damit verf�lscht werden. Christus wird nur in der ganzen F�lle seiner Macht als Christus erkannt � oder er wird gar nicht erkannt. Christus ist nicht nur wahrer Mensch, sondern auch wahrer Gott (Konzil von Chalkedon, 451; s. R�m 1,3f., Joh 1 u. a.) und hat dadurch die Kraft, uns zu erl�sen. Wird das nicht beachtet, dann droht die Aufl�sung Gottes in ein mitmenschliches Existential und die Aufl�sung der Theologie in Anthropologie. Hierin liegt die Gefahr einer existentialistisch-ontologischen Bibelauslegung (etwa im Gefolge der Bultmann-Schule), die Thilo, Stollberg u. a. �bernehmen.

Christi Annahme der menschlichen Natur (assumptio carnis) ist klar zu unterscheiden von Gottes Annahme des Menschen (acceptatio hominis), die wegen Christus durch den Glauben (propter Christum per fidem) erfolgt. Die Menschwerdung Gottes in Jesus bedeutet keine Gottwerdung des Menschen allgemein, sondern f�hrt zur Erkenntnis der menschlichen Gottverlassenheit und Erl�sungsbed�rftigkeit

Vgl. Jesu stellvertretenden Ausruf

"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"; Mt 27,46

Allein in Jesus Christus ist die durch die S�nde verwirkte Gottebenbildlichkeit des Menschen neu verwirklicht und wird dem Glaubenden rettend angeboten (2 Kor 4,4; Kol 1,15). Lebt nicht "Christus in mir" (Gal 2,20), dann bin ich nicht ein "Text" f�r Gott und sein Heilswerk, sondern f�r Satan und sein Blendwerk. Hier gibt es keine Neutralit�t.

"So ist der menschliche Wille in der Mitte hingestellt wie ein Lasttier; wenn Gott darauf sitzt, will er und geht, wohin Gott will. [...] Wenn der Satan darauf sitzt, will er und geht, wohin Satan will" (Martin Luther).

6. Sie relativiert oder missachtet biblische Sch�pfungsordnungen und Gebote zugunsten einer falsch verstandenen "Rechtfertigung allein aus Gnaden"

Gott in biblischer Sicht ist ein Gott, der in die Immanenz eingeht, aber nicht in ihr aufgeht, der bei allem, was er tut, der lebendige und souver�ne Gott bleibt, der der liebende, aber auch � und gerade darin � der heilige und gerechte Gott ist, der sich offenbart, wie und wann er will und sich nicht menschlichen Ma�st�ben und Wunschvorstellungen unterwirft. An seine Stelle tritt bei Stollberg ein Gott der "absoluten Liebe", "der keine Bedingungen stellt", der uns nicht nur "die N�he seiner Menschwerdung" und "br�derliche Solidarit�t", sondern sogar den "Verzicht auf Macht uns gegen�ber" anbietet. Seine "Jenseitigkeit" in ethischer Hinsicht besteht darin, dass er "jenseits unserer Moralvorstellungen" steht und die "Relativit�t aller Normen und Ordnungen" bezeugt, auch die Relativit�t "f�r g�ttlich gehaltener Bedingungen". Sein Gesetz ist lediglich "�Laufstall` f�r Kinder" und wird "irgendwann �berschritten". Es ist "so zu vermitteln, dass es nicht das Kind-bleiben-Wollen verfestigt, sondern dass es anleitet zu selbst�ndiger und sch�pferischer Verantwortung".

"Seelsorge ist (...) antimoralistisch (...) �amoralisch` (nicht �wertfrei`, aber nicht wertend) und tolerant (antigesetzlich)",

schreibt Stollberg weiter.

Untersucht man seine Aussagen genauer, dann f�llt eine mangelhafte Unterscheidung auf zwischen dem Setzen g�ttlicher Gebote einerseits und dem s�ndigen Streben des Menschen, sich mittels Einhaltung dieser Gebote selbst zu erl�sen, andererseits. Das Gebot ist in neutestamentlicher Sicht "heilig, recht und gut" (R�m 7,12). Jede Werkgerechtigkeit und Moralisiererei jedoch, durch die sich der Mensch selbst erl�sen will, ist ein Missbrauch des Gebots. Das Gebot selber bleibt trotz dieser Gefahr des Missbrauchs "heilig, recht und gut" � ja noch mehr: Es bleibt wegen seines g�ttlichen Offenbarungscharakters und seiner ordnenden Funktion g�ltig, solange die Erde steht. Wer nicht beachtet, dass das g�ttliche Gebot eine grunds�tzlich andere Qualit�t hat als menschliche Moralvorschriften (oder auch menschliche Verdrehungen des g�ttlichen Gebots), kommt zu verh�ngnisvollen Fehlschl�ssen. Das grunds�tzlich gute g�ttliche Gebot ist von seinem menschlich-s�ndhaften Missbrauch zu unterscheiden. Martin Luther hat sich gegen die "Antinomer" (Gesetzesfeinde) genauso deutlich gewandt wie gegen die Moralisierer oder "Werker". Die Gebote sind nicht nur "�Laufstall` f�r Kinder" (Stollberg), sondern wegen unserer irdischen Schw�che und Unvollkommenheit (auch des Christen!) das ganze Leben g�ltig � und zwar als Riegel (gegen die Ungerechtigkeit), Spiegel (der S�nde) und Regel (f�r das Christenleben) (primus, secundus et tertius usus legis). F�r den Christen haben sie freilich (wie auch Stollberg im Blick auf den tertius usus zu Recht betont) nicht mehr imperativischen, sondern indikativischen Charakter: Weil Jesus uns vergeben hat, k�nnen wir ein neues Leben f�hren. Nur in diesem indikativischen Charakter entsprechen sie der vom Leistungszwang (auch vom geistlichen Leistungszwang) freimachenden Botschaft Jesu: dem Evangelium. Das ganze Leben aber bleibt die Spannungseinheit von Gesetz und Evangelium erhalten.

7. Sie stellt menschliche Selbstfindung �ber oder an die Stelle der Gottesfindung

"Indem er heimkehrt, kommt er auch zu sich selbst. Indem er zu sich kommt, kehrt er auch heim", so zitiert R. Riess Seelsorge Hiltners Auffassung �ber die Heimkehr des verlorenen Sohnes (Lk 15) ins Vaterhaus. "Unter einem N�chsten verstehen wir denjenigen, mit dem und durch den wir uns selber kennenlernen, an dem wir wir selbst werden k�nnen: der Helfer, der Bundesgenosse", so lautet W. Zijlstras Auffassung �ber die Funktion des N�chsten. Und C. Rogers schreibt: Ich werde "meinem Klienten ein Weggef�hrte sein; ich begleite ihn auf der be�ngstigenden Suche nach sich selbst."

In der "modernen Seelsorgebewegung" hat die Suche nach dem Selbst die Suche nach Gott verdr�ngt. Ist von Gott oder Christus die Rede, dann als "Symbol des Selbst", als psychologisch gedeutete Chiffre, als Mittel zur menschlichen Selbstverwirklichung. Das Selbst � und das heisst: der Mensch � hat die Stelle Gottes eingenommen. Das aufkl�rerische Streben nach Autonomie ist vollends zum Durchbruch gelangt. Eine Seelsorge aber, die das Selbst des Menschen in den Mittelpunkt stellt, die dabei den Graben der S�nde und die erl�sende Funktion Christi �bersieht, hat sich als Seelsorge selbst aufgegeben und ihre Kraftquelle verloren. Daraus ergibt sich unser letzter, mit dem eben Gesagten direkt zusammenh�ngender Kritikpunkt an der Modernen Seelsorgebewegung oder Pastoralpsychologie:

8. Sie betreibt damit eine "Seelsorge" ohne Kraft wahrer � g�ttlicher � Liebe und Freiheit

Nach Auffassung der "modernen Seelsorgebewegung" erringt der Mensch Heil f�r sich selbst aus sich selbst. Damit jedoch befindet er sich in einem Zirkel. Denn wie kann der Mensch aus sich selbst gewinnen, was er f�r sich selbst sucht? Die Potentiale des Selbst sind nicht nur versch�ttet, sondern verdorben � von der S�nde verdorben. Setzt der Mensch seine eigenen Potentiale frei, dann setzt er die in ihm wohnenden Kr�fte der S�nde frei, die sich z. B. in Form von Hochmut und Selbststeigerungsstreben als solche verraten. Gerade das Streben nach menschlicher Selbstverwirklichung n�mlich - nach autonomer, selbstbestimmender Selbstverwirklichung � ist die eigentliche S�nde, die Urs�nde des Menschen. "Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und b�se ist" (1 Mo 3,5) heisst nichts anderes als: Ihr werdet euch selbst verwirklichen. Auch in der menschlichen Selbstverwirklichung wohnt eine Kraft. Aber es ist nicht die Kraft Gottes, weil sich die Selbstverwirklichung ja gegen Gott richtet. Es ist die Kraft des Verf�hrers. Auch wenn diese Kraft zu einer "von Gott geschenkten Heilkraft" umgesprochen wird, so bleibt sie doch die Kraft des Verf�hrers, wo sie der menschlichen Selbstverwirklichung dient. Auch wenn der Berater als "Katalysator", auch wenn Bibel, Gebet, Liturgie, Sakramente usw. als "Quellen" dieser Kraft bezeichnet werden, so stehen sie doch nicht im Dienst Gottes, sondern des Verf�hrers, wo sie der menschlichen Selbstverwirklichung dienen. Auch wenn das gesamte biblische und theologische Vokabular (Gott, Christus, Gnade, Glaube, Liebe usw.) aufgeboten wird, so steht es doch nicht im Dienst Gottes, sondern des Verf�hrers, wo es der menschlichen Selbstverwirklichung dient. Die Kraft des Verf�hrers aber macht uns nicht heil, sondern kraftlos: Sie entzieht uns Kraft, indem sie uns bindet (an Menschen, Gruppen, Ideologien). Sie entzieht uns Kraft, indem sie uns (vielleicht durch �ussere Heilerfolge, die wir unseren eigenen Potentialen zuschreiben) so blendet, dass wir die eigentliche Wurzel der Krankheit � unsere Trennung von Gott � �bersehen. Sie entzieht uns Kraft, indem sie uns so von der wahren Kraftquelle � von Gott � fortbringt. So werden wir letztlich schw�cher und kr�nker als zuvor � und heillos.

9. Der Ausweg aus der Krise:

Es gibt keinen Zweifel: Die Seelsorge befindet sich in einer Krise. Es ist die Krise des neuzeitlichen Menschen, der Gott entthronen wollte und nun mit Pfl�sterchen die Wunde seiner Gottesferne und Verlorenheit zu verbinden versucht. Diese Krise hat voll auf das Gebiet der Seelsorge und der gesamten Theologie �bergegriffen. Inmitten dieser Krise wird der Ruf nach dem "Eigentlichen", nach dem Proprium der Seelsorge und der Theologie immer lauter. Dieses "Eigentliche" ist uns in der Bibel offenbart. Gott will wieder ernstgenommen werden, und zwar in seiner Liebe und in seiner Freiheit. Der Mensch will wieder ernstgenommen werden, und zwar in seiner S�nde und in seiner Erl�sungsbed�rftigkeit. Nur wenn wir Gott Gott und den Menschen Mensch sein lassen, ist die Heiligkeit Gottes und das Heil des Menschen gewahrt. Nur wenn wir die � souver�ne � Menschwerdung Gottes nicht zu einer Gottwerdung des Menschen verkehren, bringt uns die � einzigartige � Menschwerdung Gottes in Jesus Christus die Erl�sung. Die Gottwerdung des Menschen w�re der Weg der Selbsterh�hung, die Menschwerdung Gottes aber ist der Weg der Selbsterniedrigung, der sich im Leiden und in der Kreuzigung fortsetzt und erst durch die Auferstehung � aber dann erst recht � als Weg des Heils erkennbar wird. Auch hier gilt: "Wer sich selbst erh�ht, der wird erniedrigt; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erh�ht" (Mt 23,12) � ein f�r das Selbstverwirklichungsdenken des Menschen unvorstellbarer Satz!

Viele fordern inzwischen die Umkehr der Seelsorge und Theologie zu den biblischen Grundlagen. Einer davon ist Thomas C. Oden, der fr�her selbst ein Anh�nger der Rogers-Schule war. Nach seiner Ansicht hat die "moderne Seelsorge" die Freiheit aufgegeben, von den klassischen, st�rker biblisch orientierten Seelsorgekonzeptionen zu lernen. Oden schreibt: "Vielleicht k�mpft man in der europ�ischen Seelsorge daf�r, dass dem Seelsorger mehr Freiheit f�r Gef�hle und Selbstverwirklichung zugestanden wird. Unsere Lage in den USA ist da ganz anders. Wir versuchen, uns von einer anderen Tyrannei freizumachen: von der �berflutung durch Gef�hle und dem Mythos der Selbstverwirklichung [...] Es stellt einen R�ckgang von Freiheit im seelsorgerlichen Gespr�ch dar, nicht einen Zuwachs an Freiheit. Denn wenn seelsorgerliche Interaktion sich ausschlie�lich auf den Brennpunkt �ich` � �hier` � �jetzt` � �nur Gef�hle` usw. beschr�nkt, kann Seelsorge nicht ihr eigenes Wort sprechen. Uns scheint es viel angemessener, zu betonen, dass wir zur Zeit eine neue Freiheit darin erleben, Seelsorge unmittelbar vom historischen Kern der lebendigen christlichen Tradition zu lernen."

Oden untersucht dann zehn repr�sentative Autoren der "modernen Seelsorgebewegung" (Hiltner, Clinebell, Oates, Natale, Stollberg, Tournier, Scharfenberg, Goldbrunner, Nuttin, Choisy) hinsichtlich ihrer Bezugnahme auf klassische Seelsorgekonzeptionen (Augustin, Baxter, Calvin, Chrysostomos, Cyprian, Gregor, Herbert, Luther, Taylor, Tertullian) und auf Konzeptionen, die von zeitgen�ssischen Psychotherapeuten (Freud, Jung, Rogers, Fromm, Sullivan, Berne) gepr�gt sind. "Das Ergebnis: bei allen zehn repr�sentativen zeitgen�ssischen Verfassern konnte ich nicht ein einziges Zitat bzw. eine Bezugnahme auf irgendeinen der genannten Klassiker finden! (...) Dieselben modernen Autoren der christlichen Seelsorge bringen 664 Bezugnahmen auf die genannten sechs Psychotherapeuten, die sie �berwiegend als Autorit�ten f�r christliche Seelsorge betrachten. (...) Die neuere Seelsorge hat sich derma�en in eine fixierte Abh�ngigkeit und Verpflichtung gegen�ber der modernen Psychologie und dem allgemeinen Zeitgeist begeben, dass sie au�erstande war, auch nur der F�lle der Weisheiten vormoderner Zeiten, einschlie�lich der seelsorgerlichen Weisheiten, ansichtig zu werden." Trotz allem schlie�t Oden mit einem hoffnungsvollen Ausblick: "Durch Gnade sind wir heute von einem neuen Geist pastoraler Freiheit bewegt, wie man ihn in den vergangenen Jahrzehnten kaum hat erleben k�nnen: der Freiheit, in die Fu�spuren der gro�en Seelsorgetradition zu treten, sie �berhaupt wieder wahrzunehmen und sie in uns aufzunehmen. Das ist unsere neue Freiheit zu lernen. Die Risiken dieser Freiheit sind dieselben, wie sie ein Jeremia, ein Paulus, Cyprian, Ambrosius, Franziskus, Luther und Kierkegaard eingingen: Glauben an Gottes Vorsehung und F�hrung, Liebe zu den Menschen, die wir in Not sehen, so, wie Gott uns in unserer Not geliebt hat, und Hoffnung auf Vollendung, wenn nicht in unserer, dann zu Gottes Zeit."

Der Geist, der uns den Menschen als lebendiges Wesen in seiner Ganzheit erkennen l�sst, ist Gottes Geist. Nur in der Beziehung zu Gott erkennen wir, wer wir wirklich sind: als Gottes Gegen�ber geschaffene, durch die S�nde von Gott getrennte, durch Jesus Christus mit Gott vers�hnte und zur Wiedererlangung der urspr�nglichen Gottebenbildlichkeit bestimmte Menschen; Menschen, die nicht Leib, Seele und Geist haben (griechische Philosophie), sondern Leib, Seele und Geist (unter je anderem Aspekt gesehen) sind (biblische >Anthropologie), und zwar in einer unteilbaren Einheit, die sich z. B. in Form der leiblichen Auferstehung fortsetzt (im Unterschied z. B. zum fr�hgriechischen Leib-Seele-Dualismus). In der Bibel ist uns in vollkommener Weise und in un�bertroffenem Realismus offenbart, wer der Mensch ist � in vollkommenerer Weise als in allen psychologischen und soziologischen Systemen, die immer nur Teilaspekte des Menschseins erfassen und sich deshalb auch untereinander vielfach widersprechen.

Nun fragen wir abschlie�end nach dem Verh�ltnis zwischen Seelsorge und Humanwissenschaften. Nach dem bisher Dargestellten wird deutlich, dass humanwissenschaftliche (hier: psychologische und soziologische) Systeme nie als Ganzes in die Seelsorge �bernommen werden k�nnen, da sie wegen ihres ideologischen Charakters mit der biblischen Offenbarung in Konkurrenz treten w�rden. Ideologien werden "von unten nach oben" von Menschen aufgebaut; die biblische Offenbarung wird "von oben nach unten" dem Menschen von Gott geschenkt. Beide Wege sind miteinander unvereinbar, denn der un�berbr�ckbare Gegensatz zwischen Selbsterh�hung und Selbsterniedrigung (Selbstverwirklichung) begegnet uns auch hier, und zwar auf die Erkenntnisebene verschoben. Es ist der Gegensatz zwischen menschlich-autonomem Erkenntnisstreben und g�ttlich-gn�dig gewirkter Offenbarungserkenntnis.

Nun ist der menschliche Geist freilich nicht zerst�rt, sondern "verfinstert", d.h., dem "nat�rlichen" Menschen ist eine eingeschr�nkte Erkenntnisf�higkeit im "nat�rlichen" Bereich belassen. damit er auch in seinem "gefallenen" Zustand auf Erden leben und �berleben kann. (Aber eine eindeutige, letztg�ltige und � vor allem - heilschaffende Erkenntnis Gottes und seiner selbst ist dem Menschen aus eigener Kraft nicht m�glich.) Diese "nat�rliche" Erkenntnisf�higkeit gen�gt durchaus, um Einzelbeobachtungen �ber Verhalten, �u�erungen, Sprache usw. des Menschen zu machen (nicht jedoch �ber sein eigentliches, ganzes Wesen). Solche Einzelbeobachtungen (Thurneysen fasst ihr Ergebnis unter dem Begriff "Menschenkenntnis" zusammen) k�nnen dem Seelsorger wertvolle Anregungen liefern, nicht nur f�r die Diagnose, sondern auch f�r die Therapie. Aber sie m�ssen zuvor aus ihrem ideologischen Rahmen (dem Rahmen der einzelnen humanwissenschaftlichen Schulen) gel�st und auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gesamtzeugnis der Bibel gepr�ft worden sein. Dann wird es sich zeigen, ob sie der Seelsorge dienen k�nnen und sich dem - neuen, "geistlichen" � Feld einer biblisch orientierten Seelsorge einf�gen lassen.

Eduard Thurneysen hat das Verh�ltnis von Seelsorge und Humanwissenschaften (hier: Psychologie) so definiert:

"Das Ansprechen des Menschen im Seelsorgegespr�ch setzt Menschenkenntnis voraus: Die Seelsorge bedarf darum der Psychologie als einer Hilfswissenschaft, die der Erforschung der inneren Natur des Menschen dient und die diese Kenntnis vermitteln kann. Sie hat sich dabei kritisch abzugrenzen gegen ihr wesensfremde weltanschauliche Voraussetzungen, die mitlaufen und die das ihr eigene, aus der Heiligen Schrift erhobene Menschenverst�ndnis beeintr�chtigen k�nnten."

"Eine Freigabe der Psychologie erfolgt insofern, als mit den �ber die innere Natur des Menschen getroffenen Bestimmungen der Gegenstand der Psychologie festgestellt wird und klar umrissen ist. Sie braucht nicht mehr zu schwanken zwischen Empirie und Spekulation, sie bearbeitet und erhellt die innere Natur des Menschen und bringt sie nach M�glichkeit zur Darstellung. Die Seelsorge aber �bernimmt ihre Ergebnisse, um sie in den Dienst der ihr gebotenen Wortverk�ndigung zu stellen."

"Die Begrenzung, die die Menschenkenntnis der Psychologie vom Menschenverst�ndnis der Bibel her erf�hrt, liegt darin, dass es endlich zu einem klaren Verzicht kommt auf jede Art von Metaphysik [...] Die Psychologie soll bei ihrem Gegenstand bleiben. Sie soll ph�nomenologisch betrieben werden. Sie soll nichts anderes sein wollen als Naturwissenschaft im weitesten Sinne."

Sven Findeisen schreibt �ber den geistlichen Differenzierungs-Prozess:

"In einem Differenzierungsprozess k�nnen lediglich einige Elemente der Methoden � etwa wie einzelne Schienen oder Schwellenst�cke eines Gleises � Verwendung finden, falls sie aus ihrem urspr�nglichen Zusammenhang herausgerissen und in einen v�llig neuen Zusammenhang eingef�hrt werden. Die Methode als solche geht dabei � wie eine Gleisstrecke - in Tr�mmer."

Zu welchen Ergebnissen ein solcher geistlicher Differenzierungsprozess gem�ss der Aufforderung

"Pr�fet alles und das Gute behaltet!" (1 Thess 5,21)

f�hren kann, soll an einigen Beispielen grob veranschaulicht werden:

Wir d�rfen dankbar anerkennen, dass humanwissenschaftliche Schulen biblische Aussagen �ber den Menschen zum Teil best�tigt oder endlich deutlich ans Licht gehoben haben. Auch f�r neue Erkenntnisse, die sich so vielleicht in der Bibel nicht finden, d�rfen wir dankbar sein, soweit diese nicht in Widerspruch zum biblischen Reden von Gott, Mensch und Welt treten. Abzulehnen sind aber alle Aussagen, die dem biblischen Gesamtzeugnis widerstreiten. Die Seelsorge selber hat einen Schatz, einen unvergleichlich gro�en Schatz, der es dringend verdient hat, (wieder) entdeckt zu werden: die Bibel. Von ihr k�nnen wir unendlich viel lernen � nicht nur �ber Menschenkenntnis, sondern auch �ber das wahre Menschenverst�ndnis. Denn nur die Bibel zeigt uns den Menschen in allen Bez�gen. "

Sie setzt dort ein, wo die profane Anthropologie aufh�rt und notwendigerweise aufh�ren muss: bei jener Ganzheit des Menschen, die in seinem personalen Sein begr�ndet ist" (E. Thurneysen).

Lit. L. Gassmann, Selbstverwirklichung � das Zauberwort in Psychologie und Seelsorge, 1999 (dort alle Literatur- und Quellenangaben).

Lothar Gassmann


Index

Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handb�chern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):

1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines �kumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch

Weitere Handb�cher (�ber Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de