Dialektische Theologie

Klick auf den Kompass öffnet den Index1. Was ist Dialektische Theologie?

Der Begriff "Dialektische Theologie" weist hin auf den Begr�nder der Dialektik in der Neuzeit:

den Philosophen Georg Wilhelm Friedrich >Hegel. Dialektik ist die Vorstellung, dass es unterschiedliche Stufen im Prozess der Wahrheitserkenntnis gibt, dass die Wahrheit aber im Flie�en bleibt, indem das Wechselspiel zwischen Frage und Antwort zu immer neuen Konsensen f�hrt, die wiederum durch neues Fragen aufgel�st werden k�nnen. In der These wird eine Behauptung aufgestellt. Die Antithese hinterfragt diese und stellt sich ihr entgegen. In der Synthese wird der Gegensatz von These und Antithese zu und in einer h�heren Ebene "aufgehoben" (im doppelten Sinne dieses Wortes), jedoch nur, um als neue These wieder von einer Antithese hinterfragt zu werden. Diese Relativierung einer absoluten Wahrheit wird heute weithin vertreten und ist insbesondere durch die >Frankfurter Schule � etwa im Modell eines "herrschaftsfreien Diskurses" von J�rgen Habermas � gef�rdert und weiter entwickelt worden. Sie ist im Grunde schon sehr alt und kann bereits im S�ndenfallbericht in der relativierenden Frage der Schlange gefunden werden.

"Sollte Gott gesagt haben?" (1 Mose 3,1)

Klassisch formuliert wurde sie bei dem griechischen Philosophen Heraklit, der behauptete:

"Panta rei (alles flie�t, alles ist relativ)."

Der Begriff Dialektische Theologie wurde w�hrend der 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts von unterschiedlichen Theologen wie R. Bultmann, F. >Gogarten und K. Barth gepr�gt. Sie gelangte insbesondere durch Barth zu bahnbrechender Bedeutung. Wie ist der Begriff "Dialektik" im Barthschen System zu verstehen? Wir betrachten hierzu seinen programmatischen Vortrag "Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie", den er am 3. Oktober 1922 vor 300-400 Freunden der liberalen Zeitschrift "Die christliche Welt" auf der Elgersburg in Th�ringen hielt (abgedruckt in: K. Barth, Das Wort Gottes und die Theologie. Gesammelte Vortr�ge, 1924, 156-178). Seinem Vortrag lag � keineswegs nur formal � das Hegelsche Modell von These, Antithese und Synthese zugrunde.

Barth f�hrte aus, dass die eigentliche Bedr�ngnis des Theologen sein Auftrag sei, Gottes Wort im Menschenmund auszurichten. Die These lautet:

"Wir sollen als Theologen von Gott reden."

Die Antithese lautet:

"Wir sind aber Menschen und k�nnen als solche nicht von Gott reden."

Und das ist die Synthese, die Barth formuliert:

"Wir sollen beides, unser Sollen und unser Nicht-K�nnen, wissen und eben damit Gott die Ehre geben."

Doch gehen wir der Reihe nach vor.

Zun�chst wendet sich Barth gegen die vordergr�ndigen Antworten eines Kulturprotestantismus, der sich mit Fragen der Kultur, der Sittlichkeit, des Geisteslebens und der Religion befasst. Das sei aber nicht das Wesentliche. Nein, der eigentliche Auftrag der Theologie liege jenseits dieser vordergr�ndigen Dinge und L�sungsversuche � in der Beantwortung der Frage nach den letzten Dingen jenseits der irdischen Existenz. Die Menschen schreien nicht nach L�sungen, sondern nach Erl�sung, nicht nach Wahrheiten, sondern nach der Wahrheit, nicht nach Kulturchristentum, sondern nach Gott. Diese letzten Dinge, nach denen die Menschen fragen, bezeichnet Barth als die "eschatologischen Dinge" � "eschatologisch" weniger im zeitlichen als vielmehr im qualitativen, transzendentalen Sinne verstanden. Der junge Barth vertritt � etwa in der zweiten Auflage des "R�merbriefs" � n�mlich keine zeitliche, "endzeitliche" Eschatologie im biblisch-traditionellen Sinn, sondern eine transzendental-pr�sentische Eschatologie mit einer transzendentalen Wertsetzung, einer qualitativ anderen Art zu leben hier und jetzt.

Wie kommt es nun, wenn der Mensch von diesem Letzten, Eschatologischen reden soll, zur Bef�higung, davon zu reden? Es kommt zur Bef�higung, von Gott zu reden, durch die Offenbarung Gottes und den sich darauf st�tzenden und beziehenden Glauben. Der Inhalt und die Aufgabe des Redens von Gott ist Gottes Menschwerdung als Gottes Wort im Menschenwort. Gott verleiblicht sich also nicht nur in seinem Sohn Jesus Christus (Inkarnation), sondern auch in seinem gesprochenen und geschriebenen Wort (Inverbation), indem er sich in unsere menschlich-gesch�pfliche Sprache und Redeweise hineinbegibt. Barth beschreibt drei Wege, drei Versuche, um von Gott zu reden: den dogmatischen, den kritischen und den dialektischen Weg.

Der dogmatische Weg wird gleichgesetzt mit der Orthodoxie. Es ist der Weg des Supranaturalismus, der absolute Wahrheiten empfangen und weitergeben m�chte, indem er systematische Gedankengruppen aus Bibel und Dogma herausentwickelt. Barth sagt, dass die St�rke der supranaturalistisch orientierten Orthodoxie in der Objektivit�t der Antwort besteht, die sie vermitteln m�chte. Ihre Schw�che aber liegt in der Nicht-Fragwerdung der Antwort, die quasi als "vom Himmel gefallene Botschaft" vorgegeben wird.

Der kritische Weg findet sich in der Mystik, verstanden als Innerlichkeit und Subjektivismus:

Im eigenen menschlichen Erleben, in der mystischen Erfahrung (man denke hier auch an Barths Lehrer Wilhelm Herrmann!) werden Antworten gesucht. Die Schw�che der Mystik besteht nach Barth in der Nicht-Beantwortung der Frage, indem das innere Erleben des Menschen letztlich auf sich selber konzentriert bleibt, aber die Antwort von au�en fehlt.

Barth selber vertritt demgegen�ber den dialektischen Weg. Dieser besteht in der gegenseitigen Beziehung von Position und Negation, von These und Antithese, die sich in der Synthese als h�herer Ebene aufheben soll. Es entsteht eine st�ndige Frage- und Antwort-Folge, wobei durchaus Gott die Antwort gibt, aber der Mensch immer wieder als Fragender herantritt. Barth f�hrt aus:

"Auf diesem schmalen Felsengrat kann man nur gehen, nicht stehen, sonst f�llt man herunter ... So bleibt nur �brig, ein grauenerregendes Schauspiel f�r alle nicht Schwindelfreien, Beides, Position und Negation, gegenseitig aufeinander zu beziehen. Ja am Nein zu verdeutlichen und Nein am Ja, ohne l�nger als einen Moment in einem starren Ja oder Nein zu verharren, also z.B. von der Herrlichkeit Gottes in der Sch�pfung nicht lange anders zu reden als ... unter st�rkster Hervorhebung der g�nzlichen Verborgenheit, in der sich Gott in der Natur f�r unsre Augen befindet, vom Tod und von der Verg�nglichkeit nicht lange anders als in Erinnerung an die Majest�t des ganz andern Lebens, das uns gerade im Tod entgegentritt, von der Gottebenbildlichkeit des Menschen um keinen Preis lange anders als mit der Warnung ein f�r allemal, dass der Mensch, den wir kennen, der gefallene Mensch ist, von dessen Elend wir mehr wissen als von seiner Glorie, aber wiederum von der S�nde nicht anders als mit dem Hinweis, dass wir sie nicht erkennen w�rden, wenn sie uns nicht vergeben w�re" (a.a.O., 172).

Barth setzt hier und im folgenden die Erkenntnislehre analog zur Rechtfertigungslehre. Seine Vorstellung der gegenseitigen Beziehung von Position und Negation ist eine formale Parallele zur lutherischen Lehre vom Menschen als ...

"simul iustus et peccator (zugleich Gerechtfertigter und S�nder)".

Nach Barth bleibt der Mensch nicht nur auf der Seins- und Erl�sungsebene (ontisch und soteriologisch), sondern eben auch auf der Erkenntnisebene (noetisch) in dieser Spannung stehen zwischen Frage und Antwort, zwischen Position und Negation. Die Schw�che der Dialektik nun, die Barth auch erkennt, besteht im Angewiesensein auf die Frage und in der Behauptung, dass die Wahrheit nicht absolut sei, sondern in der Mitte liege. Die St�rke aber sieht er in der Zeugniskr�ftigkeit, indem � in menschlicher Selbstbescheidung � von der Eindeutigkeit und Zweideutigkeit der Wahrheit in der Mitte zugleich geredet werden k�nne. Barth sagt:

"Was soll ... der Dialektiker, wahrscheinlich ein 'Sohn der Berge`, Anderes antworten als: Mein Freund, du musst einsehen, dass du, wenn du nach Gott fragst, und wenn nun wirklich von Gott die Rede sein soll, von mir etwas Anderes nicht erwarten darfst. Ich habe getan, was ich konnte, um dich darauf aufmerksam zu machen, dass mein Bejahen wie mein Verneinen nicht mit dem Anspruch auftreten, die Wahrheit Gottes zu sein, sondern mit dem Anspruch, Zeugnis zu sein von der Wahrheit Gottes, die in der Mitte, jenseits von allem Ja und Nein steht. Und eben darum habe ich nie bejaht, ohne zu verneinen, nie verneint, ohne zu bejahen, weil das Eine wie das Andre nicht das Letzte ist. Wenn mein Zeugnis von diesem Letzten von der Antwort, die du suchst, dir nicht gen�gt, so tut mir das leid" (a.a.O., 173).

Also nicht eine supranturale Wahrheit, etwa offenbart in einer irrtumslosen Heiligen Schrift, ist f�r Barth ma�geblich, sondern das Zeugnis von der Wahrheit. Da, wo dieses Zeugnis gegeben wird, ist f�r ihn "Wort Gottes", also durchaus auch in der Bibel, aber dar�ber hinaus in der Zeugensituation vor der Schriftwerdung der Bibel und in der heutigen Verk�ndigung. "Wort Gottes" ist f�r ihn nicht statisch, sondern dynamisch, nicht als Beschreibung historischer Fakten, sondern als aktuelles Ereignis zu verstehen (s.u.). Insofern ist der Barthsche Begriff "Wort-Gottes-Theologie" f�r orthodoxe oder pietistische Ohren missverst�ndlich, die von der absoluten G�ltigkeit der in der Bibel niedergelegten Offenbarung ausgehen. Nach Barth soll der Theologe als Mensch ausharren in der Spannung zwischen Notwendigkeit und Unm�glichkeit seines Auftrags, von Gott zu reden. Denn das Reden von Gott geschieht nur durch Gott � und das ist die Niederlage aller Theologie und aller Theologen. Das betont Barth gegen den Kulturprotestantismus der >Liberalen mit ihrer Verharmlosung Gottes als einer Gr��e, �ber die wir als Menschen verf�gen k�nnten. Das betont er auch gegen den >pietistischen Subjektivismus, wie er ihn versteht, der Gott als Gefilde des menschlichen Innenlebens zu horten glaubt.

Die Bedr�ngnis des Theologen bleibt also bestehen, aber zugleich hat der Theologe die Verhei�ung, dass das schwache Menschenwort zum Tr�ger des Gotteswortes wird, indem er Gott in seiner Freiheit und Allmacht anerkennt, H�render bleibt und Zeuge wird. Die Grenze der Dialektik aber, die Barth klar definiert, besteht darin, dass Gott dort zu reden anf�ngt, wo die Dialektik aufh�rt. Gott bleibt eben doch der ganz Andere, Unbegreifliche. Er beginnt sich dort zu offenbaren, wo unsere Vorstellungen und Systeme enden. Barth betont:

"Aber diese M�glichkeit, die M�glichkeit, dass Gott selbst spricht, wo von ihm gesprochen wird, liegt nicht auf dem dialektischen Weg als solchem, sondern dort wo auch dieser Weg abbricht ... Und eben so genau ist zu bedenken, dass es mit unsrer Aufgabe so steht, dass von Gott nur Gott selber reden kann. Die Aufgabe der Theologie ist das Wort Gottes. Das bedeutet die sichere Niederlage aller Theologie und aller Theologen ... Wir m�ssen uns klar sein dar�ber, dass wir, und wenn wir Luther und Calvin w�ren, und welchen Weg wir auch einschlagen m�gen, so wenig ans Ziel kommen werden wie Moses in das gelobte Land gekommen ist. So gewiss wir irgendeinen Weg gehen m�ssen ... so gewiss m�ssen wir bedenken, dass das Ziel unsrer Wege das ist, dass Gott selber rede, und d�rfen uns also nicht wundern dar�ber, wenn uns �berall am Ende unsrer Wege und wenn wir unsre Sache noch so gut gemacht h�tten, ja dann am meisten, der Mund verschlossen wird" (a.a.O., S. 174.176f.).

Beurteilung:

Die Gr��e und �bermacht Gottes betont zu haben, bleibt das Verdienst, aber auch das Problem des jungen Barth. Hier sind eher die philosophischen Kategorien einer platonischen �berwelt und einer rational nicht mehr erreichbaren Glaubensdimension im Gegensatz zum Wissen (� la Kant) durchgeschlagen, als der Wille Gottes, sich eben selbst doch erkennen zu geben, und das prim�r und unvergleichlich in der Heiligen Schrift mit ihrer eindeutig geoffenbarten Wahrheit (Joh 14,6; 17,17). Sicherlich steht diese Wahrheit �ber den menschlich erdenkbaren Vorstellungen und Systemen, aber sie ist doch in heilbringender Weise geoffenbart worden und kann nicht durch dialektische Prozesse relativiert werden, ohne ihr Wesen zu verlieren.

Ein scharfer Gegner der Hegelschen Dialektik, ihrer Vorl�ufer und Epigonen ist der christliche Kulturphilosoph Francis Schaeffer. Er sagt:

Das �bel der Neuzeit ist, dass der Mensch nicht mehr Wahrheit und L�ge, Gut und B�se unterscheiden kann, weil er einen absoluten Gott mit einer absoluten Offenbarung ablehnt. Der Mensch befindet sich daher heute "unterhalb der Linie der Verzweiflung", von wo aus ihm entweder nur der Sprung in den Mystizismus, Irrationalismus und die Anarchie bleibt � oder die Umkehr zum lebendigen Gott mit seinen guten Ordnungen. Zwar befindet sich der Mensch immer in einem Erkenntnisprozess und sein Wissen bleibt St�ckwerk (1. Kor 13,9), aber Gott will ihm doch das Heilsnotwendige und das, was f�r ein geheiligtes (durch die Gemeinschaft mit Gott erneuertes) Leben unabdingbar ist, eindeutig zu erkennen geben. Schaeffer (Gott ist keine Illusion, 1991, 50ff.) wendet sich also scharf gegen die "Preisgabe der Antithese", gegen die Aufl�sung der absoluten Unterscheidung zwischen Wahrheit und L�ge, zwischen Gut und B�se zugunsten einer falschen Synthese im modernen Denken und in der neueren Theologie, auch bei Karl Barth. Schaeffer betont treffend, dass das dialektische Denken (und mit ihm auch die Dialektische Theologie) einen falschen � n�mlich zweigeteilten � Wahrheitsbegriff hat; deshalb "kann ein Satz, der richtig klingt, in Wirklichkeit genau das Gegenteil von dem aussagen, was das historische Christentum mit demselben Satz meint". Das biblische Christentum aber "steht und f�llt mit der Antithese". "Wenn wir das antithetische Denken aufgeben, haben wir nichts mehr zu sagen."

Diese Konsequenz wurde im Grunde bei Barth deutlich, der Gottes Reden am Ende eben doch in einen Bereich jenseits aller Dialektik verbannen musste: Gott rede dort, wo die Dialektik abbreche.

Demgegen�ber halten wir fest: Gott redet klar und verst�ndlich in seinem Wort, der Heiligen Schrift.

2. Dialektische Theologie und Bibelverst�ndnis

Barths Dialektik wirkt sich auch auf sein Bibelverst�ndnis aus: Wort Gottes und Heilige Schrift sind f�r Barth identisch und doch wieder nicht identisch. Entscheidende Voraussetzung der Barthschen Wort-Gottes-Lehre ist, dass Wort Gottes immer nur in actu, im Handeln, im Ereignis geschieht und nicht in einer objektivierbaren Gestalt vorhanden ist. In KD I/1, � 4 spricht Barth vom Wort Gottes in einer dreifachen Gestalt.

Die erste Gestalt des Wortes Gottes ist das geoffenbarte Wort.

Gemeint ist die unmittelbare Offenbarung Gottes, die er seinen Boten � den Propheten, den Aposteln, den ersten Zeugen � geschenkt hat. Die Offenbarung ist Ereignis der freien, unfassbaren Gnade, die dann in Bibel und Verk�ndigung begrenzt und gesichert wird. Die Offenbarung erzeugt die Bibel, die dann zum Zeugenwort und Mittler der durch Inverbation schriftgewordenen Offenbarung wird.

Die zweite Gestalt ist das geschriebene Wort.

Deren konkrete Gestalt ist die Bibel als Erinnerung an die vorausgegangene, schon geschehene Offenbarung. Die Bibel ist nach Barth keineswegs von Fehlern und Irrt�mern frei � er bleibt dem Denken der Bibelkritik verhaftet � , sondern sie ist einfach Niederschlag der Botschaft der ersten Zeugen in ihrer Welthaftigkeit. Wie Barth schreibt, ist die Bibel

"nicht selbst und an sich Gottes geschehene Offenbarung",

sondern vielmehr

"das konkrete Mittel, durch das die Kirche an Gottes geschehene Offenbarung erinnert, zur Erwartung k�nftiger Offenbarung aufgerufen und eben damit zur Verk�ndigung aufgefordert, erm�chtigt und angeleitet wird" (KD I/1, S. 114).

Die Einheit von Bibel und Offenbarung ist ein Ereignis. Die geschehene Offenbarung wird in der Bibel festgehalten, aber "Wort Gottes" wird sie nur als Ereignis, indem Jesus verk�ndigt wird.

Die dritte Gestalt ist das verk�ndigte Wort.

Das Wort Gottes ist verk�ndigtes Wort � nicht umgekehrt: die Verk�ndigung wird � etwa durch besondere Rhetorik, Gef�hlhaftigkeit, Fr�mmigkeit usw. � Gottes Wort. Menschliche Rede von Gott ist zuerst und entscheidend Gottes eigene Rede. Gott will zu Wort kommen in der Sprache. Indem Gott zur Sprache kommt, bleibt allerdings das Menschenwort verantwortliches und zugleich irrtumsf�higes Menschenwort, doch tritt dieses kraft des bevollm�chtigten "Vikariates Jesu Christi" wahrhaft stellvertretend auf.

Von diesem Ansatz her kann Barth den biblischen Kanon als prinzipiell unabgeschlossen betrachten. Die Kanonsentscheidung ist f�r ihn Entscheidung des h�renden Menschen und daher nicht grunds�tzlich dem Irrtum entzogen. Die Geschlossenheit des Kanons bezeichnet er als "relativ". Er meint:

"Um der wirklichen Autorit�t des biblischen Kanons willen m�ssen wir es wieder lernen, seine Feststellung als ein Glaubenszeugnis, seine Anerkennung als Glaubensgehorsam und also seinen tats�chlichen Bestand, auch wenn wir gar keinen Anlass haben sollten, ihn zu beanstanden, als unabgeschlossen zu verstehen" (KD I/2, S. 532).

Beurteilung:

Positiv zu w�rdigen ist, dass Barth gegen�ber dem Kulturprotestantismus und Liberalismus ein neues, positives Verh�ltnis zur Heiligen Schrift gewonnen hat. Er und seine Sch�ler bem�hen sich wirklich weithin, auf das Wort Gottes in seinen unterschiedlichen Gestalten zu h�ren. Sie rechnen mit souver�nen Offenbarungsakten Gottes und betonen die Notwendigkeit des Heiligen Geistes, um Gottes Offenbarung zu verstehen. Allerdings m�ssen wir feststellen, dass Barths Haltung zur Heiligen Schrift an entscheidender Stelle zweideutig ist und dass dadurch dem ganzen Liberalismus mit der historisch-kritischen Methode die T�r offengehalten wurde. Nach Barth gibt es eben das Wort Gottes nur, indem Gott redet. Es existiert kein von Gott losgel�stes Wort Gottes, das man � im Unterschied zu Gott, der selbst Subjekt bleibt � zum Objekt unseres Nachdenkens machen k�nnte. Die Bibel ist f�r Barth Menschenwerk, restlos historisch bedingt wie jedes andere Buch, aber sie wird erst in actu, indem Gott redet, zum Wort Gottes. Offenbarung und Heilige Schrift sind zweierlei und doch nicht voneinander zu trennen. Barth wehrt sich mit seiner Schriftlehre im Grunde dagegen, dass man ihn von liberaler Seite auf einen orthodoxen Standpunkt festschreiben wollte. Mit Hilfe seiner Dialektik m�chte er beweisen, dass er gar nicht die Verbalinspiration im Sinne der lutherischen Orthodoxie vertritt, sondern das Wort in der Dynamik, in der Bewegung, im Ereignis der Sprachwerdung meint. Von diesem Ansatz her ist es verst�ndlich, dass es gemeinsame Sch�ler von Rudolf Bultmann und Karl Barth, etwa den T�binger Systematiker Eberhard J�ngel, gibt, die gerade dieses Ereignis der Sprachwerdung als das Entscheidende beschreiben.

Die bei Barth begegnende und ungew�hnliche Unterscheidung zwischen Verbalinspiration und Verbalinspiriertheit nun h�ngt zusammen mit der Unterscheidung zwischen aktuellem Ereignischarakter und historischer Faktizit�t biblischer Aussagen. Mit "Verbalinspiriertheit" etikettiert Barth die klassische Inspirationslehre im orthodoxen Sinn, die an der buchst�blichen Inspiration und Wahrheit der Bibel festh�lt, und lehnt diese ab. Hier wird seiner Meinung nach aus der freien Gnade Gottes ein St�ck �bernatur, eine verobjektivierte Faktizit�t, eine Verweltlichung der Offenbarung. "Verbalinspiration" im Barthschen Sinne hingegen bezeichnet schlichtweg die Erw�hlung von Menschen durch Gott, die ihr Zeugnis in der Bibel niedergelegt haben, also im Grunde eher eine Personal- oder Realinspiration. Barth betrachtet das Wort Gottes also immer nur als Aktum, in seinem aktuellen Ereignischarakter, nie als (blo�es) Faktum, etwa historischer Berichte oder Naturereignisse. "Das Wort", das Gott immer wieder aktuell redet, tritt "den Worten" in ihrer historischen und faktischen Fixierung gegen�ber.

Als Beispiel nenne ich eine Frage, die in den zwanziger Jahren an Barth gerichtet wurde:

"Hat die Schlange im Paradies geredet?"

Karl Barth antwortete:

"Nat�rlich hat die Schlange geredet. Sie redet auch jetzt noch" (zit. nach H. Jochums, Die gro�e Entt�uschung, 65).

Jetzt, da wir verf�hrt werden zur S�nde von Hochmut, Tr�gheit und L�ge, redet die Schlange noch. Von der Sache her ist das richtig. Fragt man jedoch historisch, dann merkt man, wie eine �berzeitliche Wahrheit von ihrer historischen Wirklichkeit (hier: dem S�ndenfall) gel�st wird. Nicht ohne Grund hat man � vor allem dem jungen Barth � Geschichtsfremdheit und das "Schweben" in einer platonisch anmutenden Zeitlosigkeits-Metaphysik vorgeworfen, was sich auch auf anderen Gebieten (etwa seiner transzendental-pr�sentischen Eschatologie) zeigt. Hier bestehen durchaus Parallelen zu den theologischen Systemen eines Rudolf Bultmann oder Paul >Tillich, wenn auch Barth in seiner Kritik am biblisch-traditionellen Christentum und Bibelverst�ndnis nicht so weit wie diese gegangen ist.

Gegen die Abl�sung der (Geistes-)Wirkung vom biblischen Buchstaben ist Luthers Lehre von der litera spiritualis (geisterf�llter Buchstabe) ins Feld zu f�hren: Gott bindet sich an sein Wort durch seinen Geist. Das Bibelwort ist Tr�ger des Geistes Gottes, und der Geist hat sich gebunden an das, was im Wort geschrieben ist.

"Luthers 'Wort` ist geisthaltig; und umgekehrt: Luthers 'Geist` wortgebunden" (G. Gloege, Mythologie und Luthertum. Recht und Grenze der Entmythologisierung, 1963, 135).

Nur daraus folgt die Heilsgewissheit: indem ich mich darauf verlassen kann, was in der Heiligen Schrift als dem "geistdurchhauchten Buchstaben" offenbart ist (2. Tim 3,16; 2. Petr 1,21).

"Das Wort sie sollen lassen stahn",

hat Luther deshalb betont. Gott redet unmissverst�ndlich nirgendwo anders als in der Heiligen Schrift. Die Bibel als Gottes Wort bleibt der einzige Ma�stab f�r alle anderen Stimmen � auch f�r solche, die Gottes Wort zu sein beanspruchen.

3. Dialektische Theologie und Offenbarung

"Gott wird nur durch Gott erkannt."

Dieser Kernsatz ist grundlegend f�r Karl Barths Offenbarungslehre. Und er schlie�t alle anderen Erkenntniswege zu Gott aus, etwa

F�r den jungen Karl Barth ist Gott der ganz Andere, Fremde, Unbegreifliche. Im Vorwort zur zweiten Auflage des "R�merbriefs" (13. Aufl. 1984, S. XIII) hat er dies deutlich formuliert:

"Wenn ich ein 'System` habe, so besteht es darin, dass ich das, was Kierkegaard den 'unendlichen qualitativen Unterschied` von Zeit und Ewigkeit genannt hat ... m�glichst beharrlich im Auge behalte. Gott ist im Himmel und du auf Erden!"

Das Distanzpathos, die Unterscheidung zwischen Gott und Welt, Gott und Mensch ist hier in klassischer K�rze ausgesprochen.

Dabei liegt der Akzent � insbesondere beim jungen Barth, aber auch noch beim �lteren � auf der Transzendenz, der �berweltlichkeit Gottes, der sich "senkrecht von oben" offenbart in der Freiheit und dem Plan, den er sich selber gesetzt hat. Barth kn�pft an den reformierten Grundsatz an:

"finitum non capax infiniti
(das Endliche kann das Unendliche nicht begreifen)",

der im 16. Jahrhundert in deutlicher Abgrenzung zur lutherischen Abendmahlslehre formuliert worden war und in diesem Zusammenhang auch als "Extra Calvinisticum" bekannt ist. Calvin hatte � �hnlich wie schon Zwingli � die Transzendenz Christi, der zur Rechten Gottes sitzt, betont � im Gegensatz zu Luther, der die Kondeszendenz, die Herablassung Christi � wenn auch geistiger Art � in die Elemente Brot und Wein postuliert hatte.

Barth nun legt Wert darauf, dass der Mensch von sich aus Gott nicht erkennen k�nnte, wenn nicht Gott sich selbst offenbaren w�rde. Es gibt also insofern auch eine Kondeszendenz bei Barth, aber die Transzendenz wird viel st�rker betont als bei Luther. Jede analogia entis, jede Entsprechung zwischen Gott und Welt aufgrund von Seinsmerkmalen ist bei Barth ausgeschlossen. Das g�ttliche Sein kann nicht aus dem gesch�pflichen Sein (Natur, Gesetz, Gewissen, Geschichte) abgeleitet und erkannt werden. Gott l�sst sich nicht durch die analogia entis (Analogie des Seins), sondern allein durch die analogia fidei (Analogie des Glaubens) oder analogia relationis (Analogie der Beziehung, Analogie der von Gott im Bund gestifteten Gemeinschaft) erkennen. Die Initiative liegt also ganz und ausschlie�lich auf der Seite Gottes. Gotteserkenntnis ist freies Geschenk � wie der Glaube, der sie aufgrund der von Gott gestifteten Beziehung vollzieht.

Gott steht in unendlichem qualitativem Unterschied dem Menschen gegen�ber. Barth mit dieser Aussage steht im Gegen�ber zur liberalen Theologie, etwa auch in der Romantik bei Schleiermacher. Dieser hatte Gott mit dem Universum identifiziert. Fr�mmigkeit hatte er als eine Bestimmtheit des Gef�hls oder des unmittelbaren Selbstbewusstseins betrachtet. Das "schlechthinnige Abh�ngigkeitsgef�hl" war f�r ihn die einzige Weise, wie im allgemeinen das eigene Sein und das unendliche Sein Gottes im Selbstbewusstsein gegenw�rtig sein kann. Schleiermacher strebte danach, "mittelst des menschlichen Organismus zu denjenigen Zust�nden des Selbstbewusstseins zu gelangen, an welchen sich das Gottesbewusstsein verwirklichen kann" (D. F. E. Schleiermacher, Der christliche Glaube, Berlin, 1960, 525). Es versteht sich von selbst, dass ein solcher anthropologisch-psychologischer Ansatz zu dem eminent theozentrischen (zentral auf Gott gerichteten) Denken Barths in diametralem Widerspruch stehen musste.

F�r Barth ist der Glaube nie unser Besitz oder unser Erlebnis (letzteres hatte noch der Lehrer Barths, Wilhelm Herrmann, vertreten), sondern unverf�gbares Geschenk und � vom Menschen her gesehen � ein Sprung ins Ungewisse des V�llig-auf-Gott-Angewiesenseins. Ihm entspricht eine dialektische Haltung der Offenheit statt einer dogmatischen Festlegung oder kritisch-mystischen Bem�chtigung. Er l�sst sich nicht objektivieren. Und so wie der Glaube nicht objektivierbar ist, l�sst sich auch die Gotteserkenntnis nicht objektivieren, sondern nur immer neu empfangen als Anerkenntnis des Gottes, der im Regimente sitzt. Gott bleibt immer Subjekt, er wird nie zum Objekt unserer Erkenntnisse, Analysen und Beobachtungen � auch nicht in der Theologie. Vielmehr erm�chtigt er uns durch seine Offenbarung, ihn zu verstehen. Der Rechtfertigung aus Gnaden entspricht bei Barth die Gotteserkenntnis aus Gnaden.

Bei Barth verl�uft die Gotteserkenntnis christomonistisch:

Alle Erkennbarkeit ist auf Christus und sein Werk konzentriert. Eine Offenbarung Gottes vor, nach oder au�erhalb des Christusgeschehens wird bestritten oder zumindest stark reduziert. Bibelstellen, die auf eine Offenbarung Gottes in der Sch�pfung, in der Geschichte und im Gewissen hindeuten (z.B. R�m 1f.; Apg 17) werden als "Nebenlinie" der Christusoffenbarung bezeichnet und dieser eingeordnet bzw. nachtr�glich auf das Christusereignis bezogen (vgl. v.a. KD II/1, 136f.).

Problematisch ist, dass die Welt ihre Bedeutung als Sch�pfung einb�sst, wenn alles auf das Christusereignis konzentriert wird. Der sp�tere Barth hat diese Gefahr zum Teil erkannt und die Dimension der Welt wieder neu betont. Er postulierte nicht mehr � wie im "R�merbrief" � die Unverf�gbarkeit Gottes an sich, sondern die Unverf�gbarkeit seiner Liebe, die Freiheit seiner Gnadenwahl. Gott bleibt der souver�ne Gott in seiner Freiheit zu lieben und zu erw�hlen (also in actu). Gott ist gerade darin Gott, dass er Mensch wird, aber die Transzendenz ist nun die Freiheit zur Liebe (Erw�hlungslehre bei Karl Barth). Barths Theologie bleibt also auch in der Sp�tphase "Theologie von oben". Gott kommt zum Menschen. Es gibt keinen Ankn�pfungspunkt im Menschen f�r das Handeln Gottes und keine "nat�rliche Theologie". Aber Gottes Gottsein erweist sich nicht mehr durch seine unerreichbare �berweltlichkeit als Wesensdimension, sondern im souver�nen Handeln als Eigenschaft. "Nat�rliche Theologie" betrachtet Barth als Versuch der religi�sen Bem�chtigung Gottes, der zum Scheitern verurteilt ist, und als Gnadenfeindschaft.

Barth steht mit dieser Position bewusst gegen lutherische Theologen wie Paul Althaus und Werner Elert, die an der M�glichkeit einer Ur- und Sch�pfungsoffenbarung festhielten. Leider lie�en sich w�hrend der Zeit des Nationalsozialismus manche lutherische Theologen dazu hinrei�en, eine Sch�pfungsoffenbarung auch in Blut und Boden, Volk und Rasse zu postulieren � eine schlimme Verzeichnung der Position Martin Luthers, die Barth vehement und zu Recht bek�mpfte. Luther selber hatte zwar an einer Offenbarung Gottes in Sch�pfung, Geschichte, Gesetz und Evangelium festgehalten, sich aber stets gegen jede Verg�tzung des Geschaffenen gewehrt. Auch wenn f�r Luther Gott sich nicht nur in Christus offenbarte, so blieb Christus doch f�r ihn Ma�stab und Korrektiv. Auch Werner Elert und Paul Althaus unterschieden zwischen einer Uroffenbarung vor Christus und der heilbringenden und endg�ltigen Offenbarung in Christus � ein meines Erachtens dem biblischen Gesamtzeugnis entsprechender Ansatz.

Beurteilung:

Massive Kritik an Karl Barths Offenbarungsverst�ndnis �bte auf reformierter Seite Emil Brunner, urspr�nglich Weggenosse Barths und Anh�nger der Dialektischen Theologie. Der Widerspruch entz�ndete sich an der Frage nach dem Verh�ltnis zwischen Gott und Welt, zwischen Transzendenz und Immanenz, zwischen Theologie und S�kularismus. Zentral war die Diskussion �ber Gotteserkenntnis und Offenbarung und �ber das Verh�ltnis von "Natur und Gnade". In einer so titulierten, 1934 ver�ffentlichten kleinen Schrift, der Barth bald darauf ein w�tendes "Nein!" (so der Titel der Antwortschrift) entgegenschleuderte, hat Brunner in klassischer Weise die Kritik an Barths Offenbarungsverst�ndnis formuliert. Im folgenden fassen wir die wesentlichen Argumente daraus zusammen.

Brunner zeigt zun�chst kurz die Konsequenzen von Barths Offenbarungsverst�ndnis auf. Als erstes stellt er fest, dass bei Barth die Gottebenbildlichkeit des Menschen v�llig ausgetilgt wird. Ferner wird eine allgemeine Offenbarung bei Barth abgelehnt. Nur eine Offenbarung wird anerkannt: die Christusoffenbarung (Christomonismus).

F�r Barth f�llt die Sch�pfungs- und Erhaltungsgnade weg, die seit der Grundlegung der Welt da ist (z.B. dass Gott seine Sonne �ber Gerechte und Ungerechte scheinen l�sst). Allein die Christusgnade bleibt �brig. F�r Barth existieren keine Erhaltungsordnungen (lex naturae). Es gibt keinen Ankn�pfungspunkt f�r das g�ttliche Erl�sungshandeln im Menschen. Die Alleinwirksamkeit der Christusgnade wird betont. Die Sch�pfung wird bei Barth nicht als Vollendung des Alten gesehen, sondern als reine Neusetzung durch Vernichtung des Alten hindurch.

"Gratia non tollit naturam, sed perficit
(die Gnade hebt die Natur nicht auf, sondern vollendet sie)"

� diesen thomistischen Satz lehnt Barth v�llig ab und bezeichnet ihn als "Erzketzerei". Was Barth als Irrt�mer betrachtet, etikettiert er als "unbiblisch", "thomistisch-katholisch", "unreformatorisch", "aufkl�rerisch" und "neuprotestantisch".

Brunners Gegenposition geht davon aus, dass eine Differenzierung notwendig ist zwischen einer formalen und materialen Gottebenbildlichkeit (imago Dei formalis et materialis). Die formale Gottebenbildlichkeit ist von der S�nde unangetastet, die materiale Gottebenbildlichkeit ist durch die S�nde v�llig verloren. Die formale, unangetastete Gottebenbildlichkeit bezieht sich auf das Humanum des Menschen, auf sein Menschsein: der Mensch besitzt eine Wortf�higkeit (Wort und Antwort sind m�glich) und daher Verantwortlichkeit. Das ist die Voraussetzung daf�r, dass er �berhaupt s�ndigen kann. Wenn er � etwa von der "Schlange" oder von anderen Menschen � nicht ansprechbar w�re, k�nnte er gar nicht verf�hrt werden und s�ndigen. Die materiale Gottebenbildlichkeit hingegen, die v�llig verloren ist, bezieht sich auf den Menschen im Zustand der S�nde, auf den Menschen im Widerspruch zu Gott, als widerg�ttliche und widerpers�nliche Person.

Im Blick auf die � von Barth abgelehnte � Sch�pfungsoffenbarung f�hrt Brunner aus, dass die S�nde die Erkennbarkeit Gottes im Menschen gest�rt, aber nicht zerst�rt hat. Brunner beruft sich vor allem auf � von Barth stiefm�tterlich behandelte � Stellen wie R�m 1f., Apg 14 und 17. Das Erkennen ist verfinstert, aber nicht ausgel�scht. Die Sch�pfungsoffenbarung bleibt f�r die Nichtchristen getr�bt und vieldeutig (deshalb machen sie sich G�tzen) und sie bringt kein Heil. Und weil mit der Sch�pfungsoffenbarung das Gewissen zusammenh�ngt, kann der Mensch �berhaupt erst s�ndigen. Die Christusoffenbarung hingegen ist eindeutig und heilbringend. Brunner schreibt:

"Durch Christus erkennen wir, dass sich Gott uns schon vorher offenbart hat, dass wir aber diese Offenbarung nicht recht gelten lie�en" (Natur und Gnade. Zum Gespr�ch mit Karl Barth, 1934, 14).

In diesem Zusammenhang kann man von einer "negativen nat�rlichen Theologie (theologia naturalis negativa)" (aber eben doch "nat�rlichen Theologie") sprechen.

Im Blick auf die Erhaltungsgnade schreibt Brunner, dass es eine allgemeine Gnade vor der Christusgnade gibt, z.B. im Staat, um dem B�sen zu wehren, in der Natur, wo die Sonne �ber Gerechte und Ungerechte scheint usw. Das gesamte nat�rliche, gesch�pfliche Leben h�ngt von dieser Erhaltungsgnade ab. Sie wird freilich erst im Licht der Christusoffenbarung recht erkannt und f�hrt dann � dann! � zum Danken. In Christus erkennen wir, was Gott schon immer f�r uns getan hat.

Laut Brunner ist ein Ankn�pfungspunkt f�r die Gnade und Offenbarung Gottes im Menschen vorhanden, und zwar in Gestalt der auch dem S�nder nicht abhanden gekommenen formalen Gottebenbildlichkeit. Und dieser Ankn�pfungspunkt f�r Gottes Wort an den Menschen ist eben die reine Ansprechbarkeit des Menschen, sein Ja-oder-Nein-Sagen-K�nnen, seine Ver-Antwort-lichkeit. Gottes Wort schafft nicht die Wortm�chtigkeit des Menschen � diese hat er nie verloren, denn sie ist die Voraussetzung f�r das H�renk�nnen -, aber Gottes Wort schafft die F�higkeit des Menschen, Gottes Wort zu glauben. Das sola gratia (allein aus Gnaden) wird also nicht gef�hrdet. Brunner schreibt:

"Wer nicht glaubt, der ist selbst schuld. Wer glaubt, der weiss: es ist reine Gnade" (a.a.O., S. 19).

Und:

"In der S�nde gibt es kein Wissen von Gott, denn das wahre Wissen von Gott ist die Aufhebung der S�nde" (a.a.O.).

Es existiert also eine Voraussetzung f�r den Empfang des Glaubens, die gesch�pflich angelegt ist, aber der Glaube selber ist freies Geschenk Gottes � ein auch in dieser differenzierten Form fundamentaler Unterschied zu Barth, der das v�llige �bergewicht der Gnade und Erw�hlung betont.

Schlie�lich richtet Brunner gegen Barth den Vorwurf des Aktualismus: Barth erkenne nur die Offenbarung, aber nicht die Offenbartheit Gottes an, nur das aktuelle Handeln (Aktum), aber nicht das Gehandelthaben Gottes mit seinen Ergebnissen in der Geschichte (Faktum). In der Bibel finden wir gerade das Zeugnis von der "Offenbartheit" im Sinne Brunners, der historischen Faktizit�t der bezeugten Ereignisse im Zusammenhang mit dem Offenbarungshandeln Gottes.

Brunner gesteht Barth zu, dass dieser nicht einfach die F�higkeit auch des unerl�sten Menschen leugnet, "Vern�nftiges zu tun und zu denken, und dass die Humanit�t und Kultur bei aller Fragw�rdigkeit von der Offenbarung aus nicht einfach negativ zu bewerten sei" (a.a.O., S. 10). Der Streit geht aber letztendlich um den "imago-Rest", den "Rest der Gottebenbildlichkeit" im nat�rlichen, unerl�sten Menschen. Brunner nun erkl�rt diesen imago-Rest nicht als quantitativen Rest (z.B. in dem Sinne, dass 90% des menschlichen Wesens durch die S�nde verdorben und 10% unversehrt seien), sondern er erkl�rt ihn qualitativ: Material gesehen ist der Mensch ganz und gar verdorben und verfinstert, aber formal gesehen ist seine Menschlichkeit, sein Humanum, seine Wortf�higkeit und Verantwortlichkeit erhalten geblieben. Der formale Sinn des Begriffes "Gottebenbildlichkeit" ist "das Humanum, d.h. dasjenige, was den Menschen, ob er nun S�nder sei oder nicht, vor der gesamten �brigen Kreatur auszeichnet" (a.a.O., S. 10).

Die Frage stellt sich ihrerseits an Brunner, ob sich so einfach trennen l�sst zwischen formaler und materialer Gottebenbildlichkeit. Barth h�lt das nicht f�r m�glich, sondern betont das v�llige Angewiesensein auf die erw�hlende und neuschaffende Gnade. Sie allein erzeugt auch den Ankn�pfungspunkt, den es von Natur aus im Wesen des S�nders nicht gibt:

"... der Heilige Geist, der vom Vater und vom Sohn ausgeht und also als von Gott geoffenbart und geglaubt ist, bedarf keines Ankn�pfungspunktes als dessen, den er selber setzt" ("Nein!", S. 56).

Bei Brunner drohe die "r�mische" Gefahr der Seinsanalogie (analogia entis) � f�r Barth eine der schwersten S�nden der Gegenwart.

F�r Barth ist "Gottebenbildlichkeit" nur noch auf der Ebene der Beziehungsanalogie (analogia relationis), namentlich in der Beziehung zwischen Mann und Frau in der Ehe, vorhanden (vgl. KD III/1, S. 205ff.), aber nicht in irgendeinem Humanum, einem in der Wesenhaftigkeit und Seinsart des Menschen gleichsam verankerten gesch�pflichen Besitz. H�renk�nnen und Wortf�higkeit werden nach Barth also von Gott erm�glicht und sind nicht als eine erhalten gebliebene Gottebenbildlichkeit zu verstehen. Die Frage nach der Gottebenbildlichkeit ist sehr alt und hat in der Philosophie- und Theologiegeschichte die unterschiedlichsten Antworten erfahren. Sie l�sst sich auch an dieser Stelle nicht letztg�ltig entscheiden. Vielleicht hilft die Differenzierung, die Helmut Thielicke vornimmt, weiter:

"Bei der Frage, ob die Gottebenbildlichkeit verloren werden k�nne, muss man zwischen 'verlieren` und 'verwirken` unterscheiden. Was ich verloren habe, kann ich m�glicherweise zur�ckgewinnen. Das Verwirken aber bezieht sich auf die Preisgabe von etwas, das ich selbst nicht erwirkt habe (zum Beispiel, dass ich Gottes Ebenbild bin) und das ich mir damit auch nicht 'vom Halse schaffen` kann. Ich bleibe mit der (sc. durch die S�nde) verwirkten, aber nicht zu beseitigenden Gottebenbildlichkeit behaftet und muss mit ihr im Bannkreis des numen tremendum Dei (der erschreckend-verzehrenden Heiligkeit Gottes) stehenbleiben ... Ich bleibe jemand, der auf Grund, Ziel und Sinn seines Daseins angesprochen werden kann � und damit auch auf das, was er verwirkt hat" (Mensch sein � Mensch werden. Entwurf einer christlichen Anthropologie, 1976, S. 429f.).

Gottebenbildlichkeit in dem Sinne einer Entsprechung des Menschen zum Wesen Gottes, die in der Sch�pfung angelegt war, ist also durch die S�nde verwirkt, wenn auch nicht verloren, denn S�nde ist ein eklatanter Widerspruch zum Wesen Gottes. Nichts Unheiliges, Unreines kann von Natur aus in Gemeinschaft mit Gott stehen oder Anteil an Gottes Wesen haben. Die verwirkte Gottebenbildlichkeit wird erst wieder neu verwirklicht, wenn der Fluch der S�nde �berwunden wird � und das erfolgt durch die Annahme des Vers�hnungsopfers Jesu Christi, des neuen Menschen und wahren Ebenbildes Gottes (vgl. 2. Kor 4,4; Kol 1,15). In Jesus Christus wird die vom Menschen verwirkte Gottebenbildlichkeit aufs Neue verwirklicht und dem Menschen rettend angeboten

Was die Frage einer Ur- oder Sch�pfungsoffenbarung betrifft, so halte ich diese f�r m�glich, was die schon mehrmals erw�hnten Stellen wie R�m 1f., Apg 17 etc. meines Erachtens klar bezeugen. Barth hat zwar recht: Gott wird nur durch Gott erkannt. Aber es war Gottes Wille, sich auch den Heiden nicht unbezeugt zu lassen und ihnen sein Gesetz in ihr Gewissen zu schreiben.

Es gibt"Ewigkeit in ihren Herzen" (Don Richardson)

� eine Erfahrung, die Missionare oftmals bei entlegenen Eingeborenenst�mmen gemacht haben. Allerdings w�rde ich vorsichtiger sein als Emil Brunner und nicht von einer "Gotteserkenntnis" im Heidentum reden (vgl. Natur und Gnade, S. 13), sondern nur von einer � durch die S�nde (mit ihrer Folge z.B. des Fressens und Gefressen-Werdens) verfinsterten � Gottesahnung aus den Werken der Sch�pfung, aus der Geschichte und dem Gewissen (vgl. R�m 1,18ff.). Erst durch Christus wird diese Ahnung des Sch�pfers f�r denjenigen, der sich ganz diesem Herrn anvertraut, zur Erkenntnis, zur Gewissheit und zum Heil.

4. Dialektische Theologie und die Religionen

In dem bekannten � 17 aus KD I/2 geht es um "Gottes Offenbarung als Aufhebung der Religion". Religion ist Unglaube. Sie ist die Angelegenheit des � gerade in seiner Religiosit�t � gottlosen Menschen, denn sie sucht Rechtfertigung und Heiligung als eigenes Werk und missachtet dabei Gottes Tat der Selbstoffenbarung und Vers�hnung in seinem Wort. Der Mensch will sich selber rechtfertigen und heiligen. Er nimmt Gottes souver�nes Wirken nicht ernst und f�r sich an. Religion ist Unglaube als niedere Religion, die sich G�tter und G�tzenbilder macht. Sie ist Unglaube als Versuch der Gesetzeserf�llung mit dem Ziel der Selbsterl�sung aufgrund eigener Werke (so in den Werkreligionen, aber auch in einem missverstandenen, legalistischen Christentum). Und sie ist Unglaube als h�here Religion, etwa in Gestalt der Mystik als werkloser Selbstrechtfertigung und "innerer Erfahrung des G�ttlichen", oder auch des Atheismus als Verneinung des G�ttlichen bei gleichzeitiger Bejahung weltlicher M�chte und Autorit�ten. Die wahre Religion hingegen ist die christliche Religion � verstanden allerdings nicht als "Religion" im Sinne der Feuerbachschen Kritik, sondern als Glaube, der die von Gott in seiner Freiheit allein gewirkte Rechtfertigung und Heiligung dankbar ergreift. Nicht wir ergreifen und erw�hlen Christus, sondern Christus erw�hlt und ergreift uns. Vehement betont Barth immer wieder die Alleinwirksamkeit der Erw�hlungsgnade, die er nicht auf das Gebiet der Erl�sung beschr�nkt, sondern auch auf die Erkenntnisebene ausdehnt.

Beurteilung:

Barths Position richtete f�r Jahrzehnte einen Wall auf gegen die Religionsvermischung (>Synkretismus). Obwohl seine Position "kein menschliches Absprechen �ber menschliche Werte, keine Bestreitung des Wahren, Guten und Sch�nen, das wir bei n�herem Zusehen in fast allen Religionen entdecken k�nnen" (KD 1/2, S. 327) sein sollte, so war doch allen nichtchristlichen Religionen und auch einem falsch verstandenen Christentum die Heils- und Erkenntnisfunktion abgesprochen worden. Erst in den sechziger Jahren � fast zeitgleich mit Barths R�ckzug von der Lehrt�tigkeit � begann dieser Wall immer mehr zu br�ckeln. Barths Christomonismus wurde angesichts des zunehmend forcierten interreligi�sen Dialogs als "unzeitgem��" angesehen. Dabei hat Barth, was die grundlegende Frage der >Absolutheit des Christentums angeht, die biblische Botschaft eindeutig auf seiner Seite. Durchgehend wird n�mlich in der Heiligen Schrift die Absolutheit des einen Gottes, Jahwe, und seines Sohnes Jesus Christus betont, demgegen�ber alle anderen G�tter d�monisch inspirierte und nichtige G�tzen sind (vgl. z.B. 2.Mose 20,2ff.; Joh 14,6; 1. Kor 10,20f.). Willem Adolf Visser`t Hooft, der Freund Barths und langj�hrige Pr�sident des �kumenischen Rates der Kirchen, schrieb im Jahre 1965 (entgegen der sp�teren Tendenz des �RK):

"Die ewige Bestimmung des Menschen h�ngt ab von seiner Entscheidung im Blick auf sein Verh�ltnis zu ... Jesus von Nazareth ... Diese Person ist in jeder Hinsicht einmalig. Es gibt nur einen Lehrer, den Christus (Matth. 23,10), einen Herrn (Eph. 4,5; 1. Kor. 8,6), einen Hirten (Joh. 10,16), einen Mittler (1. Tim. 2,5). Er hat einen Namen, der �ber alle Namen ist (Phil. 2,9). Er ist der eingeborene Sohn (Joh. 3,16). Jede der christologischen Bezeichnungen deutet darauf hin, dass er einen Auftrag hat, den kein anderer jemals hatte oder haben wird. 'Und ist in keinem anderen Heil, ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darin wir sollen selig werden` (Apg. 4,12)."

Und Visser`t Hooft betont:

"Es ist h�chste Zeit, dass die Christen wieder erkennen, dass der Kern ihres Glaubens darin besteht, dass Jesus Christus nicht gekommen ist, um seinen Beitrag zum religi�sen Warenhaus der Menschheit zu leisten, sondern dass Gott in ihm die Welt mit sich selbst vers�hnt hat. Es ist an der Zeit, dass die Kirche die unbezahlte Rechnung, die der Synkretismus darstellt, begleicht. Es ist an der Zeit zu zeigen, dass im Evangelium ein Universalismus sui generis (umfassende Bedeutung eigener Art; L. G.) enthalten ist" (Kein anderer Name. Synkretismus oder christlicher Universalismus?, 1965, 100f.).

S. auch Barth, Karl; Erw�hlungslehre bei Karl Barth.

Lit.: K. Barth, Das Wort Gottes und die Theologie, 1924; ders., Kirchliche Dogmatik, 1932-1967. � Kritisch: L. Gassmann, Karl Barth, 1995; ders., Kampf um die Wahrheit, 1999.

Lothar Gassmann


Index

Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handb�chern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):

1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines �kumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch

Weitere Handb�cher (�ber Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de