Wie bei den Waldensern haben wir es auch bei den Lollarden mit einer Laienpredigervereinigung, diesmal in England, zu tun. Im 14. Jahrhundert kam es in England zu einer national begr�ndeten Bewegung gegen die Vorherrschaft des Papsttums. Parlament, Adel und K�nig wollten sich nicht mehr von Rom bevormunden lassen. Seit 1346 gab es im Parlament immer wieder Entscheidun-gen gegen die Interessen der R�mischen Kirche. Im Volk waren die immer st�rker werdenden romh�rigen Bettelorden sehr unbeliebt.
Der Theologieprofessor John Wiclif (1328-1384) wurde zu einem f�hrenden Kopf der Bewegung. War er anf�nglich mehr von nationalen Gedanken bewegt, wurde ihm sp�ter immer deutlicher, da� es in der Auseinandersetzung mit Rom um geistliche Fragen geht. Wiclif erkannte, wie weit sich die r�mische Kirchenlehre vom Wort der Bibel entfernt hatte. Wiclif erkl�rte, da� die Beschl�sse der Konzilien wertlose Menschenlehre seien, wenn sie nicht in der w�rtlich auszulegenden Heiligen Schrift ihren Grund h�tten.
F�r Wiclif war die Bibel einziger Ma�stab des Evangeliums. Seine Lehre wurde Grundlage aller reformatorischen Lehre der n�chsten Zeit. Sowohl Hus wie Luther und Zwingli sahen in Wiclif einen geistigen Vorl�ufer. Nach ihm sollte die Bibel w�rtlich ausgelegt werden, und deshalb k�nne sie auch von jedem Christen verstanden werden. Wiclif �bersetzte die lateinische Bibel Vulgata ins Englische.
Orientiert an der Bibel, meinte Wiclif, dass die Katholische Kirche antichristlich ist, da ihr Haupt nicht Jesus, sondern ein Mensch, der Papst, sei. Dieser Papst, der sich anma�te, Christi Stellvertreter zu sein, sei in Wirklichkeit der Antichrist. Auch die r�misch-katholische Hierarchie (kirchliche �mter) sei unbiblisch, da die Bibel nur Presbyter (�lteste) und Diakone kennt. Wiclif lehrte, da� Wallfahrten, Heiligenverehrung, Bilderverehrung (Bilderkult) und Reliquienkult sowie die Lehre von der Wandlung der Elemente Brot und Wein in der Messe (>Transsubstantiation) unbiblisch sind. Nach Wiclifs von der Bibel gepr�gter vorrreformatorischer Sicht sah er im M�nchtum, Kanoniker und Bettelorden unbiblische Sekten. Die Priesterweihe, der Z�libat, die letzte �lung und die der Taufe zugeordneten Zeremonien f�nden sich so nicht in der Bibel, deshalb seien sie zu verwerfen.
1377 wurde Wiclifs Lehre von Papst Gregor XI. verurteilt. Da Wiclif unter dem Schutz des englischen K�nigs, der ihm 1374 die Pfarrstelle in Lutterworth gab, und des Adels stand, war er relativ gesch�tzt, obwohl ihm die F�hrer der Katholischen Kirche mehrere Male den Proze� machen wollten. Um die biblische Lehre zu verk�ndigen, schickte Wiclif Wanderprediger nach dem Vorbild von Mt 10,5-15 aus. Sie wurden Lollarden genannt und trugen die reforma-torische Lehre Wiclifs als "Gottes Gesetz" unter das Volk. W�hrend Wiclif zu Lebzeiten noch unbehelligt blieb, wurden seine Anh�nger, die aus allen Schichten des Volkes stammenden Lollarden, sp�ter hart verfolgt.
1401 wurde in England, wo es bis dahin keine Inquisition gab, auf Ketzerei die Todesstrafe eingef�hrt. 1417 wurde mit Sir John Oldcastele (Lord Cobham), der adlige Hauptf�hrer der Lollarden, ver-brannt. Die Katholische Kirche ha�te Wiclif so sehr, da� sie Jahre nach seinem Tod seine Gebeine ausgraben lie� und auf einem Scheiterhaufen verbrannte. Die Lollarden gingen in den Untergrund, wo sie bis zur Reformation im 16. Jahrhundert heimlich wirkten.
Lit.: K.-H. Kandler, Christliches Denken im Mittelalter (KGiE I/11), 1993; K. Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte, 16. Aufl. 1981; F. Schaeffer, Wie k�nnen wir denn leben? 1977.
Rainer Wagner
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