Bei den Lorenzianer handelt es sich um eine >spiritistisch geprägte Sekte, die regional von gewisser Bedeutung ist.
Sie wurde am 13. Juni 1922 nach längerer Vorgeschichte in Lengefeld/Erzgebirge als Verein innerhalb der evangelischen Lutherischen Landeskirche Sachsen gegründet. Gleichzeitig nahm sie den Namen "Gemeinschaft in Christo Jesu" an. Die Gemeinschaft umfasst heute etwa 60 Gemeinden, die in 9 Bezirke gegliedert sind. Seit 1927/28 hat sie in Marterbüschel (Pockau-Lengefeld) ihr zentrales Heiligtum, die "Eliasburg", die nach Möglichkeit einmal in der Woche von jedem Mitglied aufgesucht werden soll. Die üblichen Gottesdienste werden von Verantwortlichen der Gemeinschaft, den sogenannten "Wächtern", in Versammlungsräumen, die man "Bethanien" nennt, durchgeführt. In den Gottesdiensten wird das landeskirchliche Gesangbuch benutzt. Die Lorenzianer lassen ihre Kinder in der Landeskirche taufen und konfirmieren. Nach 1945 ist in den alten Bundesländern, in Hiddenhausen bei Herford, ein eigenes westdeutsches Zentrum errichtet worden, in dem die wenigen Lorenzianer, die die DDR verlassen haben, ihre religiöse Heimat fanden. Heute hat die Gemeinschaft etwa 5000- 6000 Mitglieder, zumeist in Sachsen.
Die Lehre der Lorenzianer ist gnostisch-dualistisch (Gnosis), vom Kampf der Urmächte Gott und Satan, geprägt. Satan wird als Gegengott verstanden, der der Heilsgeschichte eine Unheilsgeschichte entgegensetzt. In den Kampf beider wurden Adam und Eva verwickelt. Da Eva das Gebot, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen, nicht direkt von Gott erhalten habe, sondern indirekt über Adam, hätte sie es nicht so ernst genommen und Satan konnte sie verführen. Seit dem Sündenfall ist der Mensch ein zwiespältigen Wesen, in dem das Fleisch von Satan beeinflusst wird und das Gewissen von Gott. Der Kampf zwischen Satan und Gott tobt dadurch im Menschen selbst. Durch Jesu Tod wurde der Kampf für Gott entschieden. Die Zeit der Wiedergeburt des Menschen ist seitdem angebrochen. Nun steht Jesu Wiederkunft unmittelbar bevor. Mit dem Auftreten von Hermann Lorenz sei der Prophet Gottes, der vor dem jüngsten Tag nach der Ansicht der Lorenzianer noch erscheinen muss, gekommen (Mal. 3, 23). Die Katastrophen und Kriege unserer Zeit werden als Beweis dieser Thesen angesehen.
Die Entstehung der Lorenzianer ist mit drei medial geprägten Personen aufs engste verbunden: Gottlieb Heinrich Reichelt (1832 -1878), Ferdinand Schneider (1835-1908) und Hermann Lorenz (1864 -1929).
ein Drechsler aus Obersteiffenbach bei Neuhausen (Erzgebirge), war die erste markante Gestalt, die die Entstehung der Lorenzianer vorbereitete. Seit seinem 25. Lebensjahr hielt Reichelt Erbauungsstunden. Darin standen sogenannte "Offenbarungen" Jesu, der Apostel und vor allem des Apostels Johannes im Mittelpunkt. Sehr früh spielten Carl August und Christina Lorenz, die Eltern von Hermann Lorenz, in diesem Kreis eine Rolle. Als Christina Lorenz mit ihren Sohn Hermann Lorenz schwanger war, soll ihr Reichelt öffentlich zugerufen haben:
"Du sollst von nun an Maria heißen, denn ich will mit der Frucht, die du unter dem Herzen trägst, ein großes Werk hinausführen".
Vor seinem Tod erklärte Reichelt als Medium:
" Ihr werdet meilenweit laufen müssen, um wieder ein Wort von mir (Johannes) zu hören. Ihr werdet lange suchen müssen und euch die Füße wund laufen."
Da mit Reichelts Tod der Kreis führungslos wurde, erlebte er einen starken Rückgang. Der Rest der Gruppe sammelte sich um das Ehepaar Lorenz.
Durch den Schornsteinfeger Hermann Schiffel wurden die Lorenzens auf einen Kreis um den Spiritisten Ferdinand Schneider und seinen Kreis Kleinsermuth bei Colditz aufmerksam. Nachdem die Eheleute bei einem ersten Besuch Schneider in dessen Haus verfehlten, mussten sie bis in die Nacht laufen, um ihn in einem vier Stunden entfernten Dorf zu treffen. Frau Lorenz soll sich dabei die Hacken wund gelaufen haben. Über dieses Treffen schreiben die Lorenzianer ("Licht ins Dunkel" o.O.o.J, S.21):
"Kaum waren die Erschöpften eingetreten, so rief ihnen Johannes durch den Mund des Boten (Ferdinand Schneider) folgendes zu: `Habe ich Euch nicht hinterlassen, dass ihr würdet meilenweit laufen müssen ... ehe ihr wieder ein Wort von mir hören werdet´".
Das überzeugte die Eheleute, dass in Schneider der gleiche Geist wie in Reichelt wirkt. Sie schlossen sich mit ihrer Gruppe dem spiritistischen Kreis um Schneider an. F. Schneider behauptete, mit 21 Jahren durch eine Offenbarung des Propheten Elisa und ein Jahr später durch König Salomo persönlich zum Propheten berufen worden sein. Wie Reichelt hielt auch Schneider auf ein gutes Verhältnis zur Landeskirche. Er förderte, daß Mitglieder seines Kreises der Bruderanstalt Gorbitz (kirchliche Diakonenschule) und der Diakonissenanstalt Dresden beitraten. 1873 wurde der Schneidersche Kreis wegen Hellseherei und Bereicherung durch religiöse Mittel zeitweise verboten. Der einflussreiche Konsistorialrat Franz aus Dresden verhörte Schneider und setzte sich danach für ihn ein, was die Anklage niederschlug. Auch bei späteren Anklagen siegte Schneider. Nach Schneiders Tod fehlte dem Kreis die Führergestalt. Die schon betagte Christine Lorenz genoss in der Gruppe ein hohes Ansehen. Sie hielt selbst Erbauungsstunden und verkündigte für den 26. März 1910 die Entrückung. Das Fehlen eines Führers der Gruppe und das Nichteintreffen dieser Weissagung brachte die Gruppe in eine tiefe Krise. Der Kreis verlor, wie einst nach Reichelts Tod, an Mitgliedern. 1914 trat dann Hermann Lorenz in dieses Vakuum ein.
Schon bei seiner Konfirmation bestätigte Ferdinand Schneider mit den Worten:
"Ich habe dich mit Deinen Samen bestimmt zur Anpflanzung des neuen Reiches des Friedens auf Erden"
die Verheißung, die einst Reichelt seiner schwangeren Mutter über ihren Sohn gegeben hat. Mit 21 Jahren erlebte Hermann Lorenz eine erste Vision. Am 11. Juni 1914 erlebte er, während einer schweren Erkrankung im Kreis einiger Glieder der Gemeinschaft, seine Berufung zum "Endzeitpropheten". Nach der Lehre der Lorenzianer hat damals der "Herr das Fleisch des Boten bezogen". Schon am 2. August 1914, einen Tag nach dem Ausbruch des 1. Weltkrieges, gab Lorenz drei Prophezeiungen im Blick auf den Krieg ab:
a. Der Krieg wird eine Ausdehnung nehmen, mit der niemand rechnet.
b. Der Krieg wird, durch das Tier (Antichrist) , zum Verderben des Deutschen Reiches führen.
c. Es kommt kein Frieden wieder, der Krieg ist der Anfang des Endes des Weltgeschehens.
Obwohl seine Gruppe eigentlich unpolitisch war, bekam Lorenz während des 1. Weltkrieges öfters Probleme mit den Behörden, die ihm u.a. "Beunruhigung der Bevölkerung" (Wehrkraftzersetzung) und "Aufheizung und Haß gegen Bessergestellte", vorwarfen. Viele durch den Krieg verunsicherte Menschen, unter ihnen Glieder der Landeskirchlichen Gemeinschaften, schlossen sich der Bewegung an, so dass die Lorenzianer 1917 schon über 1000 Anhänger zählten. Weitere spektakuläre Ereignisse begleiteten den Weg der Lorenzianer Am 3.2.1918 veröffentlichen mehrere sächsische Zeitungen Artikel mit Balken-Überschriften wie "Weltuntergang im Februar – zwei Prophezeiungen" oder "17. Februar – Jüngstes Gericht – beginnt mit Sintflut!". In den Beiträgen wird darauf hingewiesen, dass auf den Flusswiesen der Flöha bei Blumenau eine Arche gebaut werden soll, die dann auf dem Hainberg bei Olbernhau von den Auserwählten zu besteigen ist, um sie – wie einstmals Noah seine Lebewesen – vor den Fluten zu erretten und nunmehr das Überleben des besten Teiles der Menschheit zu sichern. Eine weitere, ähnliche Theorie, für die Zeit vor 2000 erfüllte sich nicht!
Die Umbruchszeit nach dem 1. Weltkrieg trieb der Bewegung weiter neue Anhänger zu. Nach dem Aufbau einer Organisation wurde 1922 der Verein gegründet. Der 1922 gefasste Beschluss, die Abendmahlsgemeinschaft mit der Landeskirche, mit Ausnahme des Erstabendmahles bei der Konfirmation, aufzugeben, festigte die Gemeinschaft ebenso wie der Bau des Zentralheiligtums mit 1000 Sitzplätzen, der "Eliasburg" in Marterbüschel (Pockau-Lengefeld) 1926/27. Die "Offenbarungen" von H. Lorenz wurden stenographiert und aufgeschrieben. Die daraus entstandenen "Pergamente" gelten als göttliche Wahrheit und werden bis heute in der "Eliasburg" aufbewahrt und von den Lorenzianer der Bibel gleich gewertet. Am 17. Juni 1929 starb Lorenz. Nach vergeblichen Auferweckungsversuchen kam schließlich die Weissagung: "Quält den Leib nicht mehr". Die Leiche wurde im kleinen Tempel in Marterbüschel beigesetzt. Seit dieser Zeit führt die Gemeinschaft ein zurückgezogenes Dasein.
Obwohl man bei den Lorenzianer (auch) die Bibel als Offenbarung betrachtet, handelt es sich bei den Lorenzianer um eine spiritistisch geprägte Gruppe. Die nicht eingetroffenen Weissagungen und die verrinnende Zeit seit dem Tod ihres Propheten öffnen vielen der kleiner werdenden Anhängerschaft nicht die Augen über die Verführung, der sie auf dem Leim gegangen sind (2. Kor. 11,14). Etliche aber haben sich enttäuscht und ernüchtert zurückgezogen.
S. auch: Sekten; Falsche Propheten; Zeichen der Zeit; Spiritismus; Okkultismus.
Lit.: H. Obst, Apostel und Propheten der Neuzeit, 2000, 455ff.
Rainer Wagner
Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handbüchern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):
1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines Ökumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch
Weitere Handbücher (über Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de