Pantheismus

Klick auf den Kompass �ffnet den IndexPantheismus kommt vom griechischen "pan" ("alles") und "theos" ("Gott"). P. ist die Vorstellung, dass alles Gott sei (Allgottheitslehre). Gott sei identisch mit dem Universum. Gott sei also keine Person, kein Sch�pfer, der (wie im >Theismus) au�erhalb der Sch�pfung steht und ihr einen Anfang gesetzt hat, sondern er sei die anfanglose, unendliche, unpers�nliche und ewige Urkraft, Urmacht oder Substanz.

Der P. ist eine sehr alte Lehre und tritt schon seit Jahrtausenden in Konkurrenz zum j�disch-christlichen Glauben an den pers�nlichen Gott und Sch�pfer. Beheimatet ist er vor allem im fern�stlichen Religionsbereich. Er wurde von verschiedenen Vertretern der abendl�ndischen Philosophie aufgegriffen und modifiziert. Einige typische Formen werden nachfolgend skizziert.

Die >hinduistischen Upanischaden des ersten vorchristlichen Jahrtausends beschreiben das Brahman als das monistische Urprinzip, welches das Weltall aus sich heraus hervorbringt (>Emanation) und wieder in sich aufnimmt. Brahman "individualisiert" sich zwar im Einzelwesen als "Atman" (ungef�hr mit "Einzelseele" wiederzugeben), doch hat Atman das Ziel, im Brahman aufzugehen (Entselbstung). Die in hinduistischen Systemen ebenfalls vorfindlichen >polytheistischen (G�tter-Pantheon) und sogar >monotheistischen Vorstellungen werden dem P. untergeordnet und eingegliedert, denn diese Gottheiten werden als Emanation (en) des all-einen Brahman betrachtet.

In �hnlicher Weise erblickt der chinesische Universismus eines Lao-Tse (Taoismus) im Tao ("Weg") das Urprinzip, das Absolute, den Urgrund der Welt: "Der Weg schuf die Einheit. Einheit schuf die Zweiheit. Zweiheit schuf Dreiheit. Dreiheit schuf die zehntausend Wesen" (Tao-Te-King 42).

Naturphilosophen des antiken Griechenland in der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends vermuten in unterschiedlichen Urstoffen (Feuer, Erde, Wasser, Luft) dasjenige, welches die Welt durchdringt: das G�ttliche. F�r Heraklit z.B. ist das "Urfeuer" (wohl im Sinne von Urenergie) das alles belebende Prinzip. Der Eleat Parmenides vertritt einen absoluten P., indem er alle Wirklichkeit in monistischer Weise als ein Ganzes betrachtet und Verschiedenheit als Illusion bezeichnet.

Der >Neuplatoniker Plotin (2. Jh. n. Chr.) entwickelt � unter dem Einfluss des Theismus stehend � eine gem��igtere Form: den emanativen P. Er spricht von einem Gott jenseits des Emanationsprozesses, der sich jedoch durch seinen Geist in stufenm��iger Abfolge als Welt und in die Welt hinein entfaltet. Der Emanationsproze� besitzt folgende Stufenleiter (in immerw�hrender absteigender Folge gem�� der Distanz vom g�ttlichen Urgrund): 1. Gott (jenseits des Seienden); 2. der g�ttliche Geist (als Inbegriff der platonischen Ideen, die sich als Welt entfalten); 3. die Weltseele (Gesamtbereich des Psychischen, Lebendigen); 4. Einzelseelen (als Individualisierungen der Weltseele); 5. Materie (als die unvollkommenste Erscheinungsform des G�ttlichen, die durch Finsternis gekennzeichnet ist).

Verschiedene christliche Mystik er bewegen sich hart an der Grenze zum P., so z.B. Meister Eckhart (1260-1327). Eckhart sagt, dass Gott und die Seele des Menschen einander ebenbildlich sind. So wie �ber dem geoffenbarten dreieinigen Gott die absolute, ganz jenseitige, eine Gottheit steht, so steht �ber den drei Seelenkr�ften (Ged�chtnis, Vernunft und Willen) das g�ttliche, edle, unverderbte Seelenf�nklein des Menschen. Erl�sung geschieht durch das Einswerden der Seele mit Gott. "... das Erkennen veredelt die Seele zu Gott hin, die Liebe eint sie mit Gott, und das wirkliche Erf�hlen vollendet sie in Gott" (Schriften 1934, 97).

Baruch de Spinoza (1632-1677) vertritt einen modalistischen P. Gott ist die unendliche Substanz. Diese besitzt unendliche Ausdehnung und unendliches Denken gleichzeitig (im Unterschied zu. R. Descartes' Auffassung, der res extensa und res cogitans trennte). Da die Substanz unendlich ist, gibt es nichts au�er ihr. Sie ist der Inbegriff alles Seienden und bringt sich selbst hervor. Als natura naturans (schaffende Natur = unendliche Substanz) erzeugt sie die natura naturata (geschaffene Natur = Welt der endlichen Dinge als Erscheinungsweisen oder Modi der unendlichen Substanz) aus sich selber. So ergibt sich f�r Spinoza die dreifache Gleichsetzung: Substanz = Gott = Natur.

Der P. Spinozas wirkt weiter in der Identit�tsphilosophie Schellings (Gleichsetzung von Natur und Geist). Die Hegelsche Philosophie ist im Grunde eine Geschichtsmystik mit pantheistischem Einschlag: Die Geschichte als solche ist Manifestation und Offenbarung der als Gott bezeichneten absoluten Idee, des absoluten Geistes. Die Geschichte selber also (nicht Christus) ist der Mittler. Eine ungebrochene Kontinuit�t zwischen Gott und Mensch wird angenommen. Der Geist des Menschen ist mit dem Geist Gottes ("Weltgeist") identisch.

In der vom deutschen Idealismus beeinflussten mystischen Gef�hlsreligion Schleiermachers erscheint S�nde als notwendige Entwicklungsstufe, Erl�sung als Evolutionsprozess und Christus als nachahmenswertes Vorbild kraft seines "vollkommenen Gottesbewusstseins": "Die Richtung auf das Gottesbewu�tsein schlie�t als innerer Trieb das Bewu�tsein des Verm�gens in sich, mittelst des menschlichen Organismus zu denjenigen Zust�nden des Selbstbewu�tseins zu gelangen, an welchen sich das Gottesbewu�tsem verwirklichen kann" (Der christliche Glaube, 1960, 525).

Innerhalb der seit 1900 datierbaren psychologischen Wissenschaft ist es besonders C. G. >Jung, bei dem man eine vom P. gepr�gte Seelenmystik finden kann: "Wie das Auge der Sonne, so entspricht die Seele Gott ... auf alle F�lle mu� die Seele eine Beziehungsm�glichkeit, eine Entsprechung zum Wesen Gottes in sich haben, sonst k�nnte ein Zusammenhang nie zustande kommen ... Man hat mir 'Vergottung der Seele' vorgeworfen. Nicht ich � Gott selber hat sie vergottet" (Bewu�tes und Unbewu�tes, 1982, 61 ff).

Von C. G. Jung und fern�stlicher Spiritualit�t sind mehrere Denker beeinflusst, die am Ende des 20. Jahrhunderts pantheistische Elemente in ihre Systeme �bernehmen oder sich ganz diesem Denken �ffnen, so z.B. Pierre Teilhard de Chardin (Evolution), Fritjof Capra (New Age) und Eugen >Drewermann (Tiefenpsychologie). Teilhard de Chardins "Bekenntnis" lautet: "Ich glaube, da� das Universum eine Evolution ist. Ich glaube, da� die Evolution auf den Geist hingeht. Ich glaube, da� der Geist sich im Personalen vollendet. Ich glaube, da� das h�chste Personale der Christus-Universalis ist." Capra bezeichnet Gott als die "Selbstorganisations-Dynamik des gesamten Kosmos" (Wendezeit, 1987, 324), und Drewermann kann � neben einem durchaus personalen Gottesverst�ndnis � gleichzeitig von Gott als demjenigen reden, "das sich in der Welt und mit der Welt selber entfaltet" (Worum es eigentlich geht, 1992, 310).

Kritik: Arthur Schopenhauer nannte den P. treffend "h�flichen Atheismus". Dies trifft eindeutig auf den absoluten P. zu, aber in letzter Konsequenz auch auf die modifizierten Formen. Denn wenn Gott die Welt und (fast) nichts als die Welt sein soll oder wenn sich die Welt selber zu Gott entwickelt, dann h�rt Gott auf, Gott im Sinne dessen zu sein, was man gew�hnlich unter "Gott" versteht: n�mlich der Sch�pfer und Herr der Welt, der die Welt aus dem Nichts erschuf � an nichts ankn�pfend als an seine eigene Liebe. Gewiss kann man argumentieren, dass dieses Gottesverst�ndnis vom j�disch-christlichen Glauben gepr�gt ist � und das mit Recht. Wenn nun aber pantheistische oder dem P. nahestehende Denker ihre "Urkraft" oder "Substanz" ebenfalls als "Gott" bezeichnen, dann t�uschen sie den Leser dar�ber hinweg, dass sie etwas v�llig anderes damit meinen, als das, was "Gott" im abendl�ndischen Kulturbereich per definitionem bedeutet. Dann verschleiern sie ihren Atheismus durch den Missbrauch klar festgelegter Begriffe.

Der Unterschied zwischen P. und Atheismus liegt lediglich darin, dass der P. der Welt religi�se Attribute (z.B. "Gott") beilegt, w�hrend der Atheismus darauf verzichtet. Wie der Atheismus ist der P. nicht in der Lage, den Menschen in seiner Personalit�t und Erl�sungsbed�rftigkeit ernst zu nehmen. In einem unpers�nlichen Universum ohne pers�nlichen Gott gibt es keine Freiheit, Liebe und Gnade, sondern nur den blinden Willen des ehernen Schicksals. Zur christlichen Antwort auf den P. gilt das Gleiche wie das zum Atheismus Gesagte (vgl. auch Gottesbeweise}.

Lit: N. L. Geisler, Christian Apologetics, 1992,173-192; ders.. Wenn Skeptiker fragen, 1996, 55-62.

Lothar Gassmann


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2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines �kumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
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