Der Sache nach ist der Idealismus die älteste Richtung abendländischer Philosophie und bildet gerade den für die Neuzeit charakteristischen philosophischen Denkansatz, wobei der Ausdruck Idealismus eine Schöpfung des 17. Jahrhunderts ist.
Der Idealismus geht von der philosophischen Annahme aus, dass allen Dingen unserer Welt nur eine scheinbar selbständige Existenz zukommt, so dass nicht das Wahrnehmbare, sondern die dahinter stehenden Ideen die Welt konstituieren. Grundbedingung allen Seins ist nicht der Stoff, sondern der Geist, die Seele, der Wille. Daneben gibt es einen weiteren, weniger präzisen Sinn von Idealismus, wonach alles Denken das Wirkliche seinem Wesen nach als geistiger Natur ansieht, wobei dann auch von Spiritualismus zu sprechen ist. Sind auch rein idealistische Lehren in der Geistesgeschichte durchaus selten, so begegnen idealistische Motive bei vielen Denkern. Den Gegensatz zum Idealismus bildet nicht der Rationalismus, sondern der Realismus.
Ist der Idealismus auch im Einzelnen stark unterschiedlich, so weist er doch drei Gemeinsamkeiten auf:
Der Idealismus in all seinen Formen geht auf die Ideenlehre Platons (427-347 v. Chr.) zurück. Über die wechselnden Erscheinungen der gegenständlichen Welt hinausgehend, fragte er nach deren unveränderlichem Wesen, nach deren "Ideen". Nicht die Erscheinungen der sinnlichen Wahrnehmung sind die letzte Realität, sondern nur die ursprünglichen Ideen. Deshalb ist die Idee die Wirklichkeit, nicht das vergängliche Einzelobjekt. In seinem bekannten Höhlengleichnis hat Platon dies zu veranschaulichen versucht. Es besagt: Nicht die Schatten, die gesehen werden, sind das Eigentliche, sondern die Gegenstände, die vorbei getragen werden. Platons Anschauung, für die das Reich der Ideen wesentlich ist, wurde von Plotin (um 204-270 n. Chr.), dem Begründer des Neuplatonismus, aufgenommen und weiterentwickelt. Der Neuplatonismus hat das Christentum ab dem 3. Jahrhundert nicht unbeeinflusst gelassen.
Im Mittelalter gab es eine ausführliche Diskussion darüber, wie die Ideen zu deuten sind: als den Dingen voraus liegende Wirklichkeit, als Prinzip des Seins in den Dingen oder nur als nachträgliche sprachliche Bezeichnung für die Dinge. Somit stand der Ideenrealismus gegen den Nominalismus. Durch die Umformung des Platonismus während des Mittelalters in den Ideenrealismus ist der Platonismus zur Grundlage des Idealismus in der Neuzeit, insbesondere des deutschen Idealismus geworden.
Eine Voraussetzung des Deutschen Idealismus ist die erstmals von Descartes durchgeführte Spaltung der Wirklichkeit in Subjekt und Objekt, deren Verhältnisbestimmung zueinander die Aufgabe der Philosophie wird. Auch wenn Immanuel Kant (1724-1804) nicht dem Deutschen Idealismus direkt zugerechnet werden kann, kann er doch als dessen Wegbereiter angesehen werden, da seine Philosophie der transzendentalen Reflexion den Anknüpfungspunkt des Deutschen Idealismus bildet.
Ist auch der deutsche Begriff Idealismus auf verschiedene Philosophien angewandt worden, so wird er doch vor allem mit der Epoche, die Deutscher Idealismus genannt wird, in Verbindung gebracht. In der Dichtung wurde er am reinsten durch Friedrich Schiller (1759-1805), in der Philosophie durch Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) und Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770-1831) vertreten. Trotz aller auch im Deutschen Idealismus auftretenden Unterschiede ist ein wesentliches Kennzeichen, dass beim Selbstbewusstsein des Menschen eingesetzt wird, von wo aus die Wirklichkeit konstruiert wird. Wird auch der Begriff des deutschen Idealismus (auch spekulativer Idealismus genannt) als Bezeichnung für das Denken Fichtes, Schellings und Hegels verwendet, so kann der Begriff auch in dem Sinne Anwendung finden, indem er auf Zeitgenossen, die von diesem Denken beeinflusst sind, ausgeweitet wird, etwa, Herder, Goethe, Schiller, Hölderlin, Schleiermacher, W. v. Humboldt. Der Deutsche Idealismus, der in engem Kontakt mit der Universität steht, hat demnach eine solch breite Wirkung entfaltet, die in der Geschichte einmalig ist und so das Denken seiner Zeit und weit darüber hinaus beherrscht.
Mittelpunkt der Philosophie des Deutschen Idealismus ist zunächst Jena, wo Fichte, Hegel und Schelling lehren. Später, durch den Weggang von Hegel und Fichte und schließlich auch von Schelling nach Berlin verlagert sich der Mittelpunkt idealistischer Philosophie dorthin. Wesen idealistischer Philosophie ist die Form der Dialektik. Das Absolute kommt in die Endlichkeit herab, erfährt das Endliche in seiner Endlichkeit und überwindet sich damit selbst. So vollzieht sich die Vermittlung zwischen dem Absoluten und dem Endlichen, wobei, bei Hegel besonders auffällig, die christologischen Ursprünge deutlich werden.
Sowohl Fichte als auch Hegel und Schelling begannen als evangelische Theologen und haben sich auch bis an ihr Lebensende als Protestanten verstanden. Innerhalb des Protestantismus stellt ihre Philosophie den bisher umfassendsten Versuch dar, Glauben und Wissen in einen Ausgleich zu bringen. In ihren Vorstellungen nehmen trinitarische Spekulationen einen wichtigen Rang ein. Trotz der Ablehnung durch Kant werden Gottesbeweise wieder denkbar. Ein theologischer Versöhnungsbegriff steht hinter dem Begriff der Vermittlung. Die Geschichtsphilosophie wird heilsgeschichtlich konzipiert, wobei die Religionsgeschichte den Kern dieser bildet. Geschätzt wird das Johannesevangelium; der Apostel Johannes gilt für den Deutschen Idealismus als Symbol endgültiger Versöhnung von Philosophie und Religion.
Wie wirkungsvoll der Deutsche Idealismus war, zeigt sich daran, dass die Philosophiegeschichte nach ihm fast mit ihm identisch ist, bis weit ins 20. Jahrhundert hineinreicht und weit über den wissenschaftlichen Bereich hinausreicht. Hegel wurde für die Geschichte Preußens bedeutend. In ganz Europa, besonders ausgeprägt in Italien, bildeten sich Schulen, die die idealistische Tradition pflegten. Der Neukantianismus in Deutschland zeigte Berührungspunkte mit dem Deutschen Idealismus Im Neuhegelianismus hatte der Deutsche Idealismus direkte Nachwirkungen. Das historische Bewusstsein machte sich philosophisch erstmals im deutschen Idealismus bemerkbar. Für die Philosophie selbst bedeutete dies, dass die Philosophiegeschichte nicht mehr außerhalb der Philosophie steht, sondern selbst Teil dieser ist bzw. wird. Gegenwärtiges Philosophieren scheint, wie es ähnlich auch für die Theologie gilt, eine historisch orientierte Disziplin geworden zu sein und sich fast in der Philosophiegeschichte zu erschöpfen, ohne die Kraft zu haben, neue Ideen vertreten zu können, oder ist von der Soziologie abgelöst.
Die Entwicklung der Geisteswissenschaften ist ohne den Deutschen Idealismus nicht denkbar. Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss des Deutschen Idealismus auf die evangelische Theologie. Kirchliche Kreise, vor allem die >Liberale Theologie (Ferdinand Christian Baur, Tübinger Schule) standen ihm positiv gegenüber und ließen sich von ihm befruchten, aber auch theologisch konservative Ausrichtungen (Erlanger Theologie, Erweckungsbewegung) waren nicht frei davon. Und im ausgehenden 20. Jahrhundert ist Wolfhart Pannenbergs "Systematische Theologie" (3 Bände, 1988-1993) nicht ohne die Philosophie des Deutschen Idealismus denkbar und vor allem in Anlehnung an Hegels Denken entworfen. Seine historischen Wirkungen übte der Deutsche Idealismus vor allem durch die Philosophie Hegels aus, während Fichte und Schelling nicht diese Bedeutung gewinnen konnten.
Die stärkste Wirkung des Idealismus aber konnte die Kritik, die er herausforderte und die sich ihm doch im Ansatz verpflichtet fühlte, erreichen. So ist für das Denken Feuerbachs, Kierkegaards, Nietzsches, Diltheys, Heideggers bis hin zu Marx und der neomarxistischen Frankfurter Schule (vor allem Adorno, Horkheimer) der Deutsche Idealismus die notwendige Voraussetzung — und sei es auch nur, wie bei der Frankfurter Schule, dessen Ablehnung (Kommunismus, Neomarxismus). Nach Hegel schlug der Idealismus im linken Flügel seiner Schule in den Materialismus von Ludwig Feuerbach (1804-1877) und von Karl Marx (1818-1883) durch den konsequenten Materialismus um, wobei vor allem die Auseinandersetzung Marx’s mit dem idealistischen Denken Folgen zeitigte, die weltgeschichtliches Ausmaß annahmen. Marx gab vor, Hegel "vom Kopf auf die Füße" zu stellen. Nicht der Geist, nicht Ideen, sondern die Materie bestimmen nach Marx die Welt- und Lebensgeschichte. Nach Friedrich Nietzsche (1844-1900) und Siegmund Freud (1856-1939) sind es die Triebe, die für die Welt- und Lebensgeschichte bestimmend sind.
Kritik erwuchs dem Idealismus sowohl vom Realismus als auch von den immer beherrschender werdenden Naturwissenschaften, deren Kritik immer mehr an Einfluss gewann. Das die Naturwissenschaften im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts leitende geschlossene Weltbild vermochte hinter den Dingen keine Ideen zu erkennen. Aber nicht allein naturwissenschaftliche und philosophische Kritik, sondern auch theologische Kritik und Anfragen sind an den Idealismus zu stellen, der meist vorbehaltlose und kritiklose Zustimmung oder voreilige Ablehnung erfuhr. Dem Vorwurf, der immer wieder erhoben wird, der Deutsche Idealismus sei pantheistisch (Pantheismus), wird zwar entgegengehalten, dieser Vorwurf lasse sich aus den Texten nicht erhärten, enthält jedoch mehr als einen Funken Wahrheit, ebenso der, der Deutsche Idealismus vertrete eine Vernunftreligion, in der Gott mit dem Sittengesetz zusammenfalle; denn der Mensch kann nicht aufgrund sittlicher Autonomie sein eigener Gesetzgeber sein. Ethik ist nicht vom Menschen, sondern von Gott aus zu begründen. Der vom Deutschen Idealismus postulierte Geist ist nicht dasselbe wie der Heilige Geist der Bibel. Der Geist des Menschen ist durch die Sünde von Gott getrennt. Deshalb sind sowohl die Konzeption Fichtes und Hegels als auch die Versenkung in die eigene Natur bei Schelling kein Weg zum Heil. Kein Mensch trägt die Erlösung in sich, sondern bedarf der Erlösung, die von außen kommt durch Christus für Geist, Seele und Leib. Gottesverständnis der Bibel und Ideenbegriff des Idealismus sind nicht dasselbe, da Gott nicht Idee, sondern persönliches Gegenüber als Schöpfer und Erlöser ist. Fremd ist dem Schöpfungsglauben der Bibel die Trennung von "Geist" und Natur, welchen der Idealismus, aber auch die Liberale und Dialektische Theologie vollziehen.
Zu Recht hat Martin Kähler (1835-1912) vor einer unkritischen Anwendung idealistischer Begriffe in der Theologie gewarnt. Denn trotz möglicher vorhandener formaler Parallelen zwischen idealistischem Weltbild und christlichem Glauben bestehen fundamentale Unterschiede. Das Denksystem Hegels kann nicht leitend für eine "Systematische Theologie" sein, wie dies etwa bei Wolfhart Pannenberg geschieht. Einer Überlegung wert scheint die Nachprüfung, ob nicht idealistische Gedanken im New Age aufgenommen und transformiert wurden, da das New Age von einer Beseelung alles Seienden ausgeht.
Lit.: A. Gehlen, Wirklichkeitsbegriff des Idealismus. Blätter für deutsche Philosophie, 7, 1933, S. 379-391; E. Hirsch, Die idealistische Philosophie und das Christentum, 1926; H. Lamparter, Prüfet die Geister. Philosophen und Denker von Kant bis Bloch, 6. A. 1976 (1. A. 1961); K. Löwith, Von Hegel bis Nietzsche, 1941; W. Lütgert, Die Religion des deutschen Idealismus und ihr Ende, Bd. 3: Höhe und Niedergang des Idealismus, 1926; Bd. 4: Das Ende des Idealismus im Zeitalter Bismarcks, 1930; A. Schlatter, Die philosophische Arbeit seit Cartesius, 5. A. 1981
Walter Rominger
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9. Kleines Esoterik-Handbuch
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