Papsttum

Klick auf den Kompass öffnet den IndexA. Katholisches Selbstverständnis des Papsttums

Der Papst (griech./lat. papa = Vater) ist der Bischof von Rom und zugleich das Oberhaupt der Katholischen Kirche (KK). Ihm eignet die Fülle des Heiligen Geistes, die höchste Priester-, Lehr- und Leitungsgewalt. Deshalb führt er Bezeichnungen wie "Summus Pontifex" ("Oberster Priester"), "Catholicae Ecclesiae Episcopus" ("Bischof der KK") oder "Sanctitas Sua" ("Seine Heiligkeit"). Begründet wird dieser Anspruch mit den Stellen Mt 16,18f., Lk 22,31f. und Joh 21,15ff., obwohl in der Bibel — wie noch darzustellen sein wird — nichts von einem Nachfolger des Apostels Petrus als Bischof von Rom steht. So hieß es in einem Brief Papst Leos IX. an den konstantinopolitanischen Patriarchen Michael Kerullarios aus dem Jahre 1053, kurz vor dem Schisma zwischen Konstantinopel und Rom:

"Die heilige Kirche ist gebaut auf den Fels, d.h. Christus, und auf Petrus oder Kephas, den Sohn des Johannes, der früher Simon hieß, auf den Fels, der von den Pforten der Hölle, nämlich von den Angriffen der Irrgläubigen, die eitle Menschen zum Verderben führen, nicht überwunden wird. So verspricht es die Wahrheit selbst, durch die wahr ist, was immer wahr ist: 'Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen` (Mt 16,18) Und die Erfüllung dieser Verheißung hat der Sohn vom Vater erfleht, wie er Petrus gegenüber versichert: 'Simon, siehe der Satan` usw. (Lk 22,31). Sollte also einer so verblendet sein und das Gebet dessen, bei dem Wollen Können ist, irgendwie für nutzlos halten? Sind nicht von dem Stuhl des Apostelfürsten, d.h. von der römischen Kirche, durch Petrus selbst sowohl wie auch durch seine Nachfolger, die Behauptungen aller Irrlehrer zurückgewiesen, widerlegt und niedergeworfen worden? Sind nicht die Herzen der Brüder gestärkt worden im Glauben Petri, der bisher nie wankte noch je wanken wird?" (Neuner-Roos, Der Glaube der Kirche, Nr. 428).

Die älteste kirchenamtliche Erklärung über den Vorrang des Bischofs von Rom sowie die Sukzession des Petrusamtes wurde im Jahre 431 auf dem Konzil von Ephesus abgegeben:

"Niemand bezweifelt, denn es ist allen Zeiten bekannt, dass der heilige und seligste Petrus, der Fürst und das Haupt der Apostel, die Säule des Glaubens, die Grundfeste der KK, von unserem Herrn Jesus Christus, dem Heiland und Erlöser des Menschengeschlechtes, die Schlüssel des Reiches empfing. Und er lebt bis auf diese Zeit und immerdar in seinen Nachfolgern, den Bischöfen des Heiligen Römischen Stuhls, der von ihm selbst gegründet und mit seinem Blut geweiht ist. Da führt er den Vorsitz und übt das Richteramt aus" (Neuner-Roos Nr. 441).

Das 1. Vatikanische Konzil belegt jeden mit dem Ausschluss, der dies nicht annimmt:

"Wer also behauptet: nicht aufgrund der Einsetzung von Christus dem Herrn selber, d.h. aufgrund göttlichen Rechts habe der heilige Petrus seine beständigen Nachfolger im Vorrang über die gesamte Kirche, oder: der Bischof von Rom sei nicht der Nachfolger Petri in diesem Vorrang, der sei ausgeschlossen" (Neuner-Roos Nr. 443).

Die Bulle "Unam sanctam" von Papst Bonifaz VIII. aus dem Jahre 1302 erklärte die Unterwerfung unter den Papst für heilsnotwendig:

"Dem römischen Papst sich zu unterwerfen, ist für alle Menschen unbedingt zum Heile notwendig: Das erklären, behaupten, bestimmen und verkünden Wir" (Neuner-Roos Nr. 430).

Der päpstliche Primat wurde in klassischer Weise auf dem Konzil von Florenz im Jahre 1439 definiert:

"Wir bestimmen, dass der Heilige Apostolische Stuhl und der römische Bischof den Vorrang über den ganzen Erdkreis innehat, weiter, dass dieser römische Bischof Nachfolger des heiligen Petrus, des Apostelfürsten, wahrer Stellvertreter Christi, Haupt der gesamten Kirche und Vater und Lehrer aller Christen ist; dass ihm im heiligen Petrus die volle Gewalt, die ganze Kirche zu weiden, zu regieren und zu verwalten von unserem Herrn Jesus Christus übergeben ist" (Neuner-Roos Nr. 434).

Der Papst übt die höchste Priester-, Leitungs-, Lehr- und Rechtsprechungsgewalt aus. Die Priestergewalt kommt ihm gemeinsam mit den Priestern und Bischöfen zu, die Leitungs- und Lehrgewalt gemeinsam mit den Bischöfen, aber unter seiner Oberleitung, die Rechtsprechungsgewalt besitzt er allein. Schranken für letztere sind nur die durch das kirchliche Lehramt bereits festgestellten und unwiderruflichen Dogmen sowie das göttliche Kirchenrecht. Die Jurisdiktionsgewalt des Papstes bezieht sich sowohl auf Fragen des Glaubens und der Sitte als auch auf die Leitung und Ordnung der Gesamtkirche, also Verwaltung, Gesetzgebung und Rechtsprechung. Darüber hinaus gilt der Papst als oberster Richter aller Gläubigen. Seine Jurisdiktionsgewalt ist unabhängig vom weltlichen Recht und seinen Trägern, vielmehr können sich diese (z.B. Staatsoberhäupter) nach katholischem Rechtsverständnis an ihn wenden und sein Urteil erbitten, was heute freilich selten geschieht.

Im "Ersten Lehrentscheid über die Kirche Christi" des 1. Vatikanischen Konzils wurden die einzelnen Vollmachten des Papstes ausführlich definiert, insbesondere die Leitungs-, Lehr- und Rechtsprechungsgewalt und — neu — die päpstliche Unfehlbarkeit. So heisst es u.a.:

"Die römische Kirche besitzt nach der Anordnung des Herrn den Vorrang der ordentlichen Gewalt über alle anderen Kirchen. Diese Gewalt der Rechtsbefugnis des römischen Bischofs, die wirklichen bischöflichen Charakter hat, ist unmittelbar. Ihr gegenüber sind Hirten und Gläubige jeglichen Ritus und Rangs, einzeln sowohl wie in ihrer Gesamtheit, zur Pflicht hierarchischer Unterordnung und wahren Gehorsams gehalten, nicht allein in Sachen des Glaubens und der Sitten, sondern auch der Ordnung und Regierung der über den ganzen Erdkreis verbreiteten Kirche ... Der römische Bischof ist der oberste Richter aller Gläubigen, und man kann in allen Streitsachen, die kirchlicher Untersuchung zustehen, an dieses Gericht Berufung einlegen. Über das Urteil des Apostolischen Stuhls jedoch darf niemand aufs neue verhandeln, da es keine höhere Amtsgewalt gibt, und niemandem ist es erlaubt, über dieses Gericht zu richten" (Neuner-Roos Nr. 445.447).

Neu kam auf dem 1. Vatikanischen Konzil das Dogma von der "päpstlichen Unfehlbarkeit" hinzu. Es wurde ganz offensichtlich als papalistische Gegenreaktion auf den schwindenden politischen Einfluss des Vatikans formuliert, seit 1859 der italienische Einheitsstaat im Entstehen war und die Kurie zunehmend in ihren Rechten beschnitt. Wenige Wochen nach der Verkündigung des Unfehlbarkeitsdogmas am 18. Juli 1870 ging denn auch der Kirchenstaat unter (am 20. September 1870). Papst Pius IX. hatte dieses Dogma gegen den Willen einer Minderheit von Bischöfen und katholischen Hochschulprofessoren durchgedrückt. Ein Teil von diesen gründete daraufhin die Altkatholische Kirche. Das Dogma lautet:

"Wenn der römische Bischof in höchster Lehrgewalt (ex cathedra) spricht, das heisst, wenn er seines Amts als Hirt und Lehrer aller Christen waltend in höchster, apostolischer Amtsgewalt endgültig entscheidet, eine Lehre über Glauben oder Sitten sei von der ganzen Kirche festzuhalten, so besitzt er aufgrund des göttlichen Beistandes, der ihm im heiligen Petrus verheißen ist, jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei endgültigen Entscheidungen in Glaubens- und Sittenlehren ausgerüstet haben wollte. Diese endgültigen Entscheidungen des römischen Bischofs sind daher aus sich und nicht aufgrund der Zustimmung der Kirche unabänderlich. Wenn sich jemand — was Gott verhüte — herausnehmen sollte, dieser unserer endgültigen Entscheidung zu widersprechen, so sei er ausgeschlossen" (Neuner-Roos Nr. 454).

Auf dem 2. Vatikanischen Konzil wurde zwar das Bischofskollegium gegenüber dem Papst aufgewertet, blieb aber doch dem Primat des Papstes unterstellt:

"Das Bischofskollegium ist Nachfolger des Apostelkollegiums, es hat, zusammen mit dem Papst, dieselbe Vollmacht wie der Nachfolger Petri. Diese Vollmacht wird deshalb nicht vom Papst erteilt. Dennoch ist der Papst mitkonstituierendes Glied des Bischofskollegiums, und zwar so, dass ohne ihn das Bischofskollegium seine Vollmacht verliert" (Neuner-Roos S. 310).

Im einzelnen wurde beschlossen:

"Die Ordnung der Bischöfe, die dem Kollegium der Apostel im Lehr- und Hirtenamt nachfolgt, ja, in welcher die Körperschaft der Apostel immerfort weiterbesteht, ist gemeinsam mit ihrem Haupt, dem Bischof von Rom, und niemals ohne dieses Haupt, gleichfalls Träger der höchsten und vollen Gewalt über die ganze Kirche. Diese Gewalt kann nur unter Zustimmung des Bischofs von Rom ausgeübt werden. Der Herr hat allein Simon zum Fels und Schlüsselträger der Kirche bestellt (vgl. Mt 16,18-19) und ihn als Hirten seiner ganzen Herde eingesetzt (vgl. Joh 21,15ff). Es steht aber fest, dass jenes Binde- und Löseamt, welches dem Petrus verliehen wurde (Mt 16,19), auch dem mit seinem Haupt verbundenen Apostelkollegium zugeteilt worden ist (Mt 18,18; 28,16-20)" (Lumen Gentium 22; s. Neuner-Roos Nr. 456).

Im Blick auf die Unfehlbarkeit wird definiert:

"Die einzelnen Bischöfe besitzen zwar nicht den Vorzug der Unfehlbarkeit. Wenn sie aber, in der Welt räumlich getrennt, jedoch in Wahrung des Gemeinschaftsbandes untereinander und mit dem Nachfolger Petri, authentisch in Glaubens- und Sittensachen lehren und eine bestimmte Lehre übereinstimmend als endgültig verpflichtend vortragen, so verkündigen sie auf unfehlbare Weise die Lehre Christi. Dies ist noch offenkundiger der Fall, wenn sie auf einem ökumenischen Konzil vereint für die ganze Kirche Lehrer und Richter des Glaubens und der Sitten sind ... Die der Kirche verheißene Unfehlbarkeit ist auch in der Körperschaft der Bischöfe gegeben, wenn sie das oberste Lehramt zusammen mit dem Nachfolger Petri ausübt" ("Lumen Gentium" 25; s. Neuner-Roos Nr. 466).

Dass es fehlbare Entscheidungen des kirchlichen Lehramtes gab (und gibt), kann von der KK nicht bestritten werden. Man versucht sich zu behelfen, indem man ex-cathedra-Verlautbarungen von anderen kirchlichen Stellungnahmen unterscheidet und ein "Wachstum des Verständnisses" gegenüber manchen Verlautbarungen postuliert, die zunächst als fehlbar galten. Während gegenüber dogmatisierten Entscheidungen absoluter Glaubensgehorsam gefordert wird, solle man vorläufige Lehräußerungen positiv würdigen und sich aneignen. So heisst es in einem "Schreiben der Deutschen Bischöfe an alle, die von der Kirche mit der Glaubensverkündigung beauftragt sind" vom 22.9.1967:

"Dass der kirchlichen Lehrautorität bei der Ausübung ihres Amtes Irrtümer unterlaufen können und unterlaufen sind ... hat die Kirche immer gewusst, in ihrer Theologie auch gesagt und Verhaltensregeln für eine solche Situation entwickelt. Diese Irrtumsmöglichkeit bezieht sich nicht auf solche Lehrsätze, die durch eine feierliche Definition des Papstes oder des Allgemeinen Konzils oder durch das ordentliche Lehramt als mit absoluter Glaubenszustimmung zu umfassen verkündigt werden. Es ist auch geschichtlich unrichtig, zu behaupten, dass sich nachträglich in solchen Dogmen der Kirche ein Irrtum herausgestellt habe. Damit wird natürlich nicht bestritten, dass auch bei einem Dogma unter Aufrechterhaltung seines ursprünglichen Sinnes ein Wachstum seines Verständnisses unter Abgrenzung gegenüber vorher vielleicht mitlaufenden Missverständnissen immer möglich und immer notwendig ist ... Ernsthafte Bemühung, auch eine vorläufige Lehräußerung der Kirche positiv zu würdigen und sich anzueignen, gehört zur richtigen Glaubenshaltung eines Katholiken" (Neuner-Roos Nr. 468f.).

B. Historische Entstehung des Papsttums

Wie kam es dazu, daß der römische Bischof die Vorherrschaft (Primat) über die gesamte Christenheit beanspruchte? Dies hängt mit Rom als politischem Zentrum zusammen. Rom war ja das Zentrum der antiken Welt zur Zeit von Jesu Geburt und Wirken gewesen. Die römische Kirche ist in gewisser Weise die Fortsetzerin des Zentralismus des römischen Weltreiches — nur eben auf religiösem Gebiet.

Es wird behauptet, daß die beiden größten Märtyrer, Petrus und Paulus, in Rom gekreuzigt bzw. hingerichtet worden seien, aber das ist keineswegs historisch gesichert. In der Bibel findet sich nichts darüber.

Wie kam es dann zu diesem Zentralismus? Kaiser Konstantin hatte im 4. Jahrhundert nach Christus den Bischöfen den Status von Regierungsbeamten verliehen. Vier Hauptstätte wurden im Römischen Reich mit diesem Sonderstatus von Regierungsbeamten besonders geehrt: Rom, Konstantinopel, Alexandria und Antiochia. Die Bischöfe dieser Städte nannte man Patriarchen. Unter diesen hob sich der Bischof von Rom selber durch seine besonderen Verlautbarungen und durch seine Macht, da er ja im Zentrum des Römischen Reiches saß, immer stärker hervor. Und so führte dieser Aufstieg über bedeutende frühe Päpste zu immer größerem Einfluss, etwa durch römische Bischöfe wie Silvester (314 bis 335) und Leo I. (Leo der Große genannt, 440 bis 461). Leo I. war der erste, der den Anspruch des Bischofs von Rom auf den Primat als Nachfolger Petri durchsetzen konnte. Ein weiterer bedeutender römischer Bischof war später Gregor der Große (590 bis 604). In ihm sehen einige Historiker den ersten wirklichen Papst der Westkirche.

Ein besonderer Markstein war das Jahr 800, als Papst Leo III. auf den Kopf des Frankenkönigs Karl der Große eine goldene Krone setzte und diesen zum Kaiser des "wiederhergestellten christlichen Reichs" erklärte. Seither konnte im Westen niemand mehr als Kaiser anerkannt werden, wenn der Papst ihn nicht salbte bzw. ernannte und bestätigte. Im Mittelalter war das Papsttum auf dem Höhepunkt seiner weltlichen Macht, doch ging es geistlich und moralisch ständig bergab (blutige Kreuzzüge, Geldmacherei, Irrlehren, Ermordung Andersdenkender durch die Inquisition, sexuelle Ausschweifungen u.a.), was verschiedene Erneuerungsbewegungen bis hin zu den Reformatoren auf den Plan rief.

Hier stellt sich die Frage: Kommt im Neuen Testament Rom im Zusammenhang mit Petrus tatsächlich eine so zentrale Bedeutung zu? Es gibt zwar einen Brief an die Römer, aber dieser wird nicht an Petrus adressiert, sondern es werden 26 andere Personen erwähnt, die der Apostel Paulus in Römer 16 mit Namen grüßt. Petrus kommt im Römerbrief überhaupt nicht vor. In der Apostelgeschichte erscheint Rom als Ziel der Reise des gefangenen Apostels Paulus, da er sich auf den Kaiser berufen hatte. In 1. Petrus 5, 13 heißt es: "Es grüßen euch die Miterwählten aus Babylon und Markus, mein Sohn." Babylon sei ein verschlüsselter Name für Rom, was allerdings nicht gesichert ist. Aber selbst falls es so ist, so ist die Gleichsetzung von Rom mit Babylon kein Ruhmesblatt, sondern deutet auf den antichristlichen Charakter der damaligen römischen Kaiser hin. Vor allem aber ist es unmöglich, die apostolische Sukzession bis auf Petrus zurückzuführen, weil die ersten Päpste "völlig im Dunkeln leben". Die ersten Nachfolger von Petrus sind nicht wirklich bekannt. Gesicherte "Papstlisten" im Sinne einer ununterbrochenen Sukzessionskette von Petrus an lassen sich historisch nur durch Spekulation erstellen.

Dabei ist auch zu beachten, daß es in der Kirchengeschichte über 30 Gegenpäpste gab. Welcher Papst war nun der richtige? In den Jahren 1305 bis 1378 wählten sieben aufeinanderfolgende Päpste nicht Rom, sondern Avignon in Frankreich als ihre Residenz. James G. McCarthy betont zu Recht: "Das Papsttum, so wie wir es heute kennen, benötigte zu seiner Entwicklung Jahrhunderte" (Das Evangelium nach Rom, S. 281). Es war also am Anfang keineswegs so vorhanden wie heute. Insbesondere das anstößige dieses Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit wurde erst im 19. Jahrhundert festgelegt! Es war in den Jahrhunderten zuvor in dieser Form überhaupt noch nicht vorhanden (s.u.).

C. Biblische Beurteilung des Papsttums

Die Heilige Schrift macht uns deutlich, daß Simon Petrus tatsächlich eine herausragende Gestalt unter den Jüngern war. Man kann einige Beispiele hierzu nennen: Petrus war in der Regel der Sprecher der Apostel. Er trat immer wieder zu Jesus in eine besonders direkte Beziehung. Er ist es, der in den synoptischen Evangelien bei Apostellisten und Aufzählungen in der Regel zuerst genannt wird. Petrus war der Erste, der nach den Frauen das leere Grab betrachtete. Und Jesus wählte ihn als Hirten für das Volk aus. Auch der Apostel Paulus nennt Petrus in 1. Kor. 15, 5 als den ersten Zeugen der Auferstehung Christi. In der ersten Hälfte der Apostelgeschichte hält er die meisten größeren Reden. Neben Paulus ist er ebenso wichtig und vollbringt auch das erste Heilungswunder nach dem Pfingstereignis. Nicht Paulus ist der erste Heidenapostel, sondern Petrus, denn er erhält die Offenbarung als erster, daß das Evangelium auch für die Heiden bestimmt ist: Apg. 10, 9-48.

Es gibt weitere biblische Aussagen, die deutlich machen, daß Petrus eine besondere Rolle innerhalb des Jüngerkreises zukommt — etwa die Aufforderung des Herrn: "Simon, Simon, der Satan hat verlangt, daß er euch wie Weizen sieben darf! Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder!" (Lk. 22, 31f.). Im Johannesevangelium fragt der auferstandene Herr Petrus dreimal "Liebst du mich?". Als Petrus dies bejaht, erhält er schließlich den Auftrag: "Weide meine Lämmer! Weide meine Schafe!" (Joh 21,15 ff.). Besonders eindrücklich ist der Ausspruch Jesu Christi in Cäsarea Philippi nach dem Christusbekenntnis des Petrus:

"Selig bist du Simon, Sohn des Jona, denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart (nämlich dass Jesus der Christus ist), sondern mein Vater im Himmel! Ich aber sage dir, du bist Petrus (griech. petros) und auf diesen Felsen (griech. petra) werde ich meine Gemeinde bauen, und die Mächte der Unterwelt (Luther übersetzt: die Pforten der Hölle) werden sie nicht überwältigen! Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben. Was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein. Und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein" (Mt 16,17-19).

Hierzu gibt es sehr unterschiedliche Deutungen, je nach konfessionellem Hintergrund.

a. Petrus ist der Fels.

Diese vor allem von katholischen Theologen vertretene Deutung würde sich erklären aus dem griechischen Wortspiel "petros – petra". "Petros" (männlich), der Name, den Jesus seinem Jünger Simon gibt, bedeutet "Kieselstein", "beweglicher Stein", während "petra" (weiblich) den größeren Felsen, das Felsmassiv bezeichnet. Die katholische Deutung bezieht nun beide Worte — petros und petra — auf Petrus als Person und weitergehend auf die Institution des "Petrusamtes" oder "Papstamtes". Dies sei der Fels der Kirche. Es wird (z.B. bei A. Schreck, Christ und Katholik, S. 90 f.) so argumentiert, daß im Aramäischen für petros und petra wohl beide Male "Kepha" gestanden habe, dass dies also im Munde Jesu, der aramäisch gesprochen habe, beides Mal das gleiche Wort gewesen sei. Im griechisch abgefassten Matthäus-Evangelium sei nur deshalb ‘Petros’ und ‘Petra’ benutzt worden, weil es unangebracht gewesen wäre, Petrus einen weiblichen Namen zu geben. Und so habe der Autor des Evangeliums das Wort ‘Petra’ einfach in die maskuline Form ‘Petros’ umgeändert. Wenn der Fels dann auf die Person bezogen wird, heißt er ja nicht mehr Petra, sondern Petros. – Diese Argumentation ist allerdings, da sie auf das Aramäische ausweichen muss, spekulativ und nicht sehr überzeugend, denn es bleibt dabei immer noch offen, warum der griechische Schreiber des Evangeliums dies dann nicht eindeutiger ausgedrückt hat, was ohne Problem möglich gewesen wäre.

b. Viele evangelische Exegeten deuten "petra" daher auf Christus.

Petrus sei nur ein kleiner Fels, während die Gemeinde auf Jesus Christus als das wahre Felsenfundament gebaut werde. Diese Deutung befindet sich in Übereinstimmung mit vielen weiteren Stellen, die Jesus Christus als das Fundament, den Eckstein und den Felsen der Gemeinde bezeichnen (1. Kor 3,11; Eph 2,20; 1. Kor 10,4 u.a.). Dennoch lässt auch diese Erklärung die Frage offen, warum Jesus, wenn er dies gemeint hätte, an dieser Stelle nicht deutlicher auf sich selber als den Felsen hingewiesen hat. Grammatisch und vom Textzusammenhang her (Binde- und Lösegewalt des Petrus) läßt sich die Deutung auf die Petrus-Autorität nicht völlig ausschließen.

Eine weitere Deutungsmöglichkeit lautet ...

c. Der Felsen ist das Bekenntnis des Petrus.

Gemeint ist das Messiasbekenntnis, welches Petrus unmittelbar vorher abgegeben hat:

"Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn" (Mt 16,16).

In der Tat ist dieses Bekenntnis grundlegend für die Entstehung der christlichen Gemeinde. Überall, wo sich Menschen zu Jesus als dem Messias und Sohn Gottes bekennen, ist christliche Gemeinde vorhanden:

"Wer bekennt, dass Jesus Gottes Sohn ist, in dem bleibt Gott und er in Gott" (1. Joh 4,15).

Martin Luther und viele Kirchenväter (z.B. Augustin, Justin, Cyrill, Chrysostomos) haben diese Deutung bevorzugt. Dennoch kann auch dieser Lösungsversuch aus den unter b genannten Gründen nicht restlos befriedigen.

d. Jede der drei:

Für bedenkenswert halte ich daher die Idee von Alfred Kuen, davon auszugehen, ...

"daß jede der drei vorgeschlagenen Lösungen einen Teil der Wahrheit enthält".

Nach Kuen ist das Haus der Gemeinde ...

" gleichzeitig gebaut auf den Felsen Christus, sodann auf Petrus, den ersten Stein des Gebäudes, und auf das Bekenntnis, das er eben abgelegt hat und durch das er ja erst Petrus wurde. Petrus ist der erste, aber nicht der einzige auf den Felsen gelegte Stein, denn die Gemeinde ist auferbaut auf dem Grund der Apostel und Propheten" (Gemeinde nach Gottes Bauplan, Wuppertal 1975, S. 101f.).

Kuen hält somit durchaus am Primat des Petrus fest, betrachtet ihn aber als zeitgebunden und stellt ihn unter den umfassenderen Primat Jesu Christi:

"Welche Auslegung man auch annehme, so handelt es sich auf alle Fälle um einen zeitgebundenen Auftrag, der von Petrus in seinem Leben erfüllt wurde, und nicht um ein übertragbares Vorrecht" (ebd., S. 102).

Der Primat des Petrus zeigte sich etwa darin, welche Rolle er im Jüngerkreis einnahm, vor allem darin, dass er an Pfingsten der erste war, der – erfüllt vom Heiligen Geist – zahlreiche Menschen zum Glauben an Jesus Christus rief und damit die Gemeinde neu und umfassend konstituierte (Apg 2,14ff.). Zugleich spricht das Neue Testament immer wieder deutlich von den Fehlern und Mängeln des Petrus (z.B. in Mt 26,69ff.; Joh 18,10f.; Gal 2,11ff.). Eine apostolische Sukzession als Voraussetzung des Papsttums läßt sich aus Mt 16,18f. genauso wenig folgern wie die Annahme einer päpstlichen Unfehlbarkeit.

Auch der Verteidiger des katholischen Glaubens, Alan Schreck, betont, daß dies die entscheidende Frage ist: ob Petrus Nachfolger hatte. Schreck gibt zu, daß Christen hier uneins sind, und sagt:

"Das Neue Testament berichtet keine ausdrücklichen Anweisungen Jesu an die Apostel oder an Petrus, ihre Leitung und Autorität an andere weiterzugeben."

"Doch glauben Katholiken,"

sagt er weiter,

"daß Gott ein Muster für Leitung und Autorität in der Kirche grundgelegt hat und daß der Heilige Geist fortfährt, die Kirche gemäß diesem Grundmuster zu leiten. Und so geschah es tatsächlich in der frühen Kirche. Obwohl Jesus selbst nie ´Nachfolger der Apostel`, ´Bischöfe` und ´Diakone` erwähnt hat, berichten die späteren Schriften des Neuen Testamentes, daß das Amt des Bischofs und Diakons von den Christen anerkannt und akzeptiert war." (Schreck, S. 92 f.).

Schreck bezieht sich dabei auf die Pastoralbriefe. Diese lehren jedoch, dass ein Bischof einfach ein "Vorsteher" oder "Ältester" ist (Älteste). Bezüglich der Unübertragbarkeit der Funktion des Petrus betont der bekannte evangelische Exeget Theodor Zahn zu Mt 16:

Daß Pt (Petrus; L. G.) der Grundstein sein soll, an welchen Jesus den Weiterbau seiner Gemeinde anschließen will, bezeichnet eine geschichtliche Tatsache, welche ebenso wenig wiederholt, als rückgängig gemacht oder auf andere Personen übertragen werden kann. Da das Fundament eines Hauses nie bloß aus einem einzigen Stein, dem Grundstein, sondern aus einer Schicht gleichartiger Steine besteht, so wird auch die hier bildlich ausgedrückte Vorstellung von der einzigartigen Bedeutung des Pt für den gesamten Kirchenbau durch die anderwärts zu Tage tretende Vorstellung, daß die Apostel insgesamt und noch andere Personen außer ihnen mit einander das Fundament bilden, und daß Christus der Eckstein sei ... in keiner Weise beeinträchtigt ... Pt (ist) der erste Bekenner des Glaubens der Gemeinde gewesen ...welcher darum auch von dem Bauherrn in feierlicher Weise zum ersten Grundstein des ganzen Baus erklärt worden ist. Der zeitlich zweite oder tausendste Baustein kann niemals der erste oder ein erster Grundstein werden" (Th. Zahn, Das Evangelium des Matthäus, KNT, Leipzig, 3. Aufl. 1910, S. 552).

Aber selbst in kritischen ökumenischen Kommentaren werden heutzutage Zweifel an der klassischen katholischen Auslegung der Petrus-Stelle in Mt 16 geäußert. So schreibt der Protestant Ulrich Luz nach sorgfältiger Auslegung der Stelle in kaum zu übertreffender Deutlichkeit im "Evangelisch-Katholischen Kommentar (EKK)" zum Matthäusevangelium:

"Die Deutung von Mt 16,18 auf den römischen Primat ist eine neue Auslegung aus dem 3. Jh. (3. Jahrhundert: L. G.). Sie ist eine aufgrund ´geschichtliche (r) ... Erfahrungen des Glaubens` entstandene, spätere ´relecture der Schrift` (relecture = engl.: neue Lesung, Neuinterpretation; L. G.), oder etwas schärfer formuliert: eine ´nachträgliche Legitimierung` eines sich seit dem 3. Jh. herausbildenden römischen Führungsanspruchs. Es ist also m. E. nicht übertrieben, mit dem katholischen Dogmatiker W. Kasper von einer eigentlichen ´Legitimationskrise` des Papsttums zu sprechen. Da sie im ganzen in der Literatur recht vorsichtig umschrieben wird, ist man dankbar, wenn ein in seiner Kirche verwurzelter Dogmatiker sie so offen beim Namen nennt. Bleibt etwas anderes übrig, als auf einen Legitimierungsversuch des Papsttums aufgrund von Bibel und Tradition überhaupt zu verzichten? Kardinal Newman tat das mit den Worten, es sei nicht die Geschichte, sondern ´the Church`s use of History, in which the Catholic believes` (die kirchliche Deutung der Geschichte, an die der Katholik glaubt)" (U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus. Teilband 2: Mt 8-17, EKK, Zürich u.a. 1990, S. 475).

D. Unfehlbarkeit der Päpste?

Das 1870 definierte Unfehlbarkeitsdogma wurde in Abschnitt A zitiert. Hier geht es um die entscheidende Frage: Findet sich denn in der Heiligen Schrift eine Unfehlbarkeit des Apostels Petrus, der ja nach katholischem Verständnis der erste "Papst" gewesen sein soll? Die Antwort ist einfach: Im Neuen Testament findet sich Petrus zwar als großer Zeuge Jesu, aber sogleich auch als sehr fehlbarer und schwacher Mensch. Wir denken dabei an die bekannte Kontroverse zwischen Petrus und Paulus auf dem Apostelkonzil (Apg 15) sowie an die scharfe Zurechtweisung des Apostels Petrus durch den Apostel Paulus wegen der Heuchelei des Petrus bezüglich der Tischgemeinschaft mit Heidenchristen (Gal 2). Wir denken auch an den Berg der Verklärung Jesu, auf dem Petrus voreilig drei Hütten errichten wollte und ...

"nicht wusste, was er sagte" (Lk 9,33).

Wir denken insbesondere an die Verleugnung Jesu durch Petrus und daran, dass schon vorher Petrus die Kreuzigung Jesu verhindern wollte und Jesus ihn sogar mit "Weiche von mir, Satan!" anreden musste – und dies unmittelbar nach der Kennzeichnung des Petrus als "Felsenmann"! (Mt 16,13-22). Jesus antwortet ihm in diesem Zusammenhang ganz klar:

"Du bist mir ein Ärgernis; denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist" (Mt 16,23).

Also dies beleuchtet eindrücklich die menschliche Seite des Petrus bei all seinen Qualitäten, die er auch hatte.

Nun fragen wir einmal anders herum: von den dogmatischen Erklärungen her betrachtet, die unfehlbaren Charakter beanspruchen: Finden sich diese in der Heiligen Schrift? Oder stimmen sie wenigstens mit dem eindeutigen Zeugnis der Heiligen Schrift überein? Es sind bisher drei Dogmen, die mit unfehlbarem Anspruch des Papstes vorgetragen wurden:

Und nun nochmals die Frage: Sind diese drei Dogmen wirklich biblisch so begründet, daß sie unfehlbar sind?

Die Antwort ist eindeutig: Weder daß Maria in den Himmel gefahren sei, findet sich in der Heiligen Schrift, noch daß sie unbefleckt empfangen worden sei, noch das Petrus unfehlbar war (siehe ausführlicher: Marienverehrung). Von katholischer Seite wird behauptet, Petrus sei zwar in seinem Verhalten fehlbar gewesen, aber in seinen Lehren hätte er sich nicht geirrt. Aber dieses Argument lässt sich nicht halten, denn alle oben zitierten Stellen zeigen, dass sich sein Verhalten von seinen Auffassungen überhaupt nicht trennen lässt.

Wir betrachten jetzt, in welcher äußeren Atmosphäre das Unfehlbarkeitsdogma verkündet wurde. Hierzu einige eindrucksvolle Zitate aus dem Buch "Unfehlbare Päpste?" von Anton Schraner (Stein am Rhein 1974), welches eine Verteidigung der Unfehlbarkeit liefern möchte. Auf Seite 50 f. wird ein Augenzeugenbericht eines Korrespondenten der englischen Times wiedergegeben, der zeigt, wie die atmosphärische Stimmung bei der Verkündigung des Unfehlbarkeitsdogmas war:

"Der Sturm, der den ganzen Morgen schon drohte, brach nun mit äußerster Heftigkeit los, und er dürfte vielen abergläubischen Gemütern die Idee beigebracht haben, daß er ein Ausdruck göttlichen Zornes sei, wie er ´zweifellos von vielen Leuten aufgefaßt werden wird`, so sagte ein Offizier der Palastwache. Und so kämpften sich die ´placet` (ja) der Väter durch den Sturm, während der Donner darüberhin krachte und der Blitz bei jedem Fenster hereinzuckte durch den ganzen Dom und jede kleine Kuppel, die Aufmerksamkeit der Menge teilend, wenn nicht völlig absorbierend."

Dieses Unwetter ereignete sich am 18. Juli 1870 während der offiziellen Erklärung der Unfehlbarkeit. Schraner setzt den Augenzeugenbericht fort:

"´Placet` (ja) schrie seine Eminenz oder seine Gnaden, und ein lauter Donnerschlag folgte als Antwort, und dann flackerte der Blitz um den Baldachin und jeden Teil der Kirche und der Konzilshalle, als wollte er die Antwort weitertragen. So ging es fast eine Stunde und eine halbe fort, während welcher Zeit die Namenrolle ausgerufen wurde, und nie habe ich eine eindrucksvollere Szene geschaut. Wären alle Dekorateure und alle Aufmacher für Zeremonien in Rom in Dienst genommen worden, nichts, was an den feierlichen Glanz dieses Gewitters heranreichte, hätte vorbereitet werden können, und niemals werden die, welche es sahen und erlebten, die Verkündigung der Konstitution über die Kirche vergessen. Der Sturm war auf seiner Höhe, als das Ergebnis der Abstimmung dem Papste überbracht wurde, und die Finsternis war so groß, daß ein riesiger Leuchter gebracht und an seiner Seite aufgestellt werden mußte, als er die Worte verlas: ... ‘Wir definieren mit Zustimmung des Heiligen Konzils alles jenes, so wie es verlesen wurde, und bestätigen es kraft apostolischer Autorität!’ ... Und wieder ging der Blitz zickzack durch die Halle und der Donner rollte. Das Tedeum und der Segen folgten; die ganze Menge fiel auf ihre Knie und der Papst segnete sie mit dem klaren süßen Laut seiner Stimme, der unter Tausenden unterscheidbar ist."

Schraner (ebd.) gibt auch einen Bericht eines anderen Augenzeugen, des Bischofs Ullathorne, wieder:

"Blitze durchzuckten die Aula, der Donner rollte über dem Dach, und vom Sturm wurde das Glas in einem Fenster fast genau über dem päpstlichen Thron zerbrochen und fiel klirrend herunter. Nachdem die Stimmen abgegeben waren, gab der Papst sofort die Bestätigung und unmittelbar darauf gab es einen großen Jubel und Händeklatschen bei den Bischöfen und Freudenausbrüche im Schiff von St. Peter. Dann setzte das Tedeum ein, zu dem der Donner den Baß abgab ... Von den anwesenden Konzilsvätern hatten 533 Ja gestimmt und nur zwei Nein, die sich aber nach der Verkündigung durch den Papst sofort dem Urteil der Mehrheit unterwarfen."

Wir fragen uns: War dieses schreckliche Unwetter mit seiner Finsternis wirklich eine Bestätigung des Himmels, wie es von katholischer Seite gedeutet wurde – oder nicht vielmehr das Gegenteil?!

E. Das "Petrusamt" im ökumenischen Dialog

Wie wird das "Petrusamt" im ökumenischen Dialog eingeordnet? Zunächst wird anerkannt, daß Petrus wirklich eine zentrale Gestalt im Neuen Testament ist: Primus inter pares (Erster unter Gleichen) bei den Zwölf, derjenige, der das entscheidende Christusbekenntnis ablegt, der erste männliche Auferstehungszeuge nach den Frauen mit der Aufgabe, die Brüder zu stärken. Es wird auch gesehen, daß Petrus ein schwacher und fehlbarer Mensch war, der sogar mit Satan angesprochen werden konnte (s.o.).

In der für den ökumenischen Dialog bahnbrechenden Veröffentlichung "Ziel: Kirchengemeinschaft" (Paderborn, 2. Aufl. 1985) von Heinz Schütte wird der Apostel Petrus als

gekennzeichnet, aber auch festgestellt:

"Das Petrusbild trägt auch die Züge eines schwachen und sündigen Mannes" (S. 155 f.).

Das Petrusamt – so sagt auch Schütte (ebd.) – ist wie das Apostelamt allgemein etwas Einmaliges, Unwiederholbares, weil Apostel Augenzeugen Jesu Christi sein mussten (vgl. Apg 1,21 f.). Aber der Auftrag Christi, "die Versöhnung zu predigen, zu taufen, das heilige Abendmahl auszuteilen und damit den Hirtendienst an der Gemeinde zu tun", sei zugleich auch etwas "Überdauerndes". Und da müsse es Ämter oder Dienste geben, die das weitertragen. Insofern kann man natürlich fragen: Kann und soll und darf es ein Amt geben, das diese Hirten- und Leitungsfunktion und Einheitsfunktion übernimmt — eben das Petrusamt auch heute?

Manche sehnen sich nach einem Einheitsamt angesichts der Zersplitterung der Christenheit. Es hat etwas Faszinierendes, aber auch etwas Bedrohliches. Wenn nämlich dieses Amt falsche Lehren definiert und dogmatisiert (wie im Katholizismus vielfach geschehen; s. Sonderlehren), dann werden diese allgemein verbindlich, dann gibt es keine Alternative dazu. Und das ist sicherlich eine große Gefahr.

Es wird im katholisch-evangelischen Dialog insbesondere von evangelischer Seite vorgeschlagen, eine Entflechtung vorzunehmen von Petrusdienst und Patriarchenamt. Der Bischof von Rom soll als Patriarch nicht über den anderen Patriarchen oder Bischöfen stehen, sondern — wie besonders auch die Orthodoxe Kirche betont — primus inter pares sein, Erster unter Gleichen. Die Patriarchen des Ostens und anderer Kirchen sollen gleichberechtigt neben dem Papst stehen dürfen. Die Zentralisierung solle abgewehrt werden. Ferner solle es zwar ein Einheitsamt geben, aber nicht im Sinne eines Herrschen-Wollens. Das Einheitsamt solle ein Dienst an der Gemeinde und an der Einheit sein.

Sicherlich beteuert der Papst, dass er "nur ein Diener Christi" sei, aber faktisch ist er auch heute – wie bereits aufgezeigt wurde — mit sehr vielen Machtbefugnissen ausgestattet. Der Papst – so der Wunsch im ökumenischen Gespräch — könnte ja heute Wächter des wahren Glaubens sein, er könnte die Gemeinden im Glauben stärken als Hirte und Seelsorger und auch in der Lehrfrage durchaus Dinge benennen, aber es solle eben so sein, daß dies nicht in einer monarchistischen Weise ausgeübt wird. Und deshalb sind laut Schütte (S. 160) drei Prinzipien notwendig: Bischöfliche Kollegialität, Subsidiarität und Einheit in Freiheit.

Bischöfliche Kollegialität hat das Zweite Vatikanum herzustellen versucht, indem der Papst ein wenig weniger Macht bekam als im Ersten Vatikanum, indem die Bischöfe ihm zur Seite stehen sollen, aber trotzdem ihm untergeordnet bleiben in ihren Entscheidungen (s. unter A).

Subsidiarität bedeutet im Staatswesen, daß eine höhere Stelle erst dann eingreifen darf, wenn Dinge von den untergeordneten Stellen nicht geklärt werden können. Zum Beispiel: Was die Landesregierung machen kann, das muß die Bundesregierung nicht machen. Was die Ortsgemeinde tun kann, das muß die Diözese oder Landeskirche nicht tun. Was der einzelne Bischof regeln kann, das muss der Papst nicht regeln.

Und das Einheitsamt sollte mit der Freiheit verbunden sein. Hierzu schreibt Schütte:

"Entsprechend besteht das Anliegen nichtkatholischer Kirchen darin, daß das Petrusamt als Dienst an der Einheit und Freiheit verstanden und praktiziert werden möge" (S. 160).

Und von dem Katholiken Schütte wird mit einem Zitat des katholischen Exegeten Franz Mußner sogar ausgesagt:

"Es muß deshalb in der Kirche grundsätzlich die Möglichkeit der Kontestation (des widerstehenden Protestes; L.G.) gegen ‘Petrus’ (gemeint ist hier auch der Papst; L.G.) geben" (S. 161).

Nach ökumenischer Vorstellung muss also Einspruch erhoben werden können gegen Fehlentscheidungen des Papstes. Bei dieser gutgemeinten Forderung wird allerdings völlig übersehen, dass das Unfehlbarkeitsdogma des Papsttums ein unwiderrufliches Dogma ist. Insofern gelangt der ökumenische Dialog hier in eine Sackgasse, aus der man nur entrinnen könnte, wenn Rom das Unfehlbarkeitsdogma widerrufen würde, was aber per definitionem unmöglich ist!

Eine bemerkenswerte Formulierung findet sich diesbezüglich im lutherisch-katholischen Dialog in dem Dokument "Das Evangelium und die Kirche" aus dem Jahr 1973:

"Von lutherischer Seite wurde anerkannt, daß keine Ortskirche, weil sie Manifestation der Universalkirche ist, sich isolieren kann. In diesem Sinne wird die Wichtigkeit eines Dienstes an der Gemeinschaft der Kirchen gesehen und zugleich auf das Problem hingewiesen, welches durch das Fehlen eines solchen wirksamen Dienstes an der Einheit für die Lutheraner entsteht. Es wurde deshalb das Amt des Papstes als sichtbares Zeichen der Einheit der Kirchen nicht ausgeschlossen, soweit es durch theologische Reinterpretation und praktische Umstrukturierung dem Primat des Evangeliums untergeordnet wird" (zitiert bei Schütte, S. 164).

Dann wird aber schnell zugegeben:

"Theologisch ist hier noch vieles offen" (ebd., S. 166).

Mit anderen Worten: Das Einheitsamt des Papstes und der Primat des Papstes müssten sich dem Primat des Evangeliums bzw. der Heiligen Schrift unterordnen. Das ist aber vom Selbstverständnis der Römisch-Katholischen Kirche her unmöglich, da sie sich durch schriftwidrige Dogmen bereits viel zu weit von der Heiligen Schrift entfernt hat (s.o.; s. Schrift, Tradition und Lehramt; Sonderlehren).

F. Fazit

Bezüglich der Frage, ob es überhaupt ein Einheitsamt des Papstes gibt und ob das Petrusamt übertragbar ist, sind wir zur Ansicht gelangt, dass der Dienst des Petrus eine einzigartige Sache war und dass das Papsttum in seiner heutigen Gestalt kirchenhistorisch gewachsen ist aufgrund staatspolitischer Einflussnahme, von Konstantin angefangen. Jesus Christus spricht:

"Einer ist euer Meister, ihr aber seid alle Brüder! Ihr sollt niemanden Vater (lat. papa = Papst) heißen auf Erden; denn einer ist euer Vater, der im Himmel ist" (Mt 23,8 f.).

Wenn sich ein Mensch an die Stelle Christi setzt, kann er natürlich behaupten, er sei jetzt dieser Meister oder gar Vater, aber das ist faktisch eine Usurpation, eine Bemächtigung der Stelle Jesu Christi. Und dieses ist, wie die Reformatoren zu Recht betont haben, antichristlich.

Lothar Gassmann


Index

Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handbüchern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):

1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines Ökumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch

Weitere Handbücher (über Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de