Die beiden Grundrichtungen des evangelischen Bekenntnisses sind das lutherische und das reformierte. Beide Bekenntnisse wurden durch verschiedene Persönlichkeiten geprägt. So war es neben Martin Luther vor allen Philipp Melanchthon (1497-1560), der das frühe Luthertum prägte. Die prägende Gestalt der in der Schweiz entstandenen Reformierten war Johannes Calvin (1509-1564). Allerdings war Calvin nur der Nachfolger des Schweizer Reformators Huldrych Zwingli (1484-1531). Mit Zwingli begann die Reformation in der Schweiz.
Huldrych Zwingli wurde 1506 Pfarrer in Glarus und Feldprediger, als der er 1512-1515 an Schlachten in Pavia, Novara und Marignano teilnahm. 1515 lernte er Erasmus von Rotterdam kennen und erstrebte nun die auch von ihm angemahnte Läuterung der Kirche. 1519 wurde Zwingli Priester am Großmünster in Zürich und begann, "das Evangelium Jesu Christi zu predigen". Großen Einfluss übte Martin Luthers Auftritt bei der Leipziger Disputation 1519 auf Zwinglis theologisches Denken aus. Immer schärfer wurden nun Zwinglis Angriffe auf die Strukturen und Lehren der Römisch-Katholischen Kirche. 1522 verfasste er seine Schrift "Vom Erkiesen und Freiheit der Speisen" mit scharfen Angriffen gegen gesetzliche Fastengebote. Nachdem Zwingli sich immer weiter vom katholischen Denken entfernt hatte, führte er gemeinsam mit dem Großen Rat des Stadtstaates Zürich die Reformation ein.
Aber anders als bei Luther war die Geisteshaltung Zwinglis stark vom Humanismus geprägt. Dies machte sein theologisches Denken in vieler Hinsicht rationalistisch. Er behandelte die Fragen des Glaubens mit kühler Vernunft, aber setzte die gewonnenen Erkenntnisse konsequent durch. Dies führte ihn allerdings auch dazu, Dinge, die dem Verstand schwer zugänglich sind, rein rationalistisch zu bewerten. Zwinglis Gottesbegriff entwickelte sich durch Erkenntnismethoden der Logik des Humanismus. Seine Welt- und Gottesvorstellung war stark systematisch geprägt. Das führte dazu, daß für Zwingli auch die Sünde in Gottes ursprünglichem Weltplan eingeordnet war. Letzte Konsequenz war dann seine extreme Erwählungslehre. Sein Abendmahlsverständnis ließ keinen Platz für Geheimnisse wie Luthers Realpräsenz. Das Abendmahl war für Zwingli nur ein Gedächtnis des Sterbens Jesu, während Luther die geheimnisvolle Realpräsenz Jesu darin zu erkennen lehrte. Zwingli selbst gehörte zum Stadtrat von Zürich und sah seinen Auftrag durchaus auch politisch. Im Gegensatz zu Zwingli hat sich Luther früh von den humanistischen Gedanken seiner Zeit getrennt. Er bezeichnete den im Humanismus zum Maß aller Dinge erkorenen menschlichen Verstand als die "Hure Vernunft". Luther ging von der Begrenztheit des sündigen Verstandes aus.
1529 versuchte man eine Einigung von lutherischer und Schweizer Reformation. Die Marburger Religionsgespräche fanden statt. Luther kam dem Schweizer Abendmahlsverständnis um der Einheit willen stark entgegen. Er wünschte nur noch die Feststellung der Gegenwart Christi im Abendmahl, ohne diese irgendwie zu präzisieren. Aber auch dazu war der scharf analytisch denkende Zwingli nicht bereit. Luther erkannte daraufhin die Schweizer und die etwas gemäßigteren Straßburger Reformierten nicht mehr als Brüder an. Er erklärte nach den Marburger Religionsgesprächen, daß die Reformierten einen "anderen Geist" hätten. Dieser unterschiedliche Ansatz ließ die Reformation in zwei getrennten Bahnen verlaufen.
Nachdem Zwingli in der Schlacht von Kappel, wo er als Feldprediger Dienst tat, gefallen war, wurde sein Werk von Johann Calvin fortgeführt.
Die Nachfolger Zwinglis bilden die Reformierte Kirche. Reformiertes Gedankengut prägt auch, meist in gemäßigter Form, die Theologie der angelsächsischen Freikirchen. Zum Reformierten Weltbund (RWB) (gegründet 1875) gehören heute mehr als 75 Millionen Christen aus über 100 Ländern. Der RWB ist eine Gemeinschaft von mehr als 215 kongregationalistischen, presbyterianischen, reformierten und unierten Kirchen, die ihre Wurzeln in der von Johannes Calvin, John Knox und anderen angeführten Reformation des 16. Jahrhunderts haben. Die zum RWB gehörenden Kirchen kommen aus 106 Ländern.
Viele der Reformierten Kirchen sind von der neuliberalen Theologie geprägt. Die meisten der Reformierten Kirchen gehören dem ÖRK an. Einige Altreformierte u.a. in Holland versuchen sich von der modernen Theologie fern zu halten. In Deutschland bilden die zur EKD gehörenden Reformierten den Bund Evangelisch-reformierter Kirchen Deutschlands.
S. ausführlicher: Reformatorisces Kirchenverständnis.
Literatur: J. Rogge, Der junge Luther. Der junge Zwingli, KGiE II3/ und 4, 1983; R. Wagner, Gemeinde Jesu zwischen Spaltungen und Ökumene, 2002.
Rainer Wagner
Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handbüchern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):
1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines Ökumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch
Weitere Handbücher (über Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de