Geschichtsverlust

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Wir leben heute nicht in einer bibelgl�ubigen und gottesf�rchtigen Gesellschaft, sondern haben seit dem Triumph der Aufkl�rungsphilosophie im 17. und 18. Jahrhundert einen enormen Geschichtsverlust erlebt.

1. Gotthold Ephraim >Lessing sprach vom "garstigen Graben" zwischen Glauben und Geschichte. Und er hat nicht nur einen Graben, sondern drei Gr�ben behauptet: einen chronologischen, einen metaphysischen und einen existentiellen Graben.

Ein Geschichtsverlust liegt deshalb vor � bedingt durch drei Gr�ben, die wir nicht �berspringen k�nnen. Lessing g�be alles daf�r, wenn ihm einer �ber diese Gr�ben helfen k�nnte, aber noch keiner hat es nach seiner Aussage geschafft.

2. In der Linie Lessings argumentierte Ernst Troeltsch . Auch er hatte seine Fragen an historische Dokumente und hat ja ma�geblich nach Semler die historisch-kritische Methode (Bibelkritik) ausgepr�gt, wie sie im wesentlichen heute noch so besteht. Troeltsch geh�rte zur Schule des >Historismus. Er war zun�chst Theologe und sp�ter Geschichtsphilosoph, hat also die Fakult�ten gewechselt, was mit seiner Biographie zusammenh�ngt. Troeltsch hat die drei Prinzipien Kritik, Analogie und Korrelation aufgestellt.

Was nicht geschehen kann, wird nach dieser Sicht aus unserer Nichtwahrnehmungsm�glichkeit geschlossen. Aber das ist ein Sprung �ber die Objektivit�t hinaus. Ist das, was wir nicht erkennen k�nnen, wirklich oder unwirklich? Ist es �berhaupt vorhanden oder liegt seine Nichterkennbarkeit an unserem begrenzten Denken und Verstand? Diese Fragen stellen sich. Ich w�rde sagen, dass unsere Erkenntnis verfinstert ist (vgl. R�m 1,19) und dass daher viel mehr m�glich ist als das, was wir wahrnehmen und denken k�nnen. "Die Geheimnisse Gottes zu erkennen, heisst ihn anzubeten" (Melanchthon).

3. Der dritte gro�e Denker, der zum Geschichtsverlust beigetragen hat, zumindest zur Nichterkennbarkeit der Geschichte, wie sie wirklich ist, war lange vor Troeltsch der K�nigsberger Philosoph Immanuel >Kant . F�r Kant demonstriert die biblische Geschichte nicht, wer und wie Gott ist, sondern sie illustriert nur, was wir auf vern�nftiger oder moralischer Grundlage schon von Gott denken und glauben. Das heisst, zuerst ist die Vernunft- und Moralreligion vorhanden, dann erst kommen die Folgerungen daraus, n�mlich die Postulate von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. Was in der Bibel als Geschichte beschrieben wird, gilt als Illustration des menschlichen Denkens. Kant vollzog eine konsequente S�kularisierung der Erkenntnistheorie. Durch ihn kam die Diastase (Trennung) zur Betonung zwischen Glauben und Wissen, welche das abendl�ndische Denken bis heute pr�gt. Kant hat das Wissen bis zur allerh�chsten Spitze getrieben. Er wollte "dem Glauben Platz machen", indem er behauptete, �ber Gott k�nnten wir nichts wissen, wir k�nnten nur an ihn glauben. Lediglich unser moralisches Empfinden und der gestirnte Himmel �ber uns deuten auf Gott hin. Kant wollte den Raum freimachen f�r den Glauben, aber f�r einen Glauben, der �ber der Geschichte "schwebt", der �bergeschichtlich ist. Kant war ja mit Kategorien der >platonischen Ideenlehre behaftet � und die Konsequenz ist der �berweltliche, nicht zu beweisende Gott. Konsequenterweise hat er sich stark gegen Gottesbeweise gewehrt, wie sie etwa Thomas von Aquin im Mittelalter vertreten und entfaltet hatte.

Kants Philosophie hat zu einem enormen Geschichtsverlust gef�hrt, der sich bis heute auswirkt. Er wollte eine Art �bersph�re dem Glauben und Gott sichern, die sich nicht in der Geschichte nachpr�fen und verifizieren l�sst. Gott ist praktisch etwas Sch�nes, das h�chstens noch im moralischen Gewissen wahrgenommen wird, aber er schwebt �ber unseren K�pfen, er geht nicht in die Geschichte hinein, so dass wir hier Spuren und Wirkungen wirklich wahrnehmen k�nnten. Von Kant stammt das bekannte Modell, das auch den jungen Karl Barth, den jungen Paul Althaus und andere gepr�gt hat: keine Heils- und Endgeschichte, sondern nur eine �bergeschichte.

In der Folge dieser philosophischen Weichenstellungen zog sich die Theologie immer weiter aus der Geschichte zur�ck. Daniel Friedrich Ernst >Schleiermacher etwa postulierte f�r die Gotteserfahrung die Provinz des Gef�hls im Sinne einer intuitiven und durchaus emotionalen Gotteserkenntnis im Anschauen und F�hlen des Universums. Albrecht Ritschl hat die Sittlichkeit, Vertreter der >Dialektischen Theologie haben "das Wort" als einzigen Zugang zu Gott betont. Gerade der junge Karl Barth postulierte nur die �bergeschichte, die nicht verifizierbar sei. Noch extremer betrieb >Rudolf Bultmann die Herausl�sung des Alten Testaments mit seinen vielen Geschichten aus der Entscheidungssph�re und die Reduktion eschatologischer Aussagen auf die eigene innere Existenzerfahrung des Menschen. Die Folge dieses Geschichtsverlustes war, dass die Heilsgeschichte v�llig in eine �bergeschichte, ja noch schlimmer: in eine blo�e "Innengeschichte" des Menschen �berging � eine Vorstellung, die am Ende des 20. Jahrhunderts in der ">tiefenpsychologischen Interpretation" biblischer Texte etwa durch Eugen >Drewermann eine weitere Steigerung erfuhr.

Es gab und gibt trotz dieses Geschichtsverlustes auch in j�ngerer Zeit noch Vertreter einer heils- und endgeschichtlichen Sicht, auch in der Universit�tstheologie, etwa Oskar Cullmann oder Missionstheologen wie Karl Hartenstein, Walter Freytag u.a. Diese stimmen trotz manchem Unterschied im Detail darin �berein, dass Gott einen Plan hat, der sich in wirklicher Geschichte in chronologischen Abl�ufen erf�llt, dass es echte Prophetie in der Bibel gibt, die uns diesen Plan enth�llt, und dass Jesus Christus im buchst�blichen Sinn wiederkommen und sein Reich errichten wird. Diese Sicht stimmt m.E. auch mit der Bibel �berein (Eschatologie, Heilsgeschichte).

Lit.: L. Gassmann, Was kommen wird. Eschatologie im 3. Jahrtausend, 2002.

Lothar Gassmann


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2. Kleines Kirchen-Handbuch
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5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
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