Semipelagianismus

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1. Definition:

Der Ausdruck selber begegnet erst am Beginn der Neuzeit im Jahre 1577. Faktisch jedoch wird unter Semipelagianismus (lat. etwa Halbpelagianismus) eine im 5. Jahrhundert n. Chr. vor allem in Frankreich aufkommende Lehre verstanden, die gegen Pelagius an der Erbs�nde festh�lt, aber gegen Augustinus in �bereinstimmung mit Pelagius die Freiheit der Glaubensentscheidung und das Heil f�r alle Menschen vertrat. Der Semipelagianismus versucht, in der Gnadenlehre eine Position zwischen Augustinus und Pelagius einzunehmen, wobei er faktisch ein Zusammenwirken zwischen Gott und Mensch zum Heil bedeutet (Synergismus).

2. Semipelagianismus in der Geschichte der Kirche

a. 4.-6. Jahrhundert:

Augustinus Pr�destinationslehre fand nicht durchweg Anerkennung. Einw�nde erfolgten vor allem aus dem s�dgallischen M�nchtum, da dieses einen Widerspruch zum m�nchischen Vollkommenheitsideal feststellte. Damit kam die Freiheit des menschlichen Willens bei der Frage nach dem Heil wieder ins Blickfeld. In den sp�ter sog. "semipelagianischen Streitigkeiten" wollten Augustinus` Gegner die Freiheit des Menschen bewahren und lehnten die doppelte Pr�destination ab. Johannes Cassius (360-430/35), ein Abt aus Marseille, versuchte einen Kompromiss, indem er die g�ttliche Gnade f�r das Wollen und Vollbringen vertrat, gleichzeitig aber den guten Willen des Menschen anerkannte, da dieser zwar geschw�cht, aber nicht g�nzlich aufgehoben sei. Pr�destination sei lediglich das Vorauswissen Gottes, wie der Mensch sich verhalte, keineswegs aber eine Einschr�nkung von Gottes Heilswillen (Inst. XII, Coll. XIII).

Gegen Augustinus brachte Vinzenz von Lerinum (� vor 450) das Traditionsargument vor; demnach ist eine Lehre h�retisch, wenn sie von der Lehre der Kirchenv�ter abweicht. Nur was �berall, immer und von allen geglaubt wurde, darf nach Auffassung des Vinzens von Lerinum bewahrt werden ("Communitorium" 434). Dem M�nch Prosper von Marseille und sp�teren Bischof von Aquitanien (� 455) gelang es nicht, gegen Cassian die augustinische Lehre zu verteidigen ("Contra Collatorum" 431/34), obwohl er bei Papst Coelestin (Papst 422-433) Unterst�tzung fand. Trotzdem herrschte im s�dgallischen Episkopat f�r einige Jahrzehnte der Semipelagianismus Auch wenn dieser Begriff damals noch nicht existierte, sondern erstmals 1577 in der Konkordienformel auftaucht ("halber Pelagianismus", FC Epitome II), so doch die Sache, die er bezeichnet. In der f�r die Synode von Arles (470/71) von Bischof Faustus (405/10-490/500), dem ehemaligen Abt von Lerin, verfassten Schrift "De gratia dei" vertrat dieser die universalistische Deutung der christlichen Erw�hlung. Faustus zufolge kann sich der Mensch aus eigenem Willen, ohne der zuvorkommenden Gnade Gottes zu bed�rfen, Gott zuwenden. Zu Beginn des 6. Jahrhunderts wurde auf Betreiben Caesarius, des Bischofs von Arles (�542) mit Unterst�tzung Roms auf der zweiten Synode von Orange (529) der Semipelagianismus verurteilt. Die Verurteilung des Semipelagianismus wurde kurz darauf unter Papst Bonifazius II. (530/32) ins Corpus Iuris Canonici aufgenommen. Somit ist die Lehre Augustinus zur Grundlage der Soteriologie geworden, nachdem bereits die Synode von Karthago (418) so votiert hatte.

b. Am Beginn der Neuzeit:

Ist auch Augustinus Lehre offiziell die Grundlage der Soteriologie geworden, so hat sich faktisch doch der Semipelagianismus in der r�misch-katholischen Kirche durchgesetzt. Luthers Auseinandersetzung sowohl mit der herrschenden Kirche als auch mit dem humanistischen "Reformer" Erasmus von Rotterdam (1466/69-1539) galt einem Semipelagianismus; schlie�lich lehrten beide, der Mensch k�nne etwas zu seinem Heil beitragen, habe also, was das Heil anlange, einen freien Willen, der mit der Gnade zusammenwirke. Erasmus vertrat in seiner Schrift "De libero arbitrio", der freie Wille bewirke "noli non nisi" (nicht nichts), auch wenn Erasmus das meiste der Gnade Gottes zuschrieb. Luther musste diesen Synergismus ablehnen, da damit die Heilsgewissheit nicht mehr gegeben sei, wenn der Mensch etwas � und sei es auch wenig � zu seinem Heil beitragen k�nnte oder m�sste (vgl. "De servo arbitrio").

Wenig sp�ter tauchte der Sache nach der Vorwurf des Semipelagianismus auch innerhalb des Katholizismus auf. Die Dominikaner warfen dem spanischen Jesuiten Luis de Molina (1535-1600) Semipelagianismus vor; dessen Grundidee besagte eine Steigerung der menschlichen Freiheit und eine Reduktion der Mitwirkung Gottes und der Wirksamkeit der Gnade. So wie zwei Pferde zusammen einen Lastkahn ziehen, so wirken Gott und Mensch zusammen.

3. Faktische Bedeutung des Semipelagianismus

Offiziell ist Augustinus Lehre die Grundlage der Soteriologie geworden und der Semipelagianismus verworfen worden (vgl. die beiden Synoden: Karthago 418, 2. Synode von Orange 529). In der Realit�t aber hat sich die Kirche wieder Pelagius angen�hert und vertritt einen Semipelagianismus

"Zwar hat sich grunds�tzlich in der Kirche Augustinus, faktisch jedoch der Semipelagianismus durchgesetzt" (Gerhard Ruhbach, ELThG, Bd. 3, Semipelagianismus 1826).

Aber das trifft nicht allein f�r die r�misch-katholische Kirche zu, sondern auch f�r die lutherische und allem Anschein nach auch f�r die reformierte. Denn auch in der sich auf Luther berufenden Konfession hat "Erasmus schlie�lich triumphiert" (Wilhelm Maurer, Offenbarung und Skepsis, in: ders., Kirche und Geschichte, Bd. 2, Semipelagianismus 395).

Der Semipelagianismus ist nicht in erster Linie ein historisches und konfessionelles, sondern ein immerw�hrendes und konfessions�bergreifendes Ph�nomen und eine immerw�hrende Versuchung. Er ist die im allgemeinen faktisch herrschende Sicht, da eine synergistische Heilserlangung einleuchtender und menschlichem Denken n�herstehend ist als eine pr�destinatianische Heilszuteilung. Wurde sie als falsch erkannt, so waren das m.E. Sternstunden der Christenheit. Die Gef�hrlichkeit des Semipelagianismus und Synergismus besteht darin, dass er Heilsgewissheit nicht zu vermitteln vermag, welche jedoch heilsnotwendig ist. Die Anerkennung der sog. "Gemeinsamen Erkl�rung zur Rechtfertigungslehre" (GER) durch evangelische Kirchen (Augsburg, Reformationstag 1999) bedeutet nicht weniger als die Zustimmung zum Semipelagianismus, da die GER die r�misch-katholische synergistische Gnadenlehre vertritt. Dass diese Absage der biblisch-reformatorischen Rechtfertigungslehre einen Verlust der Heilsgewissheit bedeutet, ist das eigentlich bedauerliche an diesem von doch recht vielen gelobten Vorgang, da damit das Heil des Christen betroffen ist. Die faktische Bedeutung des Semipelagianismus ist erdr�ckend. Er herrscht, mehr unbewusst als bewusst, quer durch alle Konfessionen vor.

Zur biblischen Beurteilung: Erw�hlung; Glaube; Erl�sung; Jesus Christus.

Lit.: F. Loofs, Semipelagianismus, RE (Realenzklop�die f�r protestantische Theologie und Kirche), hg. v. A. Hauck, 3. Aufl. Bd. XVIII, 1906, 102 ff.

Walter Rominger


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2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines �kumene-Handbuch
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5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
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