Das Zwei-Klassen-System der Zeugen Jehovas lautet in einem Satz so:
Nur 144.000 besonders erw�hlte Menschen kommen in den Himmel, alle anderen Geretteten werden ewig auf einer paradiesischen Erde leben. Die Wachtturm-Gesellschaft vertritt verschiedene Einteilungen. Zun�chst unterscheidet sie im Blick auf Tausendj�hriges Reich und Ewigkeit zwischen einem himmlischen und einem irdischen Bereich.
Der himmlische Bereich ist vorbehalten f�r Jehova, Christus und die "anderen" treuen Engel sowie die 144.000 erw�hlten Glieder der himmlischen Klasse, "Heiligtumsklasse" oder "gesalbten K�nigreichsklasse" des "treuen und verst�ndigen Sklaven" nach Mt 24,45 ff. Zur Heiligtumsklasse geh�ren alle treuen und bew�hrten Zeugen Jehovas, die bis zum Jahre 1935 zur Wachtturm-Gesellschaft gefunden haben (also bis zu dem Jahr, in welchem diese Lehre als offizielles "Dogma" verk�ndet wurde). Allerdings � so wird inzwischen gesagt � gibt es auch nach 1935 immer wieder einzelne, die durch direkte Geistesoffenbarung gezeigt bekommen, dass sie ebenfalls zur Heiligtumsklasse z�hlen. Diese auf Erden Lebenden werden, falls sie nicht vorher sterben, in den Himmel entr�ckt und regieren dann zusammen mit den anderen Gliedern, die schon verstorben sind, unter der Leitung Christi die erneuerte Erde. Die Heiligtumsklasse wurde seit Pfingsten, also seit der Entstehung der Gemeinde durch das Wirken des Geistes Jehovas, ins Leben gerufen. Von den Menschen der alttestamentlichen Zeit ist somit nach Wachtturm-Vorstellung keiner im Himmel. Neben der Heiligtumsklasse bzw. der Klasse des "treuen Sklaven" gibt es die anderen Gruppen, insbesondere die "gro�e Volksmenge" der "anderen Schafe" (Offb 7, 9; Joh 10, 16). Diese "schaf�hnlichen Menschen", wie sie in der Wachtturm-Literatur auch genannt werden, gelten als die "irdische Sklavenklasse", �ber welche Christus zusammen mit der Heiligtumsklasse herrscht. Zu dieser irdischen Sklavenklasse geh�ren die Millionen Zeugen Jehovas, die heute leben oder die in fr�heren Jahrzehnten gelebt haben � mit Ausnahme der 144.000. Die schaf�hnlichen Menschen sind dazu bestimmt, einmal ewig auf der Erde zu existieren � und mit diesen zusammen eine gro�e Zahl anderer Menschen, die zu Lebzeiten keine Zeugen Jehovas waren, aber im Millennium von Jehova neugeschaffen werden, um ihre Treue zu beweisen und dann auch ewiges Leben auf der Erde zu erlangen. Im Millennium regieren auf der Erde die wieder zum Leben erweckten (bzw. neu erschaffenen) alttestamentlichen Patriarchen und Propheten. Alle, die nicht zu den genannten Gruppen geh�ren oder die ihre Chance zur Bew�hrung im Millennium verspielen, werden annihiliert, vernichtet.
Zun�chst ist festzustellen, dass diese Lehre erst 1935 dogmatisiert wurde. Vorher war sie den Wachtturm-Anh�ngern in dieser verbindlichen Form nicht bekannt. Viele von diesen sowie fast alle Christen der vergangenen zwei Jahrtausende, ja auch die Gl�ubigen des Alten Bundes m�ssten falsche Hoffnungen auf eine ewige himmlische Herrlichkeit gehegt haben. Gott h�tte sie betrogen, wenn die 1935 vonJ. F. Rutherford dogmatisierte Lehre zutr�fe. Diese Vorstellung aber ist mit der biblischen Lehre von Gott, der Wahrheit und Liebe in einer Person ist (2. Sam 7,28; Joh 14,6; 1. Joh 4,16 u.v.a.), unvereinbar.
Ferner stellt sich die Frage: Handelt es sich bei den "anderen Schafen" in Joh 10,16 wirklich um die "schaf�hnlichen Menschen" oder "Jonadabe", also den gr��eren Teil der Zeugen Jehovas, der seit 1935 eingesammelt wird? Die Evangelien sagen etwas anderes: Die anderen Schafe sind die Heidenchristen, die zu den Judenchristen hinzukommen. Jesus lebte und wirkte in Israel und sprach in erster Linie zu Juden. In Mt 15,24 sagt er ausdr�cklich:
"Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel."
Zu seinen J�ngern spricht er:
"Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht in keine Stadt der Samariter, sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel" (Mt 10,5 f.).
Erst sp�ter � vollends nach Jesu Auferstehung � wird der Wirkungsradius ausgeweitet, als er befiehlt:
"Geht hin und macht zu J�ngern alle V�lker!" (Mt 28,19).
Im Johannesevangelium klingt diese immer weiter werdende Ausbreitung der Frohen Botschaft bereits an, indem Jesus zu den ihm zuh�renden und aus dem "Stall" der Thora, dem Zaun des Gesetzes kommenden Juden sagt:
"Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herf�hren, und sie werden meine Stimme h�ren, und es wird eine Herde und ein Hirte werden" (Joh 10,16).
Diese eine Herde unter dem einen Hirten Jesus Christus wird schlie�lich in den Paulusbriefen eindeutig identifiziert: Es ist die Einheit von Juden- und Heidenchristen:
"Da ist nicht mehr Grieche oder Jude, Beschnittener oder Unbeschnittener ..., sondern alles und in allen Christus"
(Kol 3,11; vgl. 1. Kor 12,12 f.; Gal 3,28; Eph 2,11-22).
Von den Zeugen Jehovas wird behauptet, allein die 144.000 aus der Offb bef�nden sich mit Christus im Himmel, die "gro�e Volksmenge" aber ewig auf der Erde. Betrachten wir die Stellen, an denen die "gro�e Volksmenge", d.h. die aus den nichtj�dischen V�lkern zu Christus bekehrte Schar, vorkommt, dann sehen wir allerdings, dass das Gegenteil zutrifft. In Offb 7,9-17 findet sich folgende Lokalisierung (ich zitiere auszugsweise):
"Danach sah ich, und siehe, eine gro�e Schar (ochlos pol�s), die niemand z�hlen konnte, aus allen Nationen und St�mmen und V�lkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm, angetan mit wei�en Kleidern und mit Palmzweigen in ihren H�nden, und riefen mit gro�er Stimme: Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserm Gott, und dem Lamm!... Diese sind`s, die gekommen sind aus der gro�en Tr�bsal und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht im Blut des Lammes. Darum sind sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel; und der auf dem Thron sitzt, wird �ber ihnen wohnen..." (Offb 7,9 f. 13-15).
Noch eindeutiger wird der Aufenthaltsort der "gro�en Schar" in Offb 19,1 charakterisiert:
"Danach h�rte ich etwas wie eine gro�e Stimme einer gro�en Schar (ochlou pollou) im Himmel, die sprach: Halleluja! Das Heil und die Herrlichkeit und die Kraft sind unseres Gottes!"
Die Wendung "stehend vor dem Thron ..." ("estontes en�pion tou thr�nou ...") in dieser Kombination bezeichnet sprachlich eindeutig eine r�umliche Gegebenheit (vgl. Bauer, W�rterbuch zum NT, 1971, Sp. 535 f. 755 f.). Die Lokalisation der gro�en Volksmenge ist "im Himmel" ("en to ourano"; Offb 19,1), ja sogar "im Tempel" ("en to nao"; Offb 7,15) Gottes, im Zentrum seiner Heiligkeit. Bef�nde sich die gro�e Schar nicht wirklich im Himmel, dann m�sste eine "Kluft" (wie etwa zwischen Geretteten und Verlorenen in Lk 16,26) zumindest angedeutet sein; das ist aber hier nirgends der Fall. Schlie�lich ist der Lobpreis der "gro�en Schar" in seiner �berw�ltigenden Gr��e und Sch�nheit nur dann verst�ndlich, wenn man davon ausgeht, dass diese gro�e Schar selber zu den Erl�sten geh�rt, denen die himmlische Herrlichkeit verhei�en ist und die nun zum Ziel ihrer Hoffnungen durch viel Tr�bsal hindurch gelangt sind.
Die Wachtturm-Gesellschaft bringt die allermeisten ihrer Anh�nger mit der Lehre von den zwei Klassen um die Hoffnung auf die himmlische Herrlichkeit. Sie raubt ihnen damit das Wertvollste, was das Neue Testament allen, die an Jesus Christus als Erl�ser und Herr glauben, verhei�en hat. Aber es gilt nach wie vor:
"Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner gro�en Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unverg�nglichen und unverwelklichen Erbe, was aufbewahrt wird im Himmel f�r euch, die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit, die bereit ist, dass sie offenbar werde zu der letzten Zeit" (1. Petr 1,3-5).
S. auch: Zeugen Jehovas; Wachtturm-Gesellschaft; Ganztod-Lehre; Loskaufopfer; Neue-Welt-�bersetzung; Dreieinigkeit.
Lit.: L. Gassmann, Zeugen Jehovas, 2000.
Lothar Gassmann
Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handb�chern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):
1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines �kumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch
Weitere Handb�cher (�ber Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de