Wachtturm-Gesellschaft

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Am 1. Juli 1879 erschien die erste Nummer der Zeitschrift "Zions Watch Tower and Herald of Christ`s Presence" ("Zions Wachtturm und Verkünder der Gegenwart Christi"). Der Titel der bis zu seinem Tod im Jahr 1916 von Charles Taze Russel l herausgegebenen Zeitschrift weist auf die anfängliche glühende Begeisterung für die zionistische Bewegung hin, die von Russells Nachfolger Joseph Franklin Rutherford nicht mehr geteilt wurde und heute ganz aus dem Blickfeld der Zeugen Jehovas verschwunden ist. Die Bezeichnung "Wachtturm" ist Habakuk 2, 1 nachempfunden, wo es heisst:

"Hier stehe ich auf meiner Warte und stelle mich auf meinen Turm und schaue und sehe zu, was er mir sagen und antworten werde auf das, was ich ihm vorgehalten habe."

Die zunächst monatlich, seit 1892 vierzehntäglich erscheinende Zeitschrift wurde am Anfang in einer Auflage von sechstausend Exemplaren gedruckt. Heute liegt die Auflage weltweit bei über 20 Millionen. Der Name hat mehrmals gewechselt: Zunächst hieß das Blatt "Zions Wachtturm und Verkünder der Gegenwart Christi", ab 1909 nur noch "Der Wachtturm und Verkünder der Gegenwart Christi". Im Jahr 1939 "hob man die Tatsache, dass Christus bereits als König im Himmel regierte, stärker hervor" (Jehovas Zeugen, 1993, 724). Ab dem 1. Januar dieses Jahres nannte man die Zeitschrift daher "Der Wachtturm und Verkündiger des Königreiches Christi". Am 1. März 1939 schließlich erhielt sie den noch heute gültigen Titel "Der Wachtturm verkündigt Gottes Königreich".

Im Zusammenhang mit der Herausgabe dieser Zeitschrift ab 1879 entstanden die ersten Gemeinden. Es waren Zusammenschlüsse von Wachtturm-Lesern an den einzelnen Orten, die nach kongregationalistischem Vorbild lose miteinander verbunden waren. Eine straffe zentralistische Leitung wie bei der heutigen WTG bestand in der Anfangszeit noch nicht. Russell freilich galt als der geistliche Leiter und verehrte Prophet der aufkeimenden neuen Bewegung. Die ersten Gruppen nannten sich zunächst "Klassen" oder "Ekklesias" (griech. "Gemeinden"), später dann "Versammlungen". 1881 nun wurde in Pittsburgh die "Zions Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania" ("Zions Wachtturm Bibel-und Traktat-Gesellschaft von Pennsylvanien") gegründet. Im Dezember 1884 wurde sie behördlich registriert. Dieses Datum wird von verschiedenen Autoren als offizieller Beginn der Bewegung der (späteren) Zeugen Jehovas gewertet.

Die WTG war eine Aktiengesellschaft, eine Geschäftsfirma, in der jeder Mitglied werden konnte, der sich Anteilscheine im Wert von je 10 Dollar erwarb. Russell war ihr Präsident auf Lebenszeit, seine Frau Sekretärin und Schatzmeisterin. Neben und unter ihnen fungierten ferner sieben leitende Direktoren. Diese Gesellschaft druckte eine Fülle von Traktaten, Flugschriften und Büchern, die überwiegend von der Hand Russells stammten. Beiträge für den "Wachtturm" schrieben außerdem in der Anfangszeit A. D. Jones, J. H. Paton, H. B. Rice, W. I. Mann, Russells Frau und andere. Ganz im Stil eines Geschäftsunternehmens wurden Kolporteure angestellt, welche die Schriften unter der Bevölkerung vertrieben. Der Haus-zu-Haus-Dienst der einzelnen Anhänger, wie wir ihn heute kennen, war damals jedoch noch nicht in seiner als geradezu heilsnotwendig angesehenen und verpflichtenden Form vorhanden.

Der Charakter einer Geschäftsfirma wurde von Russell offiziell zugegeben. So stellte er in seinen "Schriftstudien" jeweils im Anhang seine Gesellschaft mit folgenden Worten vor: "Wacht-Turm Bibel- und Traktat-Gesellschaft. Das ist der Name einer Geschäftsfirma, die sich mit der Herausgabe von wichtigen religiösen Büchern und Zeitschriften und anderen nützlichen Hilfsmitteln zum Bibelstudium befasst." Es sollte bis zum Jahr 1944 dauern, dass das Aktienwesen abgeschafft und als unvereinbar mit der "theokratischen Ordnung" bezeichnet wurde. Dennoch erwirtschaftet die WTG weiterhin hohe Gewinne, die freilich – soweit erkennbar – alle dem weiteren Aufbau der Organisation zugute kommen. Über die heutige finanzielle Struktur des "Wirtschaftsunternehmens Wachtturm-Bibel- und Traktat-Gesellschaft" (WTG) schreibt Klaus-Dieter Pape:

"Die Einkünfte kommen aus Spenden, aber in viel größerem Umfang aus den Subskriptionsrechten, die die WTG-Inc. von den einzelnen Länderorganisationen verlangt. Die Beträge für diese Rechte sind aber in Wirklichkeit der Gewinn, den die einzelnen Länder aus den Buchverkäufen erzielen und dann an das Hauptbüro in New York überweisen ... Bei den Länderorganisationen ist zu unterscheiden, ob sie eine Corporation nach amerikanischem Recht sind, wie der Länderzweig in der Schweiz, oder ein gemeinnütziger Verein, wie in Deutschland ... Selbst ein gemeinnütziger Verein kann z.B. über Spenden oder wirtschaftliche Aktivitäten, wie Buch- oder Zeitschriftenverkauf Gewinn machen. Das ist erlaubt. Sie müssen nur dem Zweck der Satzung entsprechen und demgemäss verwendet werden" (Informationen Nr. 2 der "Christlichen Dienste", ACV, Mai 1994, 2 f.).

Zur weiteren Darstellung und Beurteilung: s. Zeugen Jehovas; Russell, Charles Taze; Rutherford, Joseph Franklin; Knorr, Nathan Home r; Franz, Frederick William; Leitende Körperschaft; >Blutgenuss und Bluttransfusion; Dreieinigkeit; Endzeit-Berechnungen; Ganztod-Lehre; Gemeinschaftsentzug; Jehova-Name; Loskaufopfer; Neue-Welt-Übersetzung; Zwei-Klassen-System.

Lit.: H.-J. Twisselmann, Der Wachtturm-Konzern, 1995; L. Gassmann, Zeugen Jehovas, 2000.

Lothar Gassmann


Index

Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handbüchern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):

1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines Ökumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch

Weitere Handbücher (über Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de