Franz, Frederick William (1893-1992) leitete die Wachtturm-Gesellschaft (Zeugen Jehovas) als deren vierter Pr�sident nach Russel l, Rutherford und Knorr von seinem 83. bis 99. Lebensjahr.
Doch seine Bedeutung geht weit �ber diese Epoche hinaus. Bereits zu Knorrs Zeiten galt er als der Denker im Hintergrund, als der Ausgestalter der Wachtturm-"Theologie". Viele Artikel im Wachtturm und anderen Schriften stammten aus seiner Feder. Werke wie die "Neue-Welt-�bersetzung" der Bibel und das Bibellexikon der Zeugen Jehovas gehen ma�geblich auf seine Initiative und Arbeit zur�ck. Im Gegensatz zu vielen anderen in der Wachtturm-Zentrale, etwa zu Knorr, hatte er das biblische Griechisch an der Universit�t studiert.
Sein Neffe Raymond Franz schrieb �ber ihn w�hrend seiner Pr�sidentenzeit:
"Fred Franz, der gegenw�rtige Pr�sident, ist wie auch die fr�heren Pr�sidenten eine F�hrerpers�nlichkeit, und sein pers�nlicher Einfluss ist sehr gross, auch wenn das Pr�sidentenamt durch die Dezentralisierung der Macht in den Jahren 1975-76 buchst�blich aller seiner Befugnisse beraubt wurde... Das gesamte Lehrgeb�ude, das nach dem Tode Richter Rutherfords im Jahre 1942 aufgebaut wurde, ist praktisch sein Werk ... Keines der ... Mitglieder der leitenden K�rperschaft k�nnte neue Bibelauslegungen so markant in Worte fassen und durch verzwickte Argumentationsketten untermauern, wie Fred Franz es getan hat" (R. Franz, Der Gewissenskonflikt, 1991, 328).
Frederick William Franz war am 12. September 1893 in Covington/Kentucky geboren worden. Als er sechs Jahre alt war, zogen seine Eltern, die zur presbyterianischen Kirche geh�rten, nach Cincinnati um. Dort beendete er 1911 die High-School und studierte anschlie�end an der Universit�t Cincinnati Geisteswissenschaften, unter anderem Bibelgriechisch, weil er presbyterianischer Prediger werden wollte. Seine Leistungen waren so gut, dass er f�r ein Rhodes-Stipendium ausgew�hlt wurde, das ihm den Weg an die ber�hmte englische Universit�t Oxford erm�glichte. Aber Franz beschritt diesen Weg nicht. W�hrend des Studiums � im Jahre 1913 � hatte ihm sein Bruder Albert n�mlich eine Brosch�re des "Ernsten Bibelforschers" John Edgar mit dem Titel "Wo sind die Toten?" zu lesen gegeben, die ihn begeisterte. Danach besch�ftigte er sich mit Russells "Schriftstudien". Diese Lekt�re sollte seinen Weg total ver�ndern. Franz trat aus der Presbyterianischen Kirche aus und schloss sich den "Ernsten Bibelforschern" an. Am 30.11.1913 empfing er deren "Taufe". Im Mai 1914 verlie� er die Universit�t und wurde Kolporteur der Wachtturm-Organisation. Dieser Organisation ist er 80 Jahre lang auf s�mtlichen Stufen der Macht treu geblieben. 1920 kam er in die Zentrale der Macht nach Brooklyn und arbeitete lange Zeit in deren Hauptb�ro mit. 1945 wurde er zum Vizepr�sidenten, 1977 dann zum Pr�sidenten der Wachtturm-Gesellschaft gew�hlt.
Aus der Pr�sidentenzeit Franz` gibt es wenig Au�ergew�hnliches zu berichten. Die Organisation wuchs weiter. Zwischen 1977 und 1992 wurden �ber 29.000 neue Versammlungen weltweit gegr�ndet. Die Mitgliederzahl erh�hte sich in diesem Zeitraum auf ca. 4,5 Millionen "K�nigreichsverk�ndiger". Ein R�ckschlag erfolgte lediglich um 1980 herum, als sich � unter Leitung ausgerechnet seines Neffen Raymond Franz � eine Oppositionsgruppe im New Yorker Bethel und dar�ber hinaus bildete, die viele verunsicherte. Etwa 350 Mitarbeiter der Wachtturm-Gesellschaft aus den unterschiedlichen Ebenen der Macht wurden damals aus dem Bethel entfernt oder erkl�rten freiwillig ihr Ausscheiden. An vielen Orten kam es zu Unruhe und Spaltungen. In mehreren Wachtturm-Artikeln musste damals beruhigend und bes�nftigend auf die "K�nigreichsverk�ndiger" eingewirkt werden. Im Geschichtswerk der Zeugen Jehovas kann diese Bedrohung nicht verschwiegen werden:
"In den Jahren bis 1980 versuchten einige, die sich �ber Jahre an der T�tigkeit der Zeugen Jehovas beteiligt und zum Teil in f�hrenden Stellungen in der Organisation gedient hatten, auf verschiedene Weise, Spaltungen zu verursachen und dem Werk der Zeugen Jehovas Widerstand zu leisten" (Jehovas Zeugen. Verk�ndiger des K�nigreiches Gottes, 1993, 111).
Dabei hatten die "Abtr�nnigen" nichts anderes entdeckt, als dass die Lehre und Organisation der Wachtturm-Gesellschaft in wesentlichen Punkten nicht mit der biblischen Botschaft �bereinstimmt. Eine Diskussion �ber solche Erkenntnisse war aber nicht m�glich, sondern man bestrafte die Abtr�nnigen mit dem "Gemeinschaftsentzug". Raymond Franz hat in seinem Buch "Der Gewissenskonflikt" ausf�hrlich �ber die Auseinandersetzungen in den siebziger und achtziger Jahren berichtet. Er res�miert:
"Ende 1979 war ich am Scheideweg angelangt. Fast 40 Jahre lang hatte ich hauptberuflich im Dienst der Organisation gestanden, sie von ganz unten bis ganz oben durchlaufen. Die letzten 15 Jahre war ich in der Weltzentrale t�tig gewesen, darunter neun Jahre als Mitglied der leitenden K�rperschaft der Zeugen Jehovas weltweit. Diese letzten neun Jahre waren die entscheidenden. In dieser Zeit holte die Realit�t meine Illusionen ein... Langsam wurde mir klar, dass ich mein Leben gro�enteils auf nichts anderes gegr�ndet hatte als genau dies, einen Mythos... Alle Ver�nderung in mir erwuchs aus der Einsicht, dass ich die Bibel aus einer total sektiererischen Sicht heraus gesehen hatte" (Franz 1991, 215).
Welches waren welche die "falschen Lehren", welche die "Leitende K�rperschaft" unter F�hrung seines Onkels Frederick Franz ihm zur Last legte" Es handelt sich um folgende Punkte:
1. Jehova hat heute keine Organisation auf Erden, und die leitende K�rperschaft wird nicht von Jehova geleitet.
2. Jeder, der seit den Tagen Christi (33 u. Z.) getauft wurde und bis zum Ende noch getauft werden wird, soll auch himmlische Hoffnung haben ...
3. Die Vorkehrung der Klasse eines �treuen und verst�ndigen Sklaven`, bestehend aus den Gesalbten und der leitenden K�rperschaft aus ihren Reihen, zur Leitung von Jehovas Volk hat keine biblische Grundlage...
4. Es gibt heute keine zwei Klassen, eine himmlische und eine irdische...
5. Die in Offb. 7:14 und 14:1 genannte Zahl von 144.000 ist symbolisch zu verstehen und darf nicht buchst�blich genommen werden...
6. Wir leben heute nicht in einer besonderen Zeit der �letzten Tage`, sondern die �letzten Tage` begannen vor 1900 Jahren im Jahre 33 u. Z. ...
7. Bei 1914 handelt es sich nicht um ein gesichertes Datum.
"Jesus Christus wurde damals nicht inthronisiert, sondern herrscht seit 33 u. Z. in seinem K�nigreich. Die Gegenwart Christi (parousia) hat noch nicht begonnen, sondern liegt in der Zukunft..." (Franz 1991, 254).
Am 22. Dezember 1992 starb Frederick William Franz hochbetagt im Alter von 99 Jahren. Er hatte sich von seinem Neffen nicht korrigieren lassen.
S. auch: Zeugen Jehovas; Wachtturm-Gesellschaft; Russell, Charles Taze; Rutherford, Joseph Franklin; Knorr, Nathan Homer; Gemeinschaftsentzug; Zwei-Klassen-System; Leitende K�rperschaft.
Lit.: R. Franz, Der Gewissenskonflikt, 1991; L. Gassmann, Zeugen Jehovas, 2000.
Lothar Gassmann
Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handb�chern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):
1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines �kumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch
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