Rittelmeyer, Friedrich

Klick auf den Kompass öffnet den IndexRittelmeyer, Friedrich (1872-1938) war ma�geblicher Begr�nder und erster Erzoberlenker der anthroposophisch inspirierten Christengemeinschaft.

1. Kindheit und Jugend (1872-1890):

�hnlich wie Rudolf Steiner, der Begr�nder der Anthroposophie, berichtet auch R. in seiner Autobiographie "Aus meinem Leben" (1937) von fr�hen �bersinnlichen Erlebnissen, die ihm auf drei Gebieten begegneten: erstens in der Musik (v.a. von Brahms, Wagner, Bach, Mendelssohn und Bruckner), die f�r ihn die "Schleier durchsichtig" werden lie�, die "unsre Alltagswelt von der �berirdischen Welt trennen", und die ihm auch das Joh wie eine "h�here Welt von Lebenskl�ngen" erschloss (16f); zweitens im lutherischen "Kultus", der seiner Ansicht nach "nichts anderes als Teilnahme am Leben der g�ttlichen Welt selbst" ist (18); drittens in den okkulten Neigungen seiner Eltern. "Bedeutsam wurde f�r mich ... die okkulte Neigung und Begabung meines Vaters und noch mehr meiner Mutter", betont R. und nennt als Beispiele Ereignisse des Wahrtr�umens und Fernf�hlens (20f). Doch insgesamt verdankte er seinem Vater, der sich der lutherischen Orthodoxie zugeh�rig f�hlte, "religi�s ... unmittelbar wenig" (20). Die "tiefsten religi�sen Eindr�cke der entscheidenden Jahre" erhielt er "nicht durch Predigten, nicht durch Gottesdienste, auch nicht einmal durch Pers�nlichkeiten, sondern durch die Musik" (16). Schon fr�h setzte die Bem�hung ein, aus dem Elternhaus und dem "engen Haus der lutherischen Orthodoxie" auszubrechen � ein "Freiheitskampf', der ihn das ganze Leben hindurch nicht mehr loslassen sollte (18f). Insbesondere mit dem reformatorischen S�nden- und Rechtfertigungsverst�ndnis konnte R. wenig anfangen: "Ich f�hlte mich ins Gesetzliche gesto�en mit diesem Br�ten �ber Tagess�nden, wo ich Wesens-Speise gebraucht h�tte ... Ich empfing Trost � und brauchte Ideale. Ich wurde hineingezw�ngt in einen Bekehrungszwang � und h�tte so gerne einen Lebensinhalt gehabt" (48f). Von den "evangelisch-lutherischen Schwarzmalereien" entt�uscht, zieht R. offenherzig das Fazit �ber seine Jugendzeit: "Als Heide ging ich durch die christliche Welt, jahrelang; Pfarrer wollte ich aber � aus einem tiefen inneren Wissen heraus � trotzdem immer werden" (49).

2. Theologische und philosophische Studien (1890-1894):

Um den Weg zum Pfarrer gehen zu k�nnen, begann er im Jahr 1890 mit dem Studium der evangelischen Theologie und der Philosophie an der Universit�t Erlangen (6). Die "Universit�t" � gemeint ist die theologische Fakult�t � war f�r ihn in mehrfacher Hinsicht "eine tiefe Entt�uschung". Anstelle der "Weisheitssch�tze aller Kulturen" erwarteten ihn "allerlei unwichtige Spezialistenkenntnisse" (57). Die historisch-philologisch arbeitende neutestamentliche Bibelerkl�rung, die er bei dem jungen Dozenten Gloel kennenlernte, erschien ihm wie "�u�eres Wissen und Handwerk", das nicht wirklich in die "Lebenswelt des Neuen Testaments" hineinf�hrte. An der Erkl�rungsweise des bereits verstorbenen und noch nachwirkenden J. Chr. K. v. Hofmann hingegen bewunderte er zwar, dass sie "statt eines Kommentars den Geistesgehalt einer Schrift in Ausf�hrlichkeit bis in alle Einzelheiten wiederzugeben suchte", und doch f�hlte er "nicht die geringste Neigung", auf v. Hofmanns Wegen weiterzugehen. Die durch v. Hofmann beeinflusste Erlanger Theologie, deren "gro�e Zeit vor�ber" war, erschien ihm als "zu gewollt eng" und "zu problemlos gl�ubig" (59). So war R. bald "mehr bei den Philosophen als bei den Theologen zu finden" (60). Er las Kant, wollte sich aber � �hnlich wie Steiner � mit den von Kant aufgewiesenen Erkenntnisgrenzen nicht zufrieden geben. So schreibt er �ber Kant: "Im Denken �ben konnte er, im wesenhaften Wissen f�rdern kaum ... wenn ich in dieser Weise denke, f�hle ich f�rmlich, wie ich dabei verkalke ... Man gewinnt ein Denkger�st, aber man wird zum Denkskelett" (61). N�her lag ihm � wie auch Steiner � der spekulative Idealismus Fichtes, Schellings und Hegels. Dieser wurde ihm durch den Philosophen Class vermittelt (62f). Class erwartete in seinen 1896 ver�ffentlichten "Untersuchungen zur Ph�nomenologie und Ontologie des menschlichen Geistes" im Anschluss an Schelling ein "'johanneisches Zeitalter"' des Geistes, bezeichnete als Zweck des Daseins "die Vergeistigung der menschlichen Natur", verk�ndete in Analogie zu Hegel "ein gewaltiges ideelles Reich", in dem "ein Aufsteigen vom Niederen zum H�heren stattfindet", und postulierte in Anlehnung an Fichte, dass "das Ich als geistiges der Vernichtung nicht anheimf�llt", sondern unsterblich ist. Diese Gedanken sind, wie unsere weitere Darstellung zeigen wird, als m�chtige Impulse in R.s System eingeflossen.

Der spekulative Idealismus begegnete R. auch im Denken des Dogmatikers Reinhold Frank, der in � allerdings nur formaler � Analogie zu Fichte sein System von der "religi�sen Zentralerfahrung des von Gott ergriffenen Menschen" ableitete (64f). Entscheidend war f�r Frank das Ereignis von "Wiedergeburt und Bekehrung". "Wie ich in Class den Geist geahnt hatte, so nun in Frank das Ich", stellte R. im R�ckblick auf seine Erlanger Zeit fest (65; Hi0).

Im Fr�hjahr 1892 wechselte er an die Universit�t Berlin �ber, "um Harnack und Kaftan zu h�ren" (83; HddV), ferner den Historiker Heinrich von Treitschke, der f�r ihn "lebenslang der akademische Lehrer geblieben" ist (87; Hi0). �ber Harnack und Kaftan �u�ert sich R. im R�ckblick folgenderma�en: "Diesen beiden M�nnern verdanke ich es, dass ich theologisch wirklich auf die eigenen F��e kam. Ihre Kollegien waren keine Erbauungsstunden. Aber es wehte eine freie, offene Menschlichkeit, in der man recht wohl atmen konnte. Schon damals wusste ich ganz klar, dass ich mich hier nicht ansiedeln w�rde. Aber ich wusste auch, dass ich hier einmal durchgehen musste" (84). Der liberalen Theologie verdankt es R. � so schreibt er noch als Erzoberlenker der Christengemeinschaft im Jahre 1937 (!) -, dass er "heute noch Theologe" ist und dass er "als Theologe ein wahres und freies Leben f�hren konnte durch Jahrzehnte". Mit Harnacks Hilfe n�mlich machte er sich "von allem altem [sic] Autorit�tsglauben frei" und blickte "auf alles Gro�e, was es au�er dem Christentum in der Welt gab" (258). Und doch konnte er bei Harnack nicht stehen bleiben. Sein Biograph Erwin Sch�hle bringt das damalige Bem�hen R.s so zum Ausdruck: "Das Verst�ndnis des Evangeliums musste neu errungen werden. R.s Hoffnung, dass diejenige theologische Bewegung, die gerodet hatte, auch s�en werde, hatte sich nicht erf�llt." Insbesondere die Herausnahme des Sohnes aus der Botschaft des Evangeliums und die Relativierung der leiblichen Auferstehung Christi durch Harnack konnte R. nicht nachvollziehen. So war er weiter auf der Suche.

Sehr bald stie� er auf Vorstellungen der Ich-Philosophie und der Gnosis, die ihm wichtige Anst��e f�r sein sp�teres Christusverst�ndnis gaben. Durch die Lekt�re von Carlvle und Fichte am Ende seiner Universit�tszeit trat ihm � deutlicher noch als bei Frank � das "K�nigtum des Ich" vor seine Seele (91ff). Und durch das Studium der valentinianischen Gnosis ahnte er zum ersten Mal ein Christentum von ferne, wie es ihm "weder Frank noch Harnack hatten zeigen k�nnen, ein Christentum, das nicht nur eines Tages in die Weltgeschichte wunderhaft eintritt, sondern das mit innerstem Licht das gesamte Weltwerden durchleuchtet" (94). Wiederum begegneten ihm � nun in vertiefter Form � das "Ich" und der "Geist". Doch zun�chst "versank diese Welt wieder" (94), um erst sp�ter endg�ltig ins Bewusstsein gehoben zu werden. Am Ende seines Studiums im Jahre 1894 hatte R. "eine Theologie, aber keine Religion, kein Christentum" (6.101).

So empfand er die bevorstehende Ernennung zum Vikar als Drohung und entzog sich ihr durch "Flucht" � zuerst durch eine kurze Milit�rzeit und dann durch eine ausgedehnte Reise: "Monatelang irrte ich ratlos durch etwa drei�ig deutsche St�dte" (102f). Er besuchte bekannte St�tten und Pers�nlichkeiten der damaligen Christenheit, z.B. Herrnhut (106ff), Bethel (11411) und Friedrich Naumann (120ff). Und obwohl ihn etwa in Herrnhut durch ein vision�res Erlebnis zum ersten Mal eine Ahnung davon befiel, was "Kosmisches Christentum" ist (110), so wusste er doch sehr bald, dass er sich an keiner der besuchten St�tten geistig ansiedeln w�rde. Der Eindruck, den er von der Welt Bodelschwinghs mitnahm, gilt im Grunde auch im Blick auf die anderen Stationen seiner Reise: "... eine ehrfurchtgebietende Welt � aber nicht deine Welt! Hier vermochte nur ehrlich mitzutun, wer im alten Christentum noch zu Hause war oder sich zu ihm zur�ckzwingen konnte. Nach neuen Lebensufern aber dr�ngte der innere Drang" (120).

3. Der liberale Mystiker (1895-1910)

Im Jahre 1895 nahm R. dann doch die Ernennung auf das erste protestantische Stadtvikariat in W�rzburg an, das er bis 1902 bekleidete (6.139). Das Ereignis, das es ihm m�glich machte, in der evangelischen Kirche zu wirken, "glich gar nicht einer sogenannten 'Bekehrung"', keinem "Sturm von Gef�hlen". "Vielmehr waren es zarte, geistige Eindr�cke vom Dasein einer h�heren Welt" (127). Diese wurden ihm wieder vor allem durch die Musik zuteil (128ff). R�ckblickend legt R. Wert auf die Feststellung, dass er von Anfang an in innerer Distanz zur evangelischen Kirche gestanden habe. Seine Haltung war die eines "Geistesk�mpfers", der "immer v�llig frei" und entschlossen sein muss, "in jedem Augenblick selbst sein Amt aufzugeben" (140). Vor allem die Verpflichtung auf ein Bekenntnis kam ihm einer "geistigen Knebelung" gleich (141). So gelangte er zu einem Kompromiss: "Was sich mir als Wahrheit ergab aus Bibel und Bekenntnis, habe ich verk�ndigt und �ber das andre habe ich geschwiegen" (145; Hi0).

In seiner Vikariatszeit schrieb R. hei dem W�rzburger Philosophen Oswald K�lpe seine Dissertation, die 1903 unter dem Titel "Friedrich Nietzsche und das Erkenntnisproblem" erschien (172f.438). An K�lpe bewunderte er, dass er "zu einer neuen Metaphysik vordringen" wollte. Zugleich bedauerte er, dass er an den Grenzen des "kritisch-synthetischen Verstandesdenkens" stehen blieb (171f). Mit Nietzsche besch�ftigte sich R. auch auf seiner Pfarrstelle an der N�rnberger "Heilig-Geist-Kirche", die er 1903 erhielt und his 1916 bekleidete (6.204). In dieser Zeit ging er daran, seinen bereits in W�rzburg aufgestellten "Lebensplan" zu verwirklichen. Er hatte das Ziel, "mit vierzig Jahren ... ein Buch �ber Jesus zu schreiben". Zu diesem Zweck wollte er sich einerseits "durch die Evangelien ... immer tiefer in die Pers�nlichkeit Jesu hineinf�hlen". Andererseits wollte er "zum Vergleich eine Reihe anderer Geister durchleben". Er w�hlte Nietzsche als "den entschlossensten Christusgegner der Geschichte", Tolstoi als "den bedeutendsten Christen der Gegenwart unter allen V�lkern", Buddha als "den Verk�nder der wichtigsten au�erchristlichen Religion", Meister Eckehart als "einen ganz gro�en Christen der Vergangenheit" und Johannes M�ller als Zeitgenossen "mit dem eigenartigsten Jesusverst�ndnis" (207). �ber alle diese Pers�nlichkeiten schrieb R. Monographien oder Aufs�tze und empfing von ihnen Anst��e, ohne sich jedoch einer Weltanschauung v�llig anzuschlie�en. Am st�rksten d�rfte � vor Steiner � Meister Eckehart und die nach R.s Meinung durch diesen vermittelte indische und neuplatonische Mystik auf ihn und auf die Theologie der sp�ter entstandenen Christengemeinschaft eingewirkt haben. So schreibt R. �ber Meister Eckehart: "Die Sicherheit, mit der er auch auf den H�hen neuplatonischen Erlebens, ja indischer Mystik wandelte und sich doch als Christ f�hlte, gab uns m�chtigste Lebensanst��e ... Alles, wirklich alles, was man heute an Meister Eckehart entdeckt, ist damals schon durch unsre Seele gezogen und hat mitgewirkt � zu dem Christentum, das wir heute zu verk�ndigen haben" (216).

Durch den theologischen Au�enseiter Johannes M�ller (1864-1949) wurde R. in seiner �berzeugung best�rkt, dass eine "h�here g�ttliche Wirklichkeit ... hinter der Sinnenwelt zu entdecken" ist und dass der Mensch "in sich das Organ f�r diese g�ttliche Wirklichkeit" tr�gt (273). R�ckblickend bem�ngelte R. jedoch, dass bei M�ller "alles im 'unmittelbaren' Augenblicks'leben' der Seele festgehalten, dass der Schritt in den erkennenden Geist hinein nicht gemacht wurde" (274; Hi0). Als R. im Jahre 1918 in der Schrift "Johannes M�ller und Rudolf Steiner" die Auseinandersetzung mit M�ller f�hrt, sieht er den Hauptunterschied darin, dass Steiner den Zugang zu den "h�heren Welten" nicht �ber die unbewussten Gem�ts- und Gef�hlskr�fte der Seele, sondern �ber das bewusste Denken des Geistes erstrebt. Betrachtet man diese "Vorstudien" R.s, vor allem seine Besch�ftigung mit Meister Eckehart, so ist es nicht verwunderlich, dass sein "Jesus"-Buch (es erschien tats�chlich in seinem 40. Lebensjahr, im Jahre 1912) klassische Lehren der liberalen Theologie mit Elementen der Mystik vereinigte. R. verstand darin � wie Erwin Sch�hle zusammenfassend bemerkt � "das ganze Wesen des Jesus... aus der Urverwandtschaft des Menschlichen mit dem G�ttlichen". Jesus war ihm "die h�chste Verwirklichung Gottes durch einen Menschen" und "die Manifestation h�chster sittlicher Kraft" (E. Sch�hle, Entscheidung f�r das Christentum der Zukunft, 1969, 65). Dass R. �ber die liberale Theologie seiner Zeit hinausstreben w�rde, war bereits in seinem 1909 erschienenen RGG-Artikel �ber die "Christologie" angeklungen. Hier sprach er sich einerseits im Gefolge Harnacks dagegen aus, "das Eingreifen Gottes in Jesus und die Einzigartigkeit Jesu in altdogmatisch-massiver Weise zu verstehen". Das "Einzige und Letzte", was man �ber "Jesu Entstehung" sagen k�nne, sei dies, "dass Jesus als nat�rliche Mitgabe eine ganz einzigartige religi�ssittliche Anlage von h�chster Kraft und Reinheit mit in die Welt gebracht" habe, wobei "ganz besondere, in dieser Weise niemals wiederkehrende geschichtliche Verh�ltnisse" dieser Anlage entgegengekommen seien. Andererseits m�chte R. die. Erscheinung Jesu "dem System der kosmischen M�glichkeiten" einordnen. "Die Christusanschauung, die auf diese Weise gewonnen werden wird, mag an manchen gro�en Gedanken der deutschen Mystik und des deutschen Idealismus ankn�pfen" (RGG I/1909, Sp.1179f.).

4. Die �ffnung f�r die Anthroposophie (1910-1925)

Zur Anthroposophie (damals noch "Theosophie") war R. im Jahre 1910 durch den N�rnberger Volksschullehrer und Okkultisten Michael Bauer (1871-1929) gelangt, als er Material f�r einen Vortrag �ber die "religi�sen Str�mungen der Gegenwart" suchte (F. R., Meine Lebensbegegnung mit Rudolf Steiner, 1928, 10. Aufl. 1983; daraus die folgenden Zitate). Bauer, philosophisch geschult an Haeckel und Hegel und den �bungen des Okkultisten Kerning hingegeben, bem�hte sich, "durch Geisteskraft Menschen von Krankheiten zu befreien". Er lie� R. "teilnehmen an seinen eigenen Erlebnissen mit Verstorbenen" und wurde f�r ihn der F�hrer zu Rudolf Steiner, dem er am 28.8.1911 bei einem Vortrag zum ersten Mal begegnete (15.19.29). R. verschweigt nicht die gro�en Vorbehalte, die er gegen die Theosophie allgemein und anfangs auch gegen Rudolf Steiner hatte. Aus den theosophischen Schriften von Annie Besant und ihren Geistesverwandten stieg eine "Wolke" auf, aus der ihm "allerlei Ungesundes, Gewolltes. Gl�cksgieriges" entgegenschlug (ebd, 20). An Steiner bewunderte R. demgegen�ber zwar seine philosophische Schulung, konnte aber insbesondere seine Wiederverk�rperungslehre und Bibelauslegung zun�chst nicht akzeptieren (21ff.48ff). �ber Steiners Bibelauslegung bemerkt er: "Wohl blieben mir manche Auslegungen unzug�nglich, ja recht unwahrscheinlich. Die Fremdheil, mit der mich vieles ber�hrte, auch unsympathisch ber�hrte, konnte kaum gr��er sein" (21). Doch wurden ihm diese Vorbehalte in den pers�nlichen Gespr�chen mit Steiner zunehmend genommen: "Oft bin ich sp�ter dann doch mit einer Liste in der Tasche zu Rudolf Steiner gegangen, auf der die anfechtbaren Bibelauslegungen verzeichnet standen. Aber wenn ich mit ihm sprach, schien mir anderes viel wichtiger. Meine Bibelstellen blieben als unwesentlich in der Tasche gegen�ber dem, was ich dann fragen und erfahren konnte" (22). Schritt f�r Schritt �ffnete sich R. den Lehren Steiners. Dabei spielten die "Ratschl�ge f�r okkulte �bungen", die er von Steiner f�r seine Weiterentwicklung und zur Kr�ftigung seiner stets angeschlagenen Gesundheit � vollends nach einem Absturz im Gebirge im Jahre 1918 � erhielt, eine ausschlaggebende Rolle (37ff). Steiners Vortrag "Von Jesus zu Christus", den R. am Ende des Jahres 1911 in N�rnberg h�rte und der eine Zusammenfassung des gleichlautenden und im gleichen Jahr gehaltenen Karlsruher Zyklus darstellte, war � trotz der anf�nglichen "Entt�uschung" � die Grundlage f�r R.s neues Lebensprogramm (33f). So beschrieb er in seinem 1936 ver�ffentlichten "Christus"-Buch seinen Lebensweg als "Weg `von Jesus zu Christus`": vom Menschen Jesus im Sinn der liberalen Theologie zum kosmischen Christus im Sinne der Anthroposophie Rudolf Steiners.

Als er im August 1916 auf die Pfarrstelle an der "Neuen Kirche" in Berlin berufen wurde (358.365), hatte er vorher niemanden im Unklaren dar�ber gelassen, dass er "in den letzten Jahren ... der anthroposophischen Geistesbewegung nahegetreten" war (84). Seinen inneren Anschluss an Steiner datierte er auf das Jahr 1912. In Berlin geriet R. bald in theologische Isolation und in Gegnerschaft zu den Vertretern der liberalen Theologie, insbesondere zu seinem ehemaligen (und inzwischen geadelten) Lehrer Adolf von Harnack, der "f�r 'Mystik' im Grund gar kein Organ hatte" (370f). Die Losl�sung R.s von der liberalen Theologie war allerdings bereits im Jahre 1910 erstmals in der �ffentlichkeit deutlich zum Ausdruck gekommen, als er auf Einladung der "Freunde der Christlichen Welt" seinen vielbeachteten Vortrag "Was fehlt der modernen Theologie?" hielt. Darin warf er den liberalen Theologen seiner Zeit "selbstgef�llige Hypothesenlust" und "unreife Neuerungssucht" vor (263). Was die Person Jesu betreffe, so werde bei einem historisch-kritischen Verst�ndnis "das eigentlich Gewisse und Gro�e an ihm, seine unbedingte Gottentschlossenheit ... das ganze gl�hende Gottesleben, das in ihm war ... lange nicht genug empfunden" (265). R. fordert demgegen�ber eine "neue Menschheit", die mit "Kr�ften" erf�llt ist, welche sie "herausheben aus ihrem bisherigen Leben" (265f). Nach dem Vortrag, so berichtet R., stand Ernst Troeltsch auf und sagte: "Wir haben wieder einmal einen Menschen reden h�ren, der aus seiner Haut heraus will, und das kann der Mensch eben nicht!" R. entgegnete ihm, dass er es sehr wohl k�nne: "Der Mensch soll gerade aus einer Haut heraus: und ich will aus meiner Haut und komme auch heraus, verlassen Sie sich darauf!" (267).

5. Der Erzoberlenker der Christengemeinschaft (1922-1938)

Den H�hepunkt der Auseinandersetzung und den endg�ltigen Bruch von Seiten der liberalen Theologie signalisiert ein Brief, den R. � bereits mitten in den Vorbereitungen zur Gr�ndung der Christengemeinschaft stehend � im Jahre 1921 von A. v. Harnack erhielt. Dieser Brief, den R. auszugsweise wiedergibt, l�sst an Deutlichkeit nichts zu w�nschen �brig: "'Mythologie habe ich nie verstanden ernst zu nehmen; Primitives mutet mich samt und sonders so an wie das Schreitafel-Gekritzel der Abc-Sch�tzen;... die Allegoristik erscheint mir wie die Ideenflucht von Ekstatischen zu gew�nschten All-Einheiten',.. 'Eigentlich seid Ihr alle von der gleichen Art, soweit Ihr sie wirklich ernst und subjektiv wahrhaftig nehmt, oh Ihr Euch nun Joachim von Flures oder Steiner oder Thiersch oder R. nennt ... Euer Phlegma unterscheidet Euch; Euer Spiritus ist derselbe, und es tut auch nichts zur Sache, ob sich der Eine auf geschichtliche Offenbarung, der Andere auf Spezialoffenbarung, der Dritte auf seinen weiter ausgreifenden Verstand, der Vierte auf seine vordringende Erfahrung beruft. Auch das ist nur ein Kuchen"' (416). R. stellte diesen Aussagen die Frage entgegen, "ob die Erfahrung nicht erweitert und das Denken nicht gesteigert werden kann, so dass man auch die Mythologie' ernst zu nehmen versteht' und der Allegorie auch au�erhalb der Irrenh�user ein Recht zugestehen kann" (417). Hier sprach er bereits als Anthroposoph. So nahm er dann im Herbst 1922 seinen Abschied vom Dienst in der evangelischen Kirche und gr�ndete zusammen mit 45 meist j�ngeren Pers�nlichkeiten die Christengemeinschaft (419ff). Zum ersten Erzoberlenker ernannt, schrieb R. eine Reihe von Werken, in denen er sich um die Vermittlung zwischen Theologie und Anthroposophie, um ein neues Christusverst�ndnis sowie um die Exegese verschiedener biblischer Schriften, insbesondere des Joh bem�hte. Am 23.3.1938 starb er w�hrend einer Vortragsreise in Hamburg.

Zur Beurteilung s.: Christengemeinschaft; Anthroposophie; Erkenntnisse h�herer Welten; Akasha-Chronik; Spirituelle Interpretation.

Lit.: F. Rittelmeyer, Aus meinem Leben, 1937; ders., Meine Lebensbegegnung mit Rudolf Steiner, 1983. � Kritisch: L. Gassmann, Anthroposophie, 2000; ders., Rudolf Steiner und die Anthroposophie, 2002.

Lothar Gassmann


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Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handb�chern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):

1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines �kumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch

Weitere Handb�cher (�ber Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de