Christengemeinschaft

Klick auf den Kompass öffnet den IndexDie Christengemeinschaft ist eine aus der Anthroposophie hervorgegangene Kultusvereinigung.

1. Entstehung:

Im Juni und September 1921 fanden erstmals "Theologenkurse" statt, bei denen Rudolf Steiner seine Gedanken f�r eine kultisch-religi�se Erneuerung weitergab. Die Initiative dazu ist von Theologen wie dem bekannten evangelischen Pfarrer >Friedrich Rittelmeyer ausgegangen, vor allem aber von jungen Theologiestudenten, z.B. Emil Bock und Rudolf Frieling, die mit der Situation in Kirche und Pfarrerausbildung nach dem Ersten Weltkrieg unzufrieden waren. W�hrend am Juni-Kurs in Stuttgart nur 18 junge Menschen teilnahmen, waren es beim Dornacher September-Kurs �ber 100, darunter aber viele "Zaung�ste", etwa der N�rnberger Pfarrer und Freund Friedrich Rittelmeyers, Christian Geyer, und der bereits damals bekannte Theologe und Philosoph Paul >Tillich, die aus Neugierde gekommen waren und den Weg zur "Christengemeinschaft" nachher nicht mitgingen. Tillich etwa sah hier � trotz gewisser Sympathien f�r die auch Steiner wichtige Schellingsche Naturphilosophie und Mystik � sein Streben nach einem symbolischen >Sakramentalismus nicht erf�llt.

Der entscheidende dritte Theologenkurs fand vom 7. bis 22.9.1922 in Dornach statt. W�hrend dieses Kurses wurde am 16. September von Friedrich Rittelmeyer die erste "Menschenweihehandlung" zelebriert, die "Priesterweihe" an den �ber 40 Teilnehmern vollzogen und damit die "Christengemeinschaft", die sich auch "Bewegung f�r religi�se Erneuerung" nennt, gegr�ndet. Rudolf Steiner fungierte als Berater und Helfer. Und doch war er mehr! Gerhard Wehr berichtet etwa, wie Steiner nach der "Priesterweihe" durch die Reihen ging und jedem der Neugeweihten die H�nde auflegte. Und einer der ersten "Priester", Kurt von Wistinghausen, erinnert sich:

"Unausl�schlich hat sich uns das Bild eingepr�gt, wie er (sc. Rudolf Steiner) schlicht in seinem schwarzen Gehrock unter uns war und neben dem Altar stand, als Friedrich Rittelmeyer in tiefer Andacht die erste Weihehandlung hielt. Mit mehr als wacher Aufmerksamkeit ruhte sein Blick auf dem Geschehen. Wie ein Pate h�herer Ordnung trug er das hier geborene Geisteskind liebevoll auf die Welt und �bergab es uns zu treuen H�nden" (zit. nach G. Wehr, Rudolf Steiner, 1993, 317).

Im Bericht des Anthroposophen Gottfried Husemann wird deutlich, dass zwar Friedrich Rittelmeyer die erste Menschenweihehandlung � eine Art anthroposophischer "Gottesdienst" mit der "Kommunion" als Mitte � zelebrierte, aber Steiner als der eigentliche geistige Sch�pfer, ja, man k�nnte fast sagen:

Spender zu gelten hat:

"Nun f�hrte er (sc. Steiner) uns unmittelbar in den Geist der Kultushandlung ein. 'Die Gegenwart des Christus muss herbeigef�hrt werden'. Im entscheidenden Augenblick erhob er sich von seinem Stuhl und trat, das Angesicht uns allen zugewendet, neben den Altar (...) 'Nehmt es hin', sagte er, 'aus geistigen Welten herunter erbeten � nehmt es hin und vollbringt es kraft eurer eigenen Weihehandlung.' Auf uraltes Mysterienwissen wurde zur�ckgegriffen (...) Damit war die Christengemeinschaft als Bewegung f�r religi�se Erneuerung inauguriert, unter Dr. Steiners Leitung und Anweisung. Er brachte die Substanz der Weihe" (zit. nach J. Bedewien, Anthroposophie, 1985, 165).

2. Lehre und Beurteilung:

Aus dem letzten Bericht geht bereits hervor, was die Christengemeinschaft sein m�chte: eine kultische Bewegung, die "Christentum", wie sie es versteht, mit "uraltem Mysterienwissen" vereinigt.

Dieses wird � wie der Anthroposoph Guenther Wachsmuth erw�hnt � vor allem realisiert in einem "neuen Sakramentalismus" auf der Grundlage der anthroposophischen "Geist-Erkenntnis". Wenn von "Gott" oder "Christus" die Rede ist, dann sind darunter kosmische M�chte zu verstehen, mit denen der Mensch kultisch oder hellseherisch in Kontakt treten kann und die ihn bei seiner evolution�ren H�herentwicklung f�rdern. So gab Steiner

"am Michaeli-Tag, dem 29. September (...) eine bedeutsame Vorschau �ber die Notwendigkeit der neuen Einf�hrung von Kultushandlungen, einer aus Geist-Erkenntnis vollzogenen Anrufung der im Kosmos wirkenden geistigen M�chte, wie sie dem Bewusstsein unserer Zeit entspricht und als reale geistige Kraft und Substanz in der Erdenstruktur die zuk�nftigen Evolutionsstufen vorbereiten soll" (G. Wachsmuth, Rudolf Steiners Erdenleben und Wirken, 1951, 501f.)..

Die Lehren und Rituale der Christengemeinschaft sind eine eigenartige Mischung aus katholischen, protestantischen, anthroposophischen und naturreligi�sen Elementen. �usserlich �hnelt die Christengemeinschaft dem >Katholizismus (Priester- und Wandlungsgedanke, reiche Liturgie, Weihrauch usw.), innerlich eher einem >liberalen Protestantismus (Freiheitsphilosophie, Dogmenfeindlichkeit, Evolutionismus, Frauenpriestertum), inhaltlich aber entspricht sie dem Denken der Anthroposophie in starker Betonung naturreligi�ser Komponenten. So hat sie von Rudolf Steiner � um nur einige Beispiele zu nennen � die Anschauung von den vier Leibern sowie von Reinkarnation und Karma �bernommen, weshalb etwa die S�uglingstaufe als Hilfe zur Inkarnation des physischen Leibes gedeutet wird. Ihr Verst�ndnis der bei der "Menschenweihehandlung" erfolgenden "Kommunion" beruht auf der Steinerschen Lehre von der Erde als Leib des "Christus-Sonnengeistes", der zum "Erdgeist" geworden sei und als solcher in Brot und Wein empfangen werde, um den Menschen durch einen "Impuls" in der Evolution weiterzubringen. Und die "Gemeinschaft mit den Verstorbenen", wie sie die Christengemeinschaft versteht, beruht auf Steiners wissenschaftlich verbr�mtem Spiritismus in seinen ">Erkenntnissen h�herer Welten".

Als Beispiel f�r die anthroposophische Umdeutung biblischer Begriffe sei das von Steiner f�r die Christengemeinschaft formulierte "Neue Bekenntnis" betrachtet, das sich formal an das bekannte Apostolische Bekenntnis (>Apostolikum) aus altkirchlicher Zeit anlehnt:

"Ein allm�chtiges, geistig-physisches Gotteswesen ist der Daseinsgrund der Himmel und der Erde, das v�terlich seinen Gesch�pfen vorangeht. Christus, durch den die Menschen die Wiederbelebung des ersterbenden Erdendaseins erlangen, ist zu diesem Gotteswesen wie der in Ewigkeit geborene Sohn. In Jesus trat der Christus als Mensch in die Erdenwelt. Jesu Geburt auf Erden ist eine Wirkung des Heiligen Geistes, der, um die S�ndenkrankheit an dem Leiblichen der Menschheit geistig zu heilen, den Sohn der Maria zur H�lle des Christus bereitete. Der Christus Jesus hat unter Pontius Pilatus den Kreuzestod erlitten und ist in das Grab der Erde versenkt worden. Im Tode wurde er der Beistand der verstorbenen Seelen, die ihr g�ttliches Sein verloren hatten. Dann �berwand er den Tod nach drei Tagen. Er ist seit dieser Zeit der Herr der Himmelskr�fte auf Erden und lebt als der Vollf�hrer der v�terlichen Taten des Weltengrundes mit denen, die er durch ihr Verhalten dem Tod der Materie entrei�en kann. Durch ihn kann der heilende Geist wirken. Gemeinschaften, deren Glieder den Christus in sich f�hlen, d�rfen sich vereinigt f�hlen in einer Kirche, der alle angeh�ren, die die heilbringende Macht des Christus empfinden. Sie d�rfen hoffen auf die �berwindung der S�ndenkrankheit, auf das Fortbestehen des Menschenwesens und auf ein Erhalten ihres f�r die Ewigkeit bestimmten Lebens. Ja, so ist es."

Die Unterschiede zum Apostolikum springen sofort ins Auge: Aus "Gott dem Vater" ist ein unpers�nliches "Gotteswesen" und ein " Weltengrund" � �hnlich dem >hinduistischen Brahman � geworden. Aus "Jesus Christus, Gottes Sohn" wurde "der Christus", der sich "zu diesem Gotteswesen wie der in Ewigkeit geborene Sohn" verh�lt � eine reine Allegorie. Ferner werden aus "Jesus" und "Christus" zwei Personen gemacht, obwohl "Christus" in der Bibel keine zweite Person, sondern lediglich ein W�rdetitel ("Messias", "Gesalbter") f�r Jesus ist. Im Reden von einer "H�lle des Christus" begegnet die alte gnostische Irrlehre des >Doketismus (Christus habe nur einen "Scheinleib" getragen), die in ihren Konsequenzen der Erl�sung im biblischen Sinne widerspricht. Ebenso taucht in der "geistigen Heilung" einer "S�ndenkrankheit" � gemeint ist der Materialismus � uraltes gnostisches Gedankengut auf (Geist-Materie-Antagonismus), das etwas v�llig anderes meint als die pers�nlich-existentielle S�nde und Erl�sung des Menschen durch das Kreuzesopfer Jesu Christi. Weitere unbiblische Lehren, die in Steiners "Neuem Bekenntnis" begegnen, sind z.B.: die Vorstellung vom Karma (Erl�sung durch das eigene "Verhalten") und der G�ttlichkeit der Menschen ("die ihr g�ttliches Sein verloren hatten").

S. auch: Akasha-Chronik; Anthroposophie; Astrologie; Bock, Emil; Erkenntnisse h�herer Welten; Mystik; Neuoffenbarung; Okkultismus; Reinkarnation; Rittelmeyer, Friedrich; Spiritismus; Spirituelle Interpretation; Steiner, Rudolf.

Lit.: E. Bock, Was will die Christengemeinschaft?, 1960; F. Rittelmeyer, Die Menschenweihehandlung, 1926; ders., Rudolf Steiner als F�hrer zu neuem Christentum, 1933. � Kritisch: F. W. Bautz, Die Christengemeinschaft, 1976; L. Gassmann, Rudolf Steiner, 2002.

Lothar Gassmann

Menschenweihehandlung: Christengemeinschaft


Index

Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handb�chern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):

1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines �kumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch

Weitere Handb�cher (�ber Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de