Herrnhuter Br�dergemeine

Klick auf den Kompass �ffnet den IndexDie Herrnhuter Br�dergemeine geht zur�ck auf Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (Z.).

Das bekannte Lied aus seiner Feder "Herz und Herz vereint zusammen" dr�ckt gut den Kern der Lehre Z.s, eines Hauptvertreters des Pietismus, aus: eine �kumene der Liebe zwischen allen wiedergeborenen Christen.

Z. lebte von 1700 bis 1760. Das Gr�ndungsjahr der Herrnhuter Br�dergemeine lautet 1727. Als Reichsgraf und Herr �ber viele L�ndereien schuf Z. f�r zahlreiche um ihres Glaubens willen Verfolgten (z.B m�hrische Br�der, Separatisten, radikale Pietisten) eine Heimstatt (Herrnhut heisst "unter des Herrn Hut bzw. Schutz"). Bei einer Abendmahlsfeier am 13. August 1727 lernten die unter sich zerstrittenen Gruppierungen in einem "neuen Pfingsten" einander lieben, begruben ihre Gegens�tze und vereinigten sich zur Herrnhuter Br�dergemeine (also "Gemeinschaft", nicht "Gemeinde"!) aller wahrhaft Wiedergeborenen. Z. stellte auch viele Mittel f�r die Weltmission zur Verf�gung. Er rief u.a. die Mission f�r die Westindischen Inseln und f�r Gr�nland ins Leben und gilt damit als einer der Initiatoren der Weltmission in der Neuzeit �berhaupt. Leider findet sich � neben einer innigen Liebe zum Heiland und einer tiefen Gr�ndung auf die Heilige Schrift � auch viel Unn�chternheit und >Schw�r-merei bei Z.. Mehrmals wurde er deshalb aus der Heimat ausgewiesen und durchzog viele L�ndereien, was den "herrnhutschen Geist" nur noch mehr verbreitete (bis nach Skandinavien, Russland, Westindien und Pennsylvanien). Beson-deren Anlass zur Kritik lieferte die Krisenzeit ("Sichtungszeit") bei der Herrnhuter Br�dergemeine in den Jahren 1743-50. Damals kam es � dem barocken Zeitgeist entsprechend � zu einer �bersteigerten Nat�rlichkeit und Kindlichkeit, einer eigenartigen T�ndelei mit "Bruder L�mmlein" (Jesus) und einer Seitenh�hlen-Mystik (Verehrung von Jesu Wunden), die sich der katholischen "Herz-Jesu-Mystik" n�herte. Ferner errichtete man "Liebesbanden", die schon vom Begriff her nach au�en hin missverstanden wurden. Das Hohelied Salomos besa� in dieser Zeit einen besonderen Stellenwert. Alles dies f�hrte 1750 zum Einschreiten durch die B�ndingsche Regierung. Dadurch wurde man in den letzten zehn Lebensjahren Z.s n�chterner und beseitigte die Ausw�chse. Der �kumenische Geist (Z. war z.B. mit dem katholischen Kardinal von Paris bis an dessen Lebensende befreundet), der auf dem philadelphischen Ideal (herzliche Liebe aller wiedergeborenen Christen) beruht, herrscht bis heute vor. Er tr�gt allerdings in seiner heutigen, teilweise s�kularisierten Form zu einer Relativierung der biblischen Wahrheit bei, etwa im Rahmen des vom >�kumenischen Rat der Kirchen vertretenen Interkonfessionalismus und Synkretismus. Die `Herrnhuter Br�dergemeine ist Vollmitglied des �kumenischen Rates und der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK). Ob freilich Z. selber so weit gegangen w�re wie manche seiner Nachfolger, ist doch recht fraglich. Was hat er selber gelehrt?

a. Die Verfassung der Br�dergemeine:

Kennzeichnend war die starke Beteiligung der Laien. Man traf sich in sogenannten "Banden"; das waren Freundschaftsb�nde von ca. je 5-10 Mitglie-dern. Man betrieb gegenseitige Seelsorge in kleinen Gruppen. Dieses "System" wurde aber sp�ter aufgel�st, da man �hnliche Ausw�chse wie in der heutigen Gruppendynamik erlebte. Dann gr�ndete man "Ch�re"; das waren gr��ere Generationsgemeinschaften, die nach Geschlechtern sowie Ehe- und Ledigenstand getrennt blieben. Nach dem Tode Z.s �bernahm eine �ltestenkonferenz die Leitung der Br�dergemeine. Kennzeichnend war ferner eine strenge Kirchenzucht sowie ein Erfragen von Gottes Wille durch Losorakel, woraus die "Herrnhuter Losungen" hervorgingen. Im Neuen Bund wurde ja, als ein Nachfolger f�r den Verr�ter Judas gew�hlt werden sollte, auch mit dem Los entschieden (Apg 1,26). So werden bis heute Bibelverse ausgelost f�r jeden Tag des Jahres und als "Losungen" weltweit ver�ffentlicht. Dies mag durchaus hilfreich sein als geistliche "Schmalspurkost", aber doch sollte man bei jeder Bibellese auch die Zusammenh�nge der Worte beachten (was in den heutigen Losungen durch die Angabe von zu lesenden zus�tzlichen Sinnabschnitten ja versucht wird). Ein schlimmer Fehler w�re es allerdings, die Losungen als Orakel zu benutzen. Wer das tut, missbraucht das Wort Gottes. Bibelworte sollen zur Erbauung dienen, nicht als Wahrsagemedium.

b. Bibliologie und Theologie:

Z. sagt: Die Bibel ist Gottes Wort. Sie kann w�rtlich, aber auch geistlich (spirituell) verstanden und ausgelegt werden. Alles ist an der Heiligen Schrift zu pr�fen. Man kann die Wahrheit in der Schrift "essen und in Saft und Kraft verwandeln", d.h. sie ins Leben umsetzen. "Christus ist der Lehre ihr Punkt und Summe und alles im alten und neuen." Leider finden sich bei Z. auch Ans�tze zur Bibelkritik. In seinen "Vierunddrei�ig Homilien �ber die Wunden-Litanei der Br�der" (Herrnhaag 1747) sagte er:

"So wie kein Zweifel daran ist, dass im Grundtext Fehler sind; so ist um so viel weniger Zweifel daran, dass auch in den �bersetzungen viel Fehler sind und bleiben werden bis ans Ende der Welt. Aber ein Kind Gottes ist darum doch bibelfest, er kriegt doch nicht einen Irrtum ins Gem�t."

Man sieht: Mit der Wendung vom Objektiven zum Subjektiven ist der Weg zum liberalen Theologen Friedrich Daniel Ernst >Schleiermacher (1768-1834), der sich als "Herrnhuter h�herer Ordnung" bezeichnete und Religion als (innerliche) Sache des "Gem�ts", als "Gef�hl schlechthinniger Abh�ngigkeit" betrachtete, hier bereits vorgebahnt (auch wenn auf diesem Gebiet Z. selber wohl nie so weit gegangen w�re wie Schleiermacher).

Die Theologie der Br�dergemeine ist sehr auf den zweiten Artikel des Glaubensbekenntnisses bezogen, n�mlich auf Jesus Christus. Die Christologie steht v�llig im Zentrum. Auch der Heilige Geist wird betont, wobei Gott Vater etwas in den Hintergrund ger�t. Hierbei gibt es nun � besonders ausgepr�gt in den 1740er Jahren � Bezeichnungen von Z., die eigenartig erscheinen. Man bediente sich � wie schon erw�hnt � einer Art "T�ndelei"-Sprache, die vom barocken �berschwang der damaligen Zeit lebte. Die Dreieinigkeit wurde als "Papa, Mama und ihr Fl�mmlein, Bruder L�mmlein" bezeichnet. Gottvater sei "Papa", der Heilige Geist die "Mama" und Jesus ihr "Fl�mmlein". Abendmahl, Ehe und Geschlechtsverkehr wurden als g�ttliche Mysterien angesehen (nach Eph 5,32). Es wurde eine Blut- und Wundenmystik vertreten, unter anderem auch eine Seitenh�hlenmystik, die Bezug auf die Seitenwunde Jesu am Kreuz nahm. Wer Einwohner der Seitenh�hle Christi sei, den richte er nicht, sagte Z.. Man solle sich in Jesu Seitenwunde im Geist versenken. Dies erinnert an die katholische Herz-Jesu-Mystik, bei welcher ja das Herz Jesu besonders betont wird. Man muss hier sehr aufpassen, um nicht in eine ungesunde Schw�rmerei hineinzugeraten. Eine solche Mystik kann schnell in eine falsche Theologie umschlagen, wie es sich dann ja auch in Form der sehr weiten �kumenischen �ffnung der Br�dergemeine in der neueren Zeit zeigte.

c. Die Soteriologie (Heilslehre):

Der Zugang zur S�nde erfolgt f�r Z. �ber die "Schw�che". Der Schuldcharakter der S�nde tritt f�r ihn zur�ck (ohne freilich v�llig zu verschwinden). S�nde werde �ber die Erfahrung wahrgenommen. (Hier spielen offensichtlich philosophische Gedanken des >Empirismus hinein.) Die Fleischwerdung Christi wird ausgedehnt in die irdische Wirklichkeit jedes Gl�ubigen. Es komme zur Teilnahme des Gl�ubigen am geschichtlichen Schicksal Jesu Christi. Die Generalisierung der Inkarnation (Verallgemeinerung der Fleischwerdung), die sich bei Z. erst andeutet, aber bei seinen heutigen Nachfolgern zum Teil bis zum (h�retischen) Ende gef�hrt wurde, beruht auf der mystischen Identifikation zwischen Christus und dem Christen (s.o.), zu welcher Z. selber den Grund gelegt hat.

Die Umwandlung und Neusch�pfung des Gl�ubigen ist f�r Z. selber noch entscheidend. Diese geschieht durch den Heiligen Geist und findet nach Z.s Auffassung ihre Vorbereitung sogar schon vor der Geburt im Mutterleib (nach Lukas 1,15). Die Taufe ist nur ein Bad, ein �u�eres Zeichen. Aus der Seitenwunde Jesu f�hrt der Funke des Heiligen Geistes in den Menschen, f�r Z. auch in der Taufe.

F�r Z. ist die Macht der S�nde bereits gebrochen,

Die Forschung spricht hier bei Z. von einer optimistischen Haltung im Gegensatz zu einer pessimistischen bei August Hermann Francke, bei der noch ein Bu�kampf im bewussten Leben notwendig war. Sicherlich h�ngt diese Ansicht mit der unter-schiedlichen Biographie bei Z. zusammen: Er wurde "christlich erzogen" und schon als Kind an die g�ttlichen Geheimnisse herangef�hrt, denen er zeitlebens zugewandt blieb, w�hrend Francke in seiner Jugend massive Zweifel am christlichen Glauben und somit einen "Bruch" erlebt hatte. Man sieht also, wie sehr sich auch die pietistischen V�ter voneinander unterscheiden. Es gibt innerhalb des Pietismus unterschiedliche Str�mungen. Der Francke�sche Bu�kampf und Pessimismus steht gegen die Z.sche Brechung der S�nde durch die Taufe und die bereits vorausgegangene Einwirkung des Heiligen Geistes.

Ich denke, dass hier Francke n�her bei der Heiligen Schrift steht als Z., auch wenn bei beiden eine gewisse Einseitigkeit zu beobachten ist. Denn es gilt: Ohne Gott k�nnen wir nichts tun (vgl. Joh 15,5). Kein Bu�kampf ohne zuvor einwirkende Gnade (>Bu�e)! Zugleich aber ist die Zueignung der Gnade kein "Automatismus". Sicherlich, es gibt eine Urgeborgenheit des unm�ndigen Kindes (auch des ungeborenen Kindes) bei Gott (vgl. Ps 22,11; 71,6; 139,13-16). Aber das hei�t nicht, dass diese sich � auch bei sp�terer bewusster Verleugnung und Ablehnung der Erl�sung � auf das ganze Leben auswirken w�rde (das w�rde auch Z. nicht behaupten).

Fest steht:
Gnade und Glaube geh�ren zusammen. Die Gnade ist die Voraussetzung des Glaubens, der sich dann allerdings auch als rettender Glaube bew�hren muss.

S. auch: Pietismus. Lit.: E. Beyreuther, Die gro�e Zinzendorf-Trilogie, 1988; L. Gassmann, Pietismus � wohin?, 2004.

Lothar Gassmann


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Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handb�chern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):

1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines �kumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch

Weitere Handb�cher (�ber Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de