Abrahamitische Religionen ist ein in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts von Ökumenikern aufgebrachter Sammelbegriff für die Weltreligionen, die sich von ihrem Selbstverständnis und ihrem Ursprung mehr oder weniger stark auf eine völkische oder geistliche Abstammung vom alttestamentlichen Patriarchen Abraham stützen.
Zu Abrahamitische Religionen zählen ökumenisch ausgerichtete Theologen das Christentum, den Islam und das >Judentum mit ihren vielfältigen Abspaltungen (z.B. >Bahai, Drusen). Dabei gehen die Anhänger des Gedankens der Abrahamitische Religionen davon aus, dass sich das >Judentum und der Islam geistlich und völkisch von Abraham her ableiten. Das Christentum sieht seine Herkunft von Abraham mehr geistlich und offenbarungsgeschichtlich:
Unübersehbar sind Ähnlichkeiten der drei Religionen:
Die vordergründigen Ähnlichkeiten der monotheistischen Buchreligionen veranlassten die Anhänger des Gedankens der Abrahamitische Religionen, über das Suchen nach Gemeinsamkeiten die grundsätzlich trennenden Hauptgedanken der Religionen stark zu ignorieren oder zu nivellieren. Mit der Erklärung »Nostra aetate« ("Über das Verhältnis der kath. Kirche zu den nichtchristlichen Religionen") öffnete Rom beim 2. Vatikanischen Konzil den Weg zu engerer Zusammenarbeit mit den Fremdreligionen und zur Akzeptanz von nichtchristlichen Religionen als Erkenntnisquelle des Glaubens und Weg zu Gott. Im für Glaubensfragen verbindlichen Katechismus der Katholischen Kirche heißt es zum Verhältnis zum Judentum (§ 62a + 64):
"In der Zeit nach den Patriarchen machte Gott Israel zu seinem Volk ... Durch die Propheten bildete Gott sein Volk Israel heran in der Hoffnung auf das Heil ... Heilige Frauen Sara, Rebekka, Rahel, Miriam, Debora, Hanna, Judit und Ester erhalten die Heilshoffnung Israels lebendig; deren reinste Gestalt ist Maria."
Zum Islam sagt derselbe Katechismus (§ 841):
"Die Beziehung der Kirche zu den Muslimen: Die Heilsabsicht umfaßt aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslime, die sich zum Festhalten am Glauben Abrahams bekennen und mit uns den einzigen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird."
Schon einige Jahrhunderte nach dem Aufkommen des Islams stellte die Katholische Kirche eine Verwandtschaft mit dem Islam fest. Der katholische Theologe Johannes von Damaskus betrachtete den Islam noch im 8. Jahrhundert als christliche Sekte. Neben der offiziellen Kirche ist es vor allem der Leiter der Stiftung Weltethos, der frühere Tübinger Theologieprofessor Hans Küng, der die geistliche Verbundenheit zwischen den monotheistischen Religionen behauptet und vorantreibt.
Im evangelischen Bereich geht die Verbundenheit der sogenannten Abrahamitische Religionen auf die Aufklärung zurück (Lessings Ringparabel in "Nathan der Weise"). Aber auch die humanistischen Gedanken von Hans Küngs Motto "Ohne Religionsfrieden kein Weltfrieden" wirken sich hier aus. Der >Ökumenische Rat der Kirchen und seine Vorläufer erkannten seit der Weltmissionskonferenz in Jerusalem 1928 und der Weltmissionskonferenz in Bangkok 1973 in verschiedenen Verlautbarungen "Offenbarungen Gottes" und "Wirkungen des Heiligen Geistes" in nichtchristlichen Religionen an. In der Praxis beteiligen sich Vertreter der protestantischen Kirchen an den multireligiösen Friedensgebeten in Assisi und anderswo. Zum festen Programm der Evangelischen Kirchentage gehören gemeinsame Andachten und andere Veranstaltungen mit Muslimen und Juden (sowie anderen Religionen). Die Ratsvorsitzenden der EKD versenden regelmäßig offizielle kirchliche Grüße zu den hohen jüdischen und islamischen Festen. Die angestrebte enge Verbindung Abrahamitische Religionen schließt natürlich Mission aus (Weltmission). Aus diesem Grunde wurden Judenchristen von offiziellen Kirchentagsveranstaltungen mit Vertretern des Judentums ausgeschlossen.
Bibeltreue Theologen sehen zwar auch Berührungspunkte in der Lehre der sogenannten monotheistischen Religionen. Allerdings stellt sich die Frage, ob es sich beim islamischen Allah wirklich um den Gott Abrahams handelt. Aufgrund der Geschichte des Hauptheiligtums Kaaba in Mekka ist vielmehr anzunehmen, dass sich hinter Allah der altorientalische Mondgott verbirgt, der nach biblischen Verständnis nichts mit dem Gott Israels und der Christen, Jahwe, zu tun hat, sondern ein Götze ist.
Zur weiteren Beurteilung: Ökumene der Religionen, Islam, >Judentum, Jesus Christus, Assisi, Neue Weltordnung.
Lit.: H. v. Glasenapp, Die fünf Weltreligionen, 1963; R. Scheffbuch, Bangkok 73, 1974; Lausanner Bewegung, Christlicher Glaube und Islam, 1997; R. Wagner, Gemeinde Jesu zwischen Spaltungen und Ökumene, 2002.
Rainer Wagner
Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handbüchern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):
1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines Ökumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch
Weitere Handbücher (über Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de