Lassen sich falsche Christusse vom bibelkundigen Leser noch relativ einfach entlarven, so ist die Sachlage bei den falschen Propheten schwieriger. Denn während es nur einen wiederkommenden Christus gibt, der eindeutig zu erkennen sein wird, treten viele echte und falsche Propheten in der Geschichte nebeneinander auf (vgl. Jer 8,10ff.; 23,9ff.; 26,28). Die Bibel fordert uns deshalb auf,
"die Geister zu prüfen, ob sie von Gott sind; denn es sind viele falsche Propheten ausgegangen in die Welt"
(1. Joh 4,1).
Sie gibt uns dazu Kriterien an die Hand, von denen ich die folgenden nenne:
a. Sie fügen etwas zur Bibel hinzu oder nehmen etwas davon weg (1. Kor 4,6; 2. Joh 1,9; Offb 22,18f.).
b. Sie erfinden Lehren, die im Widerspruch zum eindeutigen Wortsinn und Gesamtzusammenhang der Bibel stehen (Gal 1,6ff.).
c. Sie übergehen zentrale Wahrheiten des christlichen Glaubens und verleugnen Jesus und sein Werk, vor allem seine Gottessohnschaft, seine Fleischwerdung, sein Sühneopfer am Kreuz und seine leibliche Auferstehung (1. Joh 2,22f.; 4,2f.; 2. Joh 1,7; 2. Petr 2,1; Jud 4).
d. Ihre Behauptungen sind eine Mischung aus Wahrheit und Lüge, um viele Menschen zu verführen (Joh 8,44; 2. Kor 11,14).
e. Sie machen Zukunftsvoraussagen, die mit göttlichem Offenbarungsanspruch vorgetragen werden ("Der Herr hat zu mir geredet ...") und nicht eintreffen (Jer 28,9).
f. Ihre Versprechungen sind oft mit schönen Worten verpackt (Mt 7,15).
g. Ihre Lehren enthalten oft (nicht immer) ein falsches Evangelium von Frieden, Liebe, Harmonie, Einheit und Toleranz (Jer 6,13f.), oft aber auch falsche oder übertriebene Darstellungen von Gottes Gericht.
Es sei betont, dass nicht alle genannten Kriterien auf alle Falschprophetien zutreffen. So gibt es zum Beispiel auch häufig Gerichtsbotschaften bei falschen Propheten. Doch wenn bereits ein Kennzeichen vorhanden ist, kann man sicher sein, dass man es mit Falschprophetie zu tun hat. Falsche Propheten finden sich insbesondere unter den Begründern von Neuoffenbarung sbewegungen und Sekte n, die ihre "Schauungen" und Erkenntnisse über oder neben die Heilige Schrift stellen, diese umdeuten und ihr in vielen Punkten widersprechen. Beispiele sind:
- Joseph Smith (1805-1844), der Begründer der Mormonen, fügte zur Bibel das "Buch Mormon" hinzu, das er angeblich durch Beauftragung eines Engels auf vergrabenen goldenen Platten fand und mit Hilfe einer "Prophetenbrille" übersetzte.
- Mary Baker-Eddy (1821-1910), die Begründerin der "Christlichen Wissenschaft" ("Christian Science"), bezeichnete ihr Buch "Wissenschaft und Gesundheit" als "Schlüssel zur Heiligen Schrift".
- Baha u'llah (= Mirza Husayn Ali; 1817-1892), der "Prophet" der >Baha'i-Religion, propagierte in seinen Schriften die Einheit der Völker und Religionen. Er betrachtete sich selbst als den von den schiitischen Moslems erwarteten Imam Mahdi, den Gesandten Allahs, zu dessen Vorläufern er neben Mose, Zarathustra, Buddha und Mohammed auch Jesus Christus zählte.
- Charles Taze Russell (1852-1916), der Begründer der "Ernsten Bibelforscher" (seit 1931: "Zeugen Jehovas"), berechnete die Aufrichtung des messianischen Friedensreiches Christi auf das Jahr 1914 – und es kam der Erste Weltkrieg. Ähnliche Voraussagen seiner Nachfolger für die Jahre 1918, 1925 und 1975 trafen ebensowenig ein.
- Rudolf Steiner (1861-1925), der Begründer der Anthroposophie, las auf hellseherischem Weg in einer unsichtbaren "Akasha-Chronik", drang so in die "höheren Welten" ein und empfing ein "Fünftes Evangelium" mit einem zutiefst okkult geprägten Jesusbild.
- Gabriele Wittek (geb. 1933), die seit dem Tod ihrer Mutter im Jahr 1970 mit spiritistischen Kreisen Kontakt hatte, behauptet, dass seit 1975 "Christus" durch sie zur Menschheit sprechen würde. Sie bezeichnet sich als "Prophetin" des 1977 gegründeten "Heimholungswerkes" (später ">Universelles Leben" oder "Innere-Geist=Christus-Kirche" genannt). Die Lehren, die sie verkündigt (z. B. Astralkörper, Bewusstseinserweiterung, Geistheilung, Vegetarismus und Reinkarnation), besitzen jedoch fernöstliches und >spiritistisches, nicht christliches Gepräge.
Diese Personen haben allesamt eine große Anhängerschaft um sich geschart. Daneben treten "Einzelpropheten" (in Wirklichkeit oft spiritistische Medien!), die lediglich eine Lesergemeinde um sich versammelt haben, etwa Jakob >Lorber und Edgar Cayce. Mit großer Vorsicht zu genießen sind auch angebliche Jesusoffenbarungen in "Ich-Form" ("Ich, der Herr, sage euch..."), wie sie in manchen >schwärmerischen Kreisen vorkommen. Da Falschprophetie immer und überall auftreten kann, sind grundsätzlich alle Aussagen zu prüfen, die prophetischen Charakter beanspruchen. Die Grundlage hierzu bildet die in der Heiligen Schrift vorliegende Offenbarung Gottes – und zwar in ihrem unverdrehten Wortsinn und Gesamtzusammenhang (Bibel, Hermeneutik, Spirituelle Interpretation).
Lit.: L. Gassmann, Prüfet die Geister!, 2001; Zukunft. Zeitzeichen. Aufruf zur Wachsamkeit, 1999.
Lothar Gassmann
Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handbüchern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):
1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines Ökumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch
Weitere Handbücher (über Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de