T�uferisches Kirchenverst�ndnis

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1. Das Ziel der T�ufer und anderer Teile des "linken Fl�gels der Reformation" lautet nicht "Reformation", sondern "Restitution": Wiederherstellung des lehrm��igen und gemeindlichen "Idealzustandes" der Urchristenheit.

Nach Ansicht von Vertretern des "linken Fl�gels der Reformation" gingen Luther, Zwingli, Calvin und die anderen Reformatoren nicht weit genug, sondern blieben auf halbem Wege stehen. Sie erreichten nicht das neutestamentliche Ideal, sondern schlossen zu viele Kompromisse mit dem Katholizismus, der Tradition und den machthabenden F�rsten. So behielten sie z.B. die Kindertaufe bei, betrieben nur eine halbherzige Gemeindezucht und rangen sich nicht zu einer radikalen Trennung von Kirche und Staat durch (s. Reformatorisches Kirchenverst�ndnis). In dieser Kritik an den Reformatoren waren sich die Vertreter des "linken Fl�gels der Reformation" einig. Ansonsten aber bleibt festzustellen, dass sich der "linke Fl�gel" aus mehreren Str�mungen zusammensetzte, die unterschiedliche Ziele verfolgten und unterschiedlich radikal waren. So hatten z.B. die T�ufer von M�nster mit den Schweizer T�ufern so gut wie nichts gemeinsam, und ebensowenig lassen sich >Spiritualisten, >Hutterer, Mennoniten und Antitrinitarier theologisch "in einen Topf werfen" (wie es von ihren Gegnern � vor allem nach dem Untergang des schw�rmerisch-chiliastischen "T�uferreiches von M�nster" im Jahre 1535 � gern getan wurde).

Im folgenden setze ich den Schwerpunkt bei der Ekklesiologie der gem��igten T�ufer, die bis heute f�r baptistische Gemeinden eine gewisse Vorbildfunktion hat. Der Baptist Franklin H. Littell bevorzugt in seiner Arbeit "Das Selbstverst�ndnis der T�ufer" (1966), welche in die nachfolgende Darstellung mit einflie�t, gegen�ber den polemischen Etikettierungen "Anabaptisten" und "Wiedert�ufer" die Selbstbezeichnungen wie

Hauptziel der T�ufer war die "Wiederherstellung der wahren Kirche nach neutestamentlichem Vorbild" (Restitution). Littell ist davon �berzeugt, dass das T�ufertum einen "dritten Typ" neben Katholizismus und staatskirchlichem Protestantismus verk�rpert, der einen "radikalen Neuanfang" brachte. Seines Erachtens war "die t�uferische Revolution so durchgreifend", dass sie "eine Erscheinung sui generis in der Geschichte des Christentums darstellt". Man k�nne deshalb nicht nur von einer lutherischen und reformierten "Kirche der Reformation", sondern daneben von einer t�uferischen "Kirche der Restitution" sprechen (a.a.O., S. 122f.). Grundlage der Restitution ist der religi�se Primitivismus, d.h. die Ansicht, dass die Dinge im Urzustand besser waren als die sp�teren Entwicklungen. Je weiter sich z.B. eine Kirche vom Urzustand entfernt, desto schlechter wird sie; je mehr sie sich ihm n�hert, desto gr��er ist ihre Reinheit und geistliche Kraft. W�hrend der Reformationszeit war diese Anschauung weit verbreitet, und verschiedene Gruppen eiferten mit unterschiedlichen Mitteln um die gr��tm�gliche Ann�herung an den vermeintlich paradiesischen Idealzustand der neutestamentlichen Urgemeinde. Nach Littell war dieser "Traum von der Urgemeinde" der einzige Faden, der durch den ganzen "linken Fl�gel der Reformation" lief und "die Spiritualisten und T�ufer, die Schweizer Br�der und die Polnischen Br�der, die Schwenckfelder und die Hutterer, die Mennoniten und die Nachfolger von Sebastian Franck und Adam Pastor" miteinander verband. "Das letzte Ziel war die Wiederherstellung der Urgemeinde, und auf diese Wiederherstellung sollte der Triumph des Himmelreichs auf der Erde folgen" (a.a.O., S. 82).

Der t�uferische Primitivismus und Restitutionsgedanke war in seinen ethischen und geschichtlichen Implikationen vom Humanismus (Betonung des Laienelements, einfaches Leben nach der Bergpredigt, Pazifismus, Forderung der Glaubensfreiheit) und >Joachimismus (Errichtung der reinen Kirche im Zeitalter des Geistes) beeinflusst. Er beruhte auf der Vorstellung des Abfalls der Kirche vom neutestamentlichen Ideal und dem Streben nach der Errichtung einer Kirche, die dem Idealzustand m�glichst nahe kommt. Der Fall wird in der Regel mit der Errichtung der Staatskirche durch Kaiser Konstantin den Gro�en (306-337) identifiziert, der dem "goldenen Zeitalter" der Urkirche ein Ende machte. Diese war nach t�uferischer Vorstellung durch Trennung vom Staat, Verfolgung, Pazifismus, Liebeskommunismus, Einfachheit, Gl�ubigentaufe und konsequente Anwendung der Gemeindezucht gepr�gt gewesen. In der c�saropapistischen Massenkirche war dies nicht mehr m�glich. Aus der verfolgten wurde bald eine verfolgende Kirche mit allen entsprechenden Begleiterscheinungen. Erw�hnenswert ist, dass es au�er dem genannten mindestens vier weitere Datierungsversuche des Falles gibt, die deutlich vom jeweiligen Interesse der Definierenden gepr�gt sind. So legten die Antitrinitarier den Fall der Kirche auf das Konzil von Niz�a (325), bei dem zentrale trinitarische Dogmen verk�ndigt wurden. Menno Simons sah den H�hepunkt des Falles � nach den Anf�ngen unter Konstantin � im Jahre 407, als Papst Innozenz I. durch ein Edikt die Kindertaufe allgemein verbindlich machte. Die Polnischen Br�der lie�en den Fall mit dem Tod Simeons, des "letzten Augenzeugen" des Lebens Jesu, im Jahre 111 beginnen. Im Gegensatz zu dieser extrem fr�hen Datierung vertrat Martin Luther eine Sp�tdatierung des Falles der Kirche: Er sah ihn da eintreten, als das Papsttum kurz nach Gregor dem Gro�en (590-604) begann, weltliche Machtanspr�che geltend zu machen. Die Regierungszeit Konstantins mit der Errichtung der Staatskirche hingegen betrachtete der Reformator als eine Bl�tezeit des Glaubens. Wie blieb in der Zeit nach dem Fall die Kontinuit�t der wahren Kirche erhalten? Nach Ansicht der meisten Gruppen innerhalb des "linken Fl�gels der Reformation" geschah das durch diejenigen Personen und Vereinigungen, die von der r�misch-katholischen Kirche als "Ketzer" verfolgt wurden, etwa die Waldenser und >Albigenser, die Fraticelli, John Wiclif und Johannes Hus. Nur die ganz radikalen T�ufer (etwa in M�nster) beanspruchten, ohne historische Vorl�ufer unmittelbar wieder am neutestamentlichen Ideal anzukn�pfen.

2. Die Restitution schlie�t bestimmte Glaubenshaltungen und Verhaltensweisen ein, die sich nach t�uferischem Verst�ndnis aus dem Neuen Testament ergeben, vor allem Glaubenstaufe, Gemeindezucht, Absonderung von der Welt und ein eigenst�ndiges Verh�ltnis gegen�ber der Obrigkeit.

3. Heutige freikirchliche Modelle baptistischer Pr�gung sind in unterschiedlichem Ma� vom t�uferischen Modell der Reformationszeit beeinflusst.

Zu den heutigen Gemeinden t�uferischer Pr�gung geh�ren im engeren Sinne die Baptisten, die Mennoniten und die >Hutterer. Au�erdem wird die Glaubenstaufe praktiziert oder bevorzugt von den >Freien Evangelischen Gemeinden, den >Br�dergemeinden, der Kirche des >Nazareners, verschiedenen >Pfingstkirchen, den >Siebenten-Tags-Adventisten und anderen. Freikirchen wie die >Selbst�ndige Evangelisch-Lutherische Kirche und die Evangelisch-Methodistische Kirche (>Methodismus) lehren und praktizieren hingegen die S�uglingstaufe. Man kann deshalb "Freikirchen" und "Glaubenstaufe" nicht miteinander gleichsetzen, sondern nur sagen, dass die Mehrzahl der Freikirchen die Glaubenstaufe vertritt.

W�hrend es in L�ndern wie England, Frankreich, Holland und den USA schon ab dem 16. Jahrhundert trotz mancher Verfolgungen immer wieder Ans�tze zur Bildung von Freikirchen gab, war deren offizielle Gr�ndung in Deutschland erst nach der Revolution von 1848 m�glich. So wurde im Jahre 1849 der "Bund der Baptistengemeinden in Deutschland" ins Leben gerufen. 1941 schloss er sich mit dem aus der Br�derbewegung kommenden "Bund freikirchlicher Christen" zum "Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden" zusammen und ist seither die zahlenm��ig gr��te Freikirche im deutschen Raum (von � �berwiegend auch t�uferisch gepr�gten und von diesem Bund unabh�ngigen � Aussiedlergemeinden abgesehen). Mennoniten und Hutterer hingegen haben lediglich in den USA und Russland zum Teil eine gewisse Bedeutung erlangt, Mennoniten vor allem durch �bersiedler aus dem Osten inzwischen zum Teil auch in Deutschland.

Die baptistisch gepr�gten Freikirchen haben von den T�ufern der Reformationszeit insbesondere die Glaubenstaufe und das Freiwilligkeitsprinzip (Unabh�ngigkeit vom Staat) �bernommen. Die Gemeindezucht und Absonderung von der Welt werden in sehr unterschiedlicher Konsequenz gehandhabt. In vielen Freikirchen findet sich ebenso das Gegeneinander von erwecklichen und liberalen Str�mungen wie in den gro�en Volkskirchen. Wo die Freikirchen sehr gro� wurden, haben sie die Absonderung von der Welt und vom Staat oft ganz aufgegeben, so etwa viele Baptisten in den USA, aus denen sogar mehrere Staatspr�sidenten hervorgegangen sind. Hingegen halten kleine Gruppen wie die Hutterer nach wie vor streng an der Absonderung, einem radikalen Pazifismus und der G�tergemeinschaft fest.

Innerhalb der heutigen Baptisten gibt es viele unterschiedliche Str�mungen. Dennoch finden sich gewisse ekklesiologische Gemeinsamkeiten zwischen allen Baptisten, die Wiard Popkes � im Anschluss an eine Arbeit von John David Hughey (Die Baptisten, 1959) � auf folgenden Nenner gebracht hat:

Diese Charakterisierung gilt nach Popkes

"f�r die Baptisten in den unterschiedlichsten geographischen, kulturellen, politischen und sozialen Gebieten" (Wiard Popkes, Gemeinde � Raum des Vertrauens. Neutestamentliche Beobachtungen und freikirchliche Perspektiven, 1984, 185f.).

Zum Vergleich und zur Beurteilung s.: Gemeinde , Katholisches Kirchenverst�ndnis, Reformatorisches Kirchenverst�ndnis , Ekklesiologie.

Lit. (au�er der im Text genannten): L. Gassmann, Kirche in der Diskussion, Papstkirche, Staatskirche oder Gemeinschaft der Glaubenden?, 2004

Lothar Gassmann


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Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handb�chern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):

1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines �kumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch

Weitere Handb�cher (�ber Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de