Der Begriff setzt sich zusammen aus den griechischen Wörtern "he ekklesia" und "ho logos".
"Ho logos" bedeutet "das Wort", "der Ausspruch", "der Sinn" oder auch "die Lehre". "He Ekklesia" (von "ek-kalein" = "herausrufen", "aufrufen") ist "die Herausgerufene", "die Versammlung", "die Gemeinde", "die Kirche". "Ekklesiologie" ist somit die Lehre von der (aus der Welt) Herausgerufenen, von der Gemeinde, von der Kirche.
An dieser Stelle sind einige Anmerkungen zur Geschichte des Begriffs "ekklesia" und der damit gemeinten Wirklichkeit angebracht. In der Septuaginta ist "ekklesia" griechisches Äquivalent für das hebräische "qahal". "Qahal" hängt vermutlich zusammen mit der Wurzel "qol" ("Stimme") und bezeichnet die zusammengerufene Versammlung. Diese Versammlung kann sich auf dreierlei Weise konstituieren:
Das Wort hat also eine säkulare und eine religiöse Dimension und kommt im Alten Testament in seiner ganzen Bedeutungsbreite vor. Die religiöse Dimension begegnet etwa bei der Versammlung des Volkes zum Bundesschluss am Sinai, hier auch häufig in Verbindung mit dem Jahwe-Namen. "Qahal" besitzt somit eine stark theozentrische Komponente.
Im Unterschied zu "qahal" hat "ekklesia" in der antiken griechischen Polis eine rein säkulare Bedeutung:
Es bezeichnet die Vollversammlung der rechtsfähigen Vollbürger der Stadt. Sie wurden von einem Herold zusammengerufen zur Entscheidung über Gesetze, Beamtenwahl und Fragen der Innen- und Außenpolitik. "Ekklesia" ist somit von seinen griechischen Wurzeln her ein anthropozentrisch geprägter Begriff. Dem theokratisch-religiösen Raum der israelitischen "qahal" kann man den demokratisch-politischen Raum der griechischen "ekklesia" gegenüberstellen. Dennoch wurde "ekklesia" zur Übersetzung von "qahal" verwendet, da die formalen Grundkonstitutiva des Herausgerufenwerdens und Zusammenkommens die gleichen sind.
Der eindeutig religiös gefärbte Begriff hingegen ist "he synagoge" (von griech. "synagein" = "versammeln"). "He synagoge" bedeutet "die Versammlung" oder "die Synagoge", also das jüdische Versammlungshaus. In der Septuaginta wird "qahal" nicht nur mit "ekklesia", sondern gelegentlich auch mit "synagoge" wiedergegeben, und zwar hauptsächlich da, wo es um die spezifisch religiöse Komponente, um die Jahwe-Gemeinde geht (z.B. in Num 14,7ff). Deshalb kann "synagoge" in der Septuaginta auch häufig für das hebräische "edah" ("Gemeinde", "Volksgemeinschaft") stehen. "Edah" ist der eindeutig festliegende Begriff für die israelitische Bundesgemeinde Jahwes, "qahal" eine hingegen eher schwankende Bezeichnung für das aus jener hervorgehende Aufgebot.
Da der Begriff "synagoge" stark von seinem israelitischen Hintergrund her geprägt und in vorchristlicher Zeit geradezu zu einem Synonym für die jüdische Traditions- und Gesetzesreligion geworden war, konnte die junge christliche Gemeinde in neutestamentlicher Zeit ihn nicht übernehmen, sondern wählte den unbelasteteren Begriff "ekklesia". Deshalb reden wir heute, wenn wir auf die neutestamentliche Gemeinde, ihre Geschichte und die damit zusammenhängende Lehre blicken, von "Ekklesiologie".
Die Ekklesiologie gehört in den Rahmen der Systematischen Theologie, insbesondere der Dogmatik. Innerhalb der Dogmatik steht sie in besonders engem Zusammenhang:
Die Ekklesiologie berührt sich nicht nur mit der Dogmatik, sondern auch mit der Ethik, weil sich das neue Leben in Christus unter anderem im Zusammenleben der Gemeindeglieder bewähren soll.
Und schließlich berührt sich die Ekklesiologie mit der Praktischen Theologie, da deren Anwendung wesentlich im Bereich der Gemeinde und durch diese geschieht:
Was ist Kirche? Im Anschluss an eine frühere Untersuchung von Heinrich Rendtorff über "Die Kirche des wirkenden Wortes" (1930) stelle ich im folgenden einige Auffassungen nebeneinander und bringe sie miteinander ins Gespräch.
Sie betrachtet Kirche zunächst als das Gebäude, in welches man zum Besuch des Gottesdienstes geht. Ferner gilt Kirche als Dienstleistungsbetrieb, der seine Mitglieder tauft, konfirmiert, traut und bestattet. Kirche ist ein Traditions- und Kulturgut, das durchaus erhaltenswert ist, aber ohne das man im Grunde auch ganz gut leben könnte. – Jedem, der die Bibel näher kennt, dürfte klar sein, dass damit nur äußerliche Phänomene, aber nicht das eigentliche Wesen der Kirche erfasst sind.
Ähnliches gilt für die organisatorische oder juristische Auffassung der Kirche. Sie richtet ihr Augenmerk auf Organe, Verfassungen, Statuten, Rechtsprechung und Verwaltung. Die >römisch-katholi-sche Kirche entspricht sehr stark dieser Auffassung eines juristischen Apparates mit hierarchisch gegliederten Befugnissen und dem Papst als oberstem Inhaber der Jurisdiktionsgewalt. Das gut organisierte Rechts- und Ordnungssystem des römischen Reiches findet hier in gewisser Weise seine Fortsetzung. Auch in den protestantischen Landeskirchen zeigen sich Herrschafts- und Rechtsstrukturen, die auf das landesherrliche Kirchenregiment in der Reformationszeit zurückzuführen sind. Freilich geht sowohl nach römisch-katholischem als auch nach protestantischen Verständnis Kirche nicht in dem organisatorischen und juristischen Apparat auf. Der organisatorische Apparat wird – von vielen zumindest – als Hilfsmittel zum Bau des Reiches Gottes auf Erden betrachtet. Dem ist durchaus zuzustimmen, aber nur insoweit, als Organisation, Verfassung und Rechtsprechung einer Kirche nicht in Widerspruch zur biblischen Botschaft geraten.
In direktem Kontrast zur organisatorischen Auffassung steht das enthusiastische Verständnis von Gemeinde, wie es heute vor allem von >charismatischen Kreisen vertreten wird. Hier hängt so gut wie nichts an Strukturen und alles am Wirken des Geistes Gottes. Strukturen, Gesetze, feste Ordnungen werden von vielen als geradezu hinderlich für die Entfaltung des Geistes Gottes und der von ihm geschenkten Gaben (Charismen) angesehen. Wo diese Ansicht vertreten wird, fehlt häufig eine deutliche Ekklesiologie. Alles droht sich im Nebel des Subjektivismus und des Gefühls aufzulösen. Wenn Gemeinde gebaut werden soll, ist allerdings ein Mindestmass an Strukturen notwendig. Gestaltung der vom Heiligen Geist geschenkten Gaben und gegenseitige Zuordnung im Dienst der Liebe sind gefordert.
Dieser Gestaltungswille ist sehr stark in der objektiven Auffassung von Kirche vorhanden, wie sie in hochkirchlichen Kreisen begegnet. Nach ihr ist Kirche der mystische Leib Jesu Christi, der an bestimmten Stellen sichtbar in den Bereich des Irdischen hineinragt. Kirche wird so zur personifizierten Inkarnation Gottes, und zwar in den Bereichen des überlieferten Dogmas, des in apostolischer Sukzession stehenden Episkopats und der sieben Sakramente. Der Gestaltungswille kommt in einem reich liturgisch gegliederten Gottesdienstablauf, vor allem in der Eucharistiefeier mit der Wandlung der Hostie, zum Ausdruck. Obwohl sich die hochkirchliche Bewegung als Erneuerungsbewegung im Raum der evangelischen Kirche beheimatet sieht, ist doch ihre große Nähe zu katholischen Vorstellungen unübersehbar. Mit Martin Luther ist hier die Anfrage zu stellen, ob sich das Transzendente, das Heilige wirklich so verdinglichen und greifbar machen lässt, wie es in der katholischen Kirche und hochkirchlichen Bewegung der Fall ist. Besteht hier nicht die Gefahr, in magische Vorstellungen hineinzugeraten? Lässt sich der Heilige Geist wirklich an bestimmte Punkte in Kirche und Geschichte (z.B. Bischöfe) binden?
Zurückhaltender ist hier die symbolische Auffassung von Kirche, wie sie die Berneuchener Bewegung vertritt. Nach ihr soll Kirche Symbol, Gleichnis, Hinweis auf das Ewige, Transzendente, Göttliche sein. Insbesondere im Gottesdienst soll die ewige Welt abgebildet werden. Deshalb vertritt auch die Berneuchener Bewegung eine reiche liturgische Gestaltung des Gottesdienstes, hält sich aber mit objektivierenden Aussagen zurück. Freilich stellt sich die Frage, ob der Symbolbegriff ausreicht, um das Wesen der Kirche und ihres Dienstes zu erfassen. Woher besitzt die Kirche die Kraft, wirklich Abbild der göttlichen Welt zu sein, wenn sie nur Symbol ist? Zerfließt angesichts unterschiedlicher Auslegungen hier am Ende nicht alles in Vieldeutigkeit?
Den Gegensatz zwischen der transzendenten und immanenten Dimension der Kirche hat Karl Barth in der dialektischen Auffassung aufzulösen versucht.
Die Kirche ist Geschöpf des Wortes Gottes und insofern ganz geistlich. Die Kirche ist Gebilde von Menschen und insofern ganz irdisch. Gott hat es gefallen, sein ewiges Wort in die menschlich-vergänglichen Gemeinschaftsformen hineinzugeben und dadurch Kirche zu konstituieren. Der Inkarnation Christi entspricht somit die Inkarnation der Kirche. Aber die Kirche verfügt als solchermaßen Beschenkte nicht über das Wort Gottes, sondern bleibt ganz von Gottes souveräner Offenbarung abhängig. In dieser Dialektik lebt sie bis zur Wiederkunft des Herrn.
Heinrich Rendtorff meint zu dieser Deutung Barths:
"Hier ist endlich am schärfsten der Angriff geführt gegen jede Gleichsetzung oder ursächliche Verknüpfung zwischen der sichtbaren Kirche und dem Worte und Reiche Gottes."
Dennoch sei die logische Formel der Dialektik
"nur eine Anerkenntnis der Frage, ein Ausdruck für den Verzicht auf Antwort, ein Aufhören mit dem Bemühen um Lösung. Mit unmissverständlicher Deutlichkeit sind Gott und Welt, Gott und Mensch, Gottes Reich und die unsichtbare Kirche, Gottes Wort und Menschenwort voneinander geschieden. Aber nun sind sie soweit voneinander geschieden, dass sie nur noch die logische Brücke einer dialektischen Formel miteinander verbindet" (ebd., 42f.).
Als weiterer Lösungsversuch sei die missionarische Auffassung betrachtet. Sie geht aus von zwei deutlichen Unterscheidungen:
zum einen zwischen Kirche und Welt (die Kirche hat an der gottlosen Welt einen missionarischen Auftrag auszuführen),
zum anderen zwischen allgemeiner Volkskirche und Kerngemeinde der Gläubigen.
Im letzteren Punkt lebt der Gedanke Philipp Jakob Speners von der "ecclesiola in ecclesia", dem "Kirchlein in der Kirche" wieder auf. Letztlich ist es die Kerngemeinde der Bekehrten, die sowohl eine erstarrte Kirche erneuert als auch der Kirche den entscheidenden Impuls zur Mission an der Welt gibt, den sie sonst all zu leicht vergessen würde. Dieses Modell ist insbesondere im Pietismus, in der Erweckungsbewegung und in der evangelikalen Bewegung des 20. Jahrhunderts sehr einflussreich geworden und hat viel Glaubensfrucht gewirkt. Dennoch ist zu fragen, ob sich so "Kirche" definieren lässt. Folgt man diesem Modell, dann hat man letztlich zwei Kirchen, die sich kontrovers oder auch werbend gegenüberstehen. Die Kirchendefinition ist fliessend-dynamisch, von der missionarischen Aktion gekennzeichnet, aber nicht fest und einheitlich. Freilich stellt sich die Frage, ob die Kirche der ersten Christen nicht auch von diesem Kontrast zu einer ungläubigen Umwelt und dem missionarischen Impetus geprägt war und ob sich nicht gerade hier Parallelen zur heutigen Situation ergeben.
Eine einheitlichere Definition ist möglich, wenn man nicht vom Kreis der Bekehrten ausgeht, sondern vom Wort (lat. verbum), das diese Bekehrungen wirkt – wenn man also nicht vom Menschen, sondern von Gott herkommt. Diese verbalistische Auffassung vertrat Martin Luther. Kirche ist Kirche des Wortes Gottes (auch in Gestalt der Sakramente) und geschieht überall da, wo Gottes Wort recht verkündigt und die Sakramente dem Evangelium gemäss verwaltet werden (vgl. Confessio Augustana, Art. 7). Demgegenüber ist da, wo Gottes Wort nicht recht verkündigt wird, Kirche nicht. Der Vorteil dieser Position liegt in ihrem theozentrischen und daher vom menschlichen Subjektivismus losgelösten Ansatz (keiner kann überprüfen, wer wirklich glaubt und daher zur Kirche gehört). Der Nachteil liegt darin, dass das "Wort" oft eine recht abstrakte Größe darstellt und der Kreis von Kirche sehr weit gefasst wird. Luthers Definition legte die Grundlage zur evangelischen Gestalt von Volkskirche, in der die Unterscheidung zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden so gut wie belanglos geworden ist, woraus mancherlei Probleme erwachsen.
Zunehmende Bedeutung erlangte seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts eine politische Auffassung von "Kirche", die stark mit >marxistischen und feministischen Vorstellungen einhergeht. Als Vertreter dieser Vorstellung sind z.B. Jürgen Moltmann (Theologie der Hoffnung) und Wolfgang Huber zu nennen. Moltmann betrachtet die Kirche Jesu Christi zugleich als missionarische, ökumenische und politische Kirche. "Mission" umfasst für ihn "alle Tätigkeiten, die der Befreiung des Menschen aus seiner Knechtschaft in der Gegenwart des kommenden Gottes dienen, von der ökonomischen Not bis zur Gottverlassenheit". Während früher "die protestantischen und katholischen Kirchen durchweg konservativ optiert und sich im Gesellschaftsprozess als Ordnungsmacht gegen Aufklärung, Emanzipation und Revolution" dargestellt hätten, sei es "die Absicht der neueren politischen Theologie, diese konservative Grundoption der Kirchen in Europa bewusst zu machen und sie aufzulösen, um der Kirche ihre politische Freiheit wiederzugeben". Als Beispiele nennt Moltmann die Theologie der Revolution und die Theologie der Befreiung und resümiert:
"Der politisch verantwortliche Begriff der Kirche führt ... zu der im Volk und mit den Völkern leidenden und kämpfenden Kirche und zum Verständnis dieser Kirche des Volkes im Rahmen der Befreiungsgeschichte Gottes, deren Ziel die neue Schöpfung in Frieden und Gerechtigkeit ist" (Kirche in der Kraft des Geistes, München, 1989, 24.29ff.).
Wolfgang Huber bezeichnet die Kirche als "Kirche für andere" und betont ihren Auftrag an der Welt:
"Die Kirche steht, indem sie Gottes veränderndes und erneuerndes Wort hört, an der Stelle, an der die Welt stehen soll. Indem sie Jesu Ruf in die Nachfolge annimmt, ist sie ganz für die Welt da und tritt für sie ein. Das öffentliche Handeln der Kirche ist diakonisches Handeln; es ist der Versuch, im Dasein für andere dem Dasein Jesu für andere zu entsprechen. Die Kirche tritt stellvertretend für die ein, die der Versöhnung und Befreiung bedürfen; sie macht sich zum Anwalt derer, deren Leben verletzt und beschädigt ist, denen elementare Lebensmöglichkeiten fehlen und die für sich selbst zu sprechen nicht in der Lage sind. Gerade unter dem Gesichtspunkt solcher Stellvertretung sind die Menschenrechte als Orientierungsrahmen für das politisch-gesellschaftliche Handeln der Kirchen zu betrachten" (Kirche, 1988, 178).
Bei allem Verständnis für gesellschaftliches Engagement bleibt doch zu fragen, ob die Kirche nicht ihr eigentliches Wesen und ihren Auftrag verliert, wo sie eine politische Funktion und – fast unausweichlich einseitige – Position einnimmt. Wo nicht mehr Gottes Wort, sondern die Menschenrechte oder weltanschauliche Programme – egal welcher Couleur – zu ihrem Maßstab werden, da droht ihre Auflösung in eine politische Partei.
Ekklesiologie der Römisch-Katholischen Kirche: Katholisches Kirchenverständnis. – Ekklesiologie der Reformatoren: Reformatorisches Kirchenverständnis. – Ekklesiologie der Täufer: Täuferisches Kirchenverständnis. – Ekklesiologie des Neuen Testaments: Gemeinde.
Lit.: L. Gassmann, Kirche in der Diskussion, Staatskirche, Papstkirche oder Gemeinschaft der Glaubenden?, 2004
Lothar Gassmann
Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handbüchern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):
1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines Ökumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch
Weitere Handbücher (über Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de