Theologie der Hoffnung

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Ein grundlegendes Modell, welches manche anderen ">Politischen Theologien" beeinflusst hat, ist J�rgen Moltmanns "Theologie der Hoffnung". Moltmann selber weist im 1977 verfassten Vorwort seines erstmals 1964 ver�ffentlichten gleichnamigen Buches auf die gro�e Wirkung seines Ansatzes hin:

"Mit Freude und mit sowohl zustimmender wie kritischer Anteilnahme habe ich in den letzten zehn Jahren beobachtet, wie die Motive der Theologie der Hoffnung von anderen auf originelle Weise aufgenommen wurden und in ihrer eigenen Situation eigenst�ndige Gestalt bekamen. Ich denke an die Entwicklung einer politischen Theologie in Europa und an den unvergesslichen christlich-marxistischen Dialog, aus dem die Bewegung Christen f�r den Sozialismus hervorgegangen ist. Ich denke an die schwarze Theologie der Hoffnung und der Befreiung in den USA und an die lateinamerikanische Theologie der Befreiung des Volkes. Ich denke auch an die feministische Freiheitstheologie" (a.a.O., 6 f.).

Einer rein transzendentalen und existentialen Eschatologie (etwa beim jungen K. Barth oder bei R. Bultmann), die sich vom Kierkegaard`schen Motiv der "Verinnerlichung" leiten l�sst, wirft Moltmann Geschichtsfremdheit und politische Unwirksamkeit vor (a.a.O., 53 ff.). Aber auch den traditionellen >heilsgeschichtlichen Ansatz, wie er in unterschiedlicher Form etwa von >Bengel, v. Hofmann und Auberlen vertreten wurde, m�chte er nicht einfach �bernehmen. Gegen diesen wendet er ein, dass er "nicht durch das Feuer der Kantschen Kritik" gegangen sei und in die "Abst�ndigkeit einer esoterischen Kirchenlehre" gerate. Positiv hingegen wertet er, dass hier �berhaupt geschichtlich gedacht werde:

Die Wahrheit der heilsgeschichtlichen Eschatologie

"liegt sicherlich darin, dass sie sich �berhaupt aufmachte, nach der inneren Tendenz und dem eschatologischen Horizont der Zukunft in der geschichtlichen Gottesoffenbarung zu fragen" (a.a.O., 62f.).

Wie verbindet nun Moltmann das grunds�tzlich geschichtlich-futurische Denken mit der nachaufkl�rerischen Kritik? Indem er nicht, wie "vorkritische" heilsgeschichtliche Denker, von einem detaillierten Heilsfahrplan (mit Tr�bsalszeit, Antichrist, Entr�ckung , >Tausendj�hrigem Reich usw.) ausgeht, sondern bestimmte Minimaldaten (Kreuz, Auferstehung, Verhei�ung, Zukunft des Reiches Gottes) festh�lt und politisch f�llt. Er rezipiert also die eschatologischen Aussagen der Heiligen Schrift nicht in ihrem w�rtlich beschriebenen Ablauf, sondern geht von einem Grundbestand an "Eckdaten" aus, den die liberale Theologie und Bibelkritik "�brig gelassen" haben. Diesen erweitert er (zum Teil neu) um die futurische Dimension, wobei allerdings die Aktivit�t des Menschen gegen�ber dem Handeln Gottes einen sehr gro�en Stellenwert einnimmt. F�r die Zukunft der Welt erwartet er eine st�ndige Aufw�rtsentwicklung, indem eine zusammenwachsende Menschheit Schritt f�r Schritt das Reich der Gerechtigkeit und des Friedens aufbaut und so � durch Kampf und Leiden hindurch � die Zukunft der Auferstehung verwirklicht. Auffallend ist die radikale Diesseitigkeit seines eschatologischen Ansatzes:

"In dieser Hoffnung schwebt die Seele nicht aus dem Jammertal in einen imagin�ren Himmel der Seligen und l�st sich auch nicht von der Erde ... Diese Hoffnung macht die christliche Gemeinde zu einer best�ndigen Unruhe in menschlichen Gesellschaften" (a.a.O., 16f.).

Der Ansatzpunkt bei den irdisch-gesellschaftlichen Zust�nden mit dem Ziel ihrer Ver�nderung hat auch eine Schwerpunktverschiebung im traditionellen Verst�ndnis von Weltmission zur Folge. Ohne "Mission" im Sinne der Bekehrung von Heiden ganz aufgeben zu wollen, stellt Moltmann seine universalistische - und daher mit dem traditionellen Missionsverst�ndnis letztendlich unvereinbare! - Vorstellung einer "Missio Dei" daneben:

"Das bedeutet nicht Seelenheil, individuelle Rettung aus der b�sen Welt, Trost im angefochtenen Gewissen allein, sondern auch Verwirklichung eschatologischer Rechtshoffnung, Humanisierung des Menschen, Sozialisierung der Menschheit, Frieden mit der ganzen Sch�pfung" (a.a.O., 303).

Menschliche Aktivit�t, angespornt von der Hoffnung auf bessere Zust�nde und das Kommen des Reiches Gottes, lenkt nach Moltmanns Ansicht geradewegs auf die Wiederkunft Jesu Christi zu, der - einerseits in Kontinuit�t, andererseits in Diskontinuit�t zum menschlichen Handeln f�r Gerechtigkeit und Frieden stehend � dieses vollenden wird. Der Unterschied zwischen Moltmanns "Theologie der Hoffnung" und Ernst Blochs "Prinzip Hoffnung", das ihn deutlich beeinflusst hat, liegt im wesentlichen in dem, was den Menschen "in Atem, in Gang, in Hoffnung und Bewegung nach vorne" h�lt. W�hrend es f�r den atheistischen Marxisten Ernst Bloch "das Nichts, der horror vacui" ist, stellt f�r J�rgen Moltmann die entscheidende Triebkraft aller Aktivit�t die Hoffnung der Auferstehung dar:

"F�r die christliche Hoffnung gr�nden Hunger, Trieb, Aufbruch und Zukunftsbereitschaft in der Verborgenheit der Zukunft des Auferstandenen" (a.a.O., 321).

An Moltmanns Konzeption ist positiv zu w�rdigen, dass er die Eschatologie wieder f�r die Zukunftsdimension ge�ffnet hat. Die Ausblendung dieser Dimension � etwa bei Bultmann � raubte der Eschatologie das Wesentliche, n�mlich gerade die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten und eine andere, bessere Welt. Dass f�r Moltmann diese Hoffnung nicht zur Flucht aus der jetzigen, diesseitigen Welt f�hrt, sondern zum positiven Engagement f�r Frieden und Gerechtigkeit befl�gelt � auch das ist grunds�tzlich zu begr��en. Dennoch ist zu fragen, ob nicht auch er und die von ihm beeinflussten, zum Teil viel radikaleren "Politischen Theologien" (z.B. eines Richard Shaull, Leonardo Boff und Gustavo Guti�rrez) gewissen Vereinseitigungen und Gefahren erlegen sind.

Da erhebt sich zun�chst das Problem der Hermeneutik. Moltmann macht von den eschatologischen Aussagen aufgrund der kritischen Destruktion des Literalsinns der Heiligen Schrift einen selektiven (auswahlweisen) Gebrauch und gelangt dadurch zur optimistischen Sicht eines � fast s�kularisierten - Postmillennialismus. Einfacher gesagt: Weil er die biblischen Aussagen vom Kommen der Tr�bsalszeit, des Antichristen, der Endgerichte und des Vergehens dieser Welt (z.B. Mt 24 parr.; 2. Thess 2; 2. Petr 3,10; die ganze Apk) nicht mehr w�rtlich nimmt, sondern bibelkritisch weginterpretiert oder umdeutet, gelangt er zu der Ansicht, die Weltgeschichte w�rde ohne Bruch geradewegs in das Reich Gottes m�nden und die Menschheit durch ihren Beitrag f�r Gerechtigkeit und Frieden das Kommen des Messias vorbereiten. Biblische Aussagen, die sich auf das Tausendj�hrige Friedensreich Jesu Christi nach dem Auftreten des Antichristen und dem Ablauf der Endgerichte beziehen (Apk 20,1-10), verbindet er f�lschlich mit der Gegenwart, so etwa die alttestamentliche Verhei�ung eines weltumfassenden Schalom. Obwohl die eigentliche Wiederkunft Christi � zumindest bei Moltmann � durchaus noch in der Zukunft erwartet wird, werden die Wirkungen des messianischen Friedensreiches doch schon in der Gegenwart vorweggenommen. Man muss deshalb, wenn auch mit Einschr�nkungen, von einem proleptischen Messianismus (Vorwegnahme des Friedensreiches Jesu Christi) reden. Man beachte in diesem Zusammenhang, dass die Erf�llung der diesbez�glichen Verhei�ungen, etwa bei den Propheten, ausdr�cklich auf "die letzte Zeit" der Heilsgeschichte datiert wird (Jes 2,2; Mi 4,1 u.a.)! So denkt Moltmann trotz seiner �ffnung f�r die futurische Dimen-sion letztlich ungeschichtlich, weil er den wirklichen Geschichtsablauf gem�ss dem biblischen Literalsinn nicht ernst nimmt. Moltmanns Zukunft ist nicht die biblische Zukunft, sondern eine Verk�rzung davon, die durch die Auslassung wesentlicher Teile zu einem falschen Resultat f�hrt.

Diese hermeneutische Fehlentscheidung wirkt sich problematisch auf das Gebiet des Missionsverst�ndnisses und der Ethik aus. Die Konsequenz ist, wie schon erw�hnt, ein Heils->Universalismus, verbunden mit einem Synergismus. Wenn Moltmann davon ausgeht, dass sich die gesamte Menschheit als Kollektiv geradewegs auf den Schalom und das Reich Gottes zu entwickelt (selbst wenn dies durch die quasi stellvertretende Hoffnung der an den Auferstandenen glaubenden Gemeinde geschieht), dann ist die biblische Linie verlassen, die vom Vergehen des jetzigen gottfeindlichen Kosmos und der Verlorenheit derer spricht, die nicht zu Jesus Christus umgekehrt sind (vgl. Mt 7,12f.; Mk 16,16; Joh 5,24; Act 16,31 u.a.). Und wenn er diesen Schalom im wesentlichen durch das Wirken der Menschheit vorbereitet sieht, die das Produkt ihrer Bem�hungen dem wiederkommenden Christus als dem Vollender �bergibt, so lauert hinter dieser Vorstellung � trotz allen positiven, oft jedoch auch politisch-einseitigen Engagements � die Werkgerechtigkeit des Synergismus, die das Heil allein aus Gnaden verspielt.

S. auch: Eschatologie; >Genitiv-Theologien; Feminismus; Befreiungstheologie; Kommunismus.

Lit.: J. Moltmann, Theologie der Hoffnung 1964. � Kritisch: L. Gassmann, Was kommen wird. Eschatologie im 3. Jahrtausend, 2002.

Lothar Gassmann


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1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines �kumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch

Weitere Handb�cher (�ber Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de